Bahn-Unfälle: Zug, Schranke, Bahnübergang, Car2X
Tödliche Unfälle am Bahnübergang: Moderne Technik soll helfen

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An manchen Bahnübergängen beträgt die Wartezeit mehr als 20 Minuten. Immer wieder bringen sich leichtsinnige Autofahrer in Lebensgefahr. Künftig sollen Warnmeldungen per WLAN ins Cockpit kommen.
Bild: dpa
Neustadt bei Hannover, Ortsteil Himmelreich, Sonntagmorgen, 5 Uhr. Drei junge Erwachsene stehen mit ihrem Toyota Avensis vor einem Bahnübergang. Die Halbschranke ist unten, die Signalanlage zeigt Rot. Statt zu warten, umkurvt der 22-jährige Fahrer die Schranke. Eine verhängnisvolle Entscheidung: Ein Regionalzug reißt den Wagen fast 400 Meter mit, alle Insassen kommen ums Leben (Foto oben).
Der Bahnübergang in Himmelreich ist Anwohnern ein Dauerärgernis: Die Wartezeit soll bis zu 24 Minuten betragen – auch für Rettungsfahrzeuge und den Linienverkehr. Sechs Bahnübergänge sind im Neustädter Stadtgebiet vorhanden. "Die Autofahrer stehen derzeit rund 14 Stunden täglich an den Übergängen", sagt der städtische Verkehrskoordinator Benjamin Gleue. Immer wieder werden Wartende ungeduldig, so kam es in den vergangenen sechs Jahren zu sechs Unfällen.
16.000 Bahnübergänge in Deutschland, davon 7000 unbeschrankt
Statistisch gesehen gelten Bahnübergänge als sicher. Knapp 16.000 gibt es hierzulande, etwa 7000 davon sind unbeschrankt. Weit verbreitet sind Halbschranken wegen ihrer kurzen Schließzeiten. Nachteil: Sie decken jeweils nur die rechte Fahrbahn ab. Leichtsinnige nutzen diese Lücke.
2022 krachte es 146-mal an Bahnübergängen, 42 Menschen kamen dabei ums Leben, 165 wurden verletzt. Bei mehr als einem Drittel der Unfälle wurde eine geschlossene Halbschranke umfahren. So auch im oberbayerischen Eschenlohe, wo ein 18-jähriger Autofahrer von einem Regionalzug erfasst und lebensgefährlich verletzt wurde – nur einen Tag nach dem Unfall in Himmelreich.
In Emden war die Schranke offen: Autofahrerin schwer verletzt
In den letzten 20 Jahren wurde fast ein Fünftel aller Bahnübergänge zurückgebaut, meist an wichtigen Bahnstrecken. Fahren Züge schneller als 160 km/h, sind Schranken nicht mehr erlaubt. "Bis 2030 sollen alle Übergänge in Neustadt verschwinden und durch Brücken oder Tunnel ersetzt werden", sagt Verkehrskoordinator Gleue. Dann rauschen dort auch schnelle Züge vorbei.
Viel langsamer, nämlich nur 20 km/h, fuhr ein Güterzug bei einem Bahnunfall in Emden vor einigen Tagen. Eine 58-jährige Autofahrerin wurde schwer verletzt, als die Lok ihren Mazda6 rammte. Laut Polizeibericht waren die Schranken beim Queren des Übergangs geöffnet – die Frau hat keinen Fehler gemacht. Technische Defekte als Unfallursache sind aber selten.
Fast immer ist der Autofahrer schuld
Bei Crashs mit Bahnbeteiligung ist in 29 von 30 Fällen der Autofahrer schuld, so die Statistik. "Als Motiv für riskante Fahrmanöver ist vor allem Ungeduld zu vermuten, wegen der teils langen Wartezeiten an geschlossenen Schranken", sagt Dr. Jan Grippenkoven. Er ist Leiter Verkehrsmittel am DLR-Institut für Verkehrsforschung in Berlin und untersuchte das Verhalten am Andreaskreuz. Manchmal würden Wartende denken, die Anlage sei defekt, wenn sich die Schranken nach einer Zugdurchfahrt nicht gleich heben – obwohl noch ein zweiter Zug folgt. "Ein solcher Irrglaube kann die Bereitschaft zu einer gefährlichen Umfahrung erhöhen."
Oft mangelt es schlicht an Grundwissen: Ein Drittel aller Führerscheinbesitzer kennt eher die Bedeutung eines Stoppschildes als die eines Andreaskreuzes. Grippenkovens Empfehlung: An unbeschrankten Bahnübergängen als Ergänzung ein Stoppschild aufstellen.

Bochum, im März 2022: Nur leicht verletzt wurde eine 61-Jährige, die in eine sich senkende Bahnschranke fuhr.
Bild: Polizei Bochum
Das Berliner Institut testete auch spezielle Blitzlichter an einem Zug. Für Autofahrer war dieser von Weitem erkennbar, sie fuhren daraufhin aufmerksamer. "Das System hat das Potenzial, bis zu 30 Prozent der Unfälle an unbeschrankten Bahnübergängen zu verhindern", glaubt Verkehrsforscher Grippenkoven.
Vernetzung von Zug und Auto ist der nächste Schritt
Der nächste Schritt ist die Vernetzung von Zug und Auto mittels bekannter Digitaltechnik aus dem Straßenverkehr (Car2X-Kommunikation): Der nahende Zug schickt dem Bahnübergang Informationen über die Passierzeit, der Übergang stellt diese in Echtzeit den wartenden Autofahrern zur Verfügung – als Anzeige im Cockpitdisplay. Das alles funktioniert über modernstes WLAN, empfangbar im Umkreis von bis zu 1000 Metern. Das System erhielt bereits einen Innovationspreis. emo
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