Ureigenes SL-Revier ist das, seit Jahrzehnten schon. Der Mercedes SL hat es bestellt, er hat es gepflegt, auch in Zeiten, als andere aufgaben. Auf den Anhöhen der anspruchsvollen, offenen Reisesportwagen diesseits abgehobener Exoten, der GT-Cabrios also, besitzt er die Lufthoheit. Sicher, auch Jaguar zwängte sich da rein, doch spät, mit dem XJ-S der 80er-Jahre. BMW aber traute sich noch viel länger nicht. Erst 2004 starteten die Münchener einen Versuchsballon mit der Offenvariante des 6er – ein würdiger Gegner des SL, keine Frage, optisch indessen zu verschroben für den großen Erfolg. Nun stehen die Chancen besser: Die zweite Auflage des 6er Cabrio trifft den Mehrheitsgeschmack schon eher. Vielversprechend auch: Es basiert auf der neuen 5er-Limousine, die momentan Maßstäbe setzt. Ist der aufstrebende 6er womöglich sogar der neue Boss im SL-Land?

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Zum Klassentreffen kommt der BMW als 640i, das vorläufige Basismodell. Aber was heißt schon Basis bei einem Dreiliter-Turbosechszylinder mit 320 PS? Mindestens 83.300 Euro verlangt BMW dafür, den Testwagen optimierten "Adaptive Drive" (aktive Wankabstützung, variable Stoßdämpfer) für 3970 Euro, "Integral-Aktivlenkung" (variable Lenkübersetzung, Hinterradlenkung) für 1950 Euro sowie 19-Zoll-Räder (2600 Euro). Macht 91.820 Euro. Dafür könnte es dann auch schon ein SL sein. Der Sechszylinder mit der Nummer 350 und 315 PS kostet 89.250 Euro, verfügt er wie hier über die Sportautomatik, sind es 89.548. Und natürlich darf in dieser Runde auch ein Jaguar nicht fehlen – zugegeben, nichts für Sparer, das exklusive Stück (ab 99.100 Euro), aber immerhin verfügt so ein XK Cabrio über einen Fünfliter-V8 und macht 385 PS locker. Und die tolle Ausstattung wird nicht extra berechnet. Reisecabrios also, und der BMW lässt keinen Zweifel daran, dass seine Passagiere fünf Sterne buchen. Wir sinken auf zigfach verstellbare Ledersessel, aufpreispflichtig zwar, aber vom Feinsten. Ihr Verstellbereich ist so groß, dass nur Zwei-Meter-Männer die Grenzen erreichen. Aber eingemauert fühlen sich die Insassen trotzdem – die hohe Bordwand, das schwellende Cockpit, die mächtigen Fensterpfosten.

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Dafür sieht es feudal aus, Stilrichtung "kühler Luxus", hochwertiger als beim Vorgänger. Instrumente, die Bedienung, der große Bildschirm, die Ausstattungsmöglichkeiten folgen dem 5er-Muster, das Stoffverdeck gleicht dem des alten Modells: aufwendig gearbeitet, erfreulich geräuscharm, rückwärts mit der senkrechten Minischeibe, die sich separat versenken lässt. Und hinten finden zwei Kinder Platz, freiwillig sogar. Cabrio-Feeling: dezent. Reisetauglichkeit: vorzüglich, zumal bis zu 350 Liter Gepäckraum bereitstehen. Umsteigen in den SL, seit dem Facelift von 2008 mit Breitmaulgesicht, sonst fast noch so wie anno 2001 bei seiner Vorstellung. Lange her, folglich sind Details wie das Comand-System schon verstaubt. Aber angenehm fürs Auge ist dieses SL-Ambiente immer noch. Und heimelig: die großzügigen Sitze, die praxisgerechte Bedienung mit reichlich Stauraum, die genialen Nackenwärmer in den Sitzlehnen (595 Euro). Das Verdeck besteht aus Blech, objektiv ein Vorteil (abgesehen vom kleinen Restkofferraum, wenn geöffnet), ansonsten Geschmacksache. Auf die Pseudorücksitze verzichtet der SL (wie schon immer). Cabrio-Feeling: luftiger als im 6er dank höherer Sitzposition und besserer Rundumsicht. Reiselust? Je weiter, je lieber. Und das restliche Reisegepäck passt dann zur Not in den Stauraum hinter den Sitzen.
Wir klettern in den Jag. Von außen betrachtet gibt er den Exoten, geduckt, muskulös, aufregend, eine Form zum Schwachwerden. Innen wirkt der XK dann nur noch halb so exotisch, mal abgesehen vom Versenk-Drehknopf für die Automatik. Seine Karosserie, ganz aus Aluminium, umhüllt die Insassen fast bis ans Kinn. Die Übersichtlichkeit mit dem Sehschlitz als Heckscheibe erinnert an einen Gefangenentransporter – da gleicht er weitgehend dem BMW 6er. Der Sitzkomfort fällt freilich spärlicher aus, der Verstellbereich knapper, die Bedienung per Touchscreen (bei offenem Dach kaum ablesbar) umständlicher. Und was die Notsitze im Fond betrifft, muss die Not schon sehr groß sein. Todschick jedoch die knapp geschnittene Stoffkapuze. Cabrio-Feeling: mäßig. Reisefieber: hoch, aber mit Einschränkungen. Zumal auch nicht mehr Gepäck reinpasst als beim SL.
Anlassen, abdampfen und genießen. So viel wird schnell klar: Auf Straßen zweiter Ordnung stehen sich diese Cabrios oft selbst im Weg – zu breit, zu unübersichtlich, um sich mit Vehemenz ins Kurvengeschlängel zu stürzen. Es sind Cruiser, maßgeschneidert für große Strecken. Der BMW, mit über zwei Tonnen Schwerster in der Runde, führt vor, dass dazu ein Dreiliter-Sechszylinder vollkommen ausreicht. Vorausgesetzt, er ist turbogeladen, was in diesem Fall 450 Nm Drehmoment bei nur 1300 Umdrehungen bedeutet. Enorm. Und so fühlt er sich auch an – bulliger Antritt ersetzt feuriges Temperament, sehr bekömmlich, zumal die Achtstufenautomatik immer perfekt mitspielt. Nur das häufige Rauf- und Runterschalten auf der Autobahn sollte sie sich abgewöhnen. Auf den anspruchsvolleren Strecken offenbart der 6er die Bandbreite seines Könnens. Er ist kein Leichtfuß, keiner, den der Pilot aus dem Handgelenk steuert.
Weitere Details zum BMW 6er Cabrio, Jaguar XK und Mercedes SL gibt es in der Bildergalerie. Den kompletten Artikel mit allen technischen Daten und Tabellen gibt es als Download im Heftarchiv .

Fazit

von

Wolfgang König
Der 6er demonstriert solide Arbeit. Er ist optisch leichter verdaulich als sein Vorgänger und zeigt beim Fahren mehr Feinschliff. Wie der 5er eben, und genauso vorbildlich. Aber irgendetwas fehlt mir – der Charakter vielleicht, die Emotionen, die ein solches Auto eigentlich wecken sollte. Erfreulich, wenngleich leicht verstaubt, der SL – als 350 überraschend leichtfüßig und immer noch der Wohlfühlroadster. Zum Dahinschmelzen dagegen der XK. Wenn er nur etwas geschmeidiger wäre.

Von

Wolfgang König