Lehrstunde mitten in Las Vegas. Auf dem Parkdeck eines neuen Mega-Hotels öffnet BMW seinen digitalen Giftschrank. Die Bayern zeigen uns, woran sie derzeit arbeiten, was uns langfristig erwartet und auch, was schon ziemlich bald auf unsere Straßen kommen wird. Übers Auto hinaus denken, intelligente Infrastrukturen rund um die Mobilität schaffen, die Freude am Fahren ergänzen und neu erlebbar machen, das sind die Maximen eines Autobauers, der in Zukunft nicht mehr nur als Autobauer wahrgenommen werden möchte.
Das neue BMW-Gefühl beginnt mit einer eindrucksvollen Vorführung zum Thema vollautomatisiertes Parken. Ein BMW i3 fährt wie von Geisterhand gesteuert übers Parkdeck und sucht sich – sehr bedächtig – eine Parklücke. Gefunden. Er stoppt, setzt zurück und parkt ein. Das Oberkommando führt eine Samsung Gear S-Smartwatch am Handgelenk eines BMW-Ingenieurs, der nun wieder aufs Display drückt. "Car is coming", "das Auto kommt", leuchtet auf, der I3 parkt aus und kehrt auf den Zentimeter genau zu uns zurück.

Gesetzliche Regelungen bremsen das System aus

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Video: BMW i3 CES 2015

Der BMW Einpark-Butler

Bild: AUTO BILD
Möglich machen diese autonome Parkshow unter anderem vier Laser (zwei vorne an der Seite, je einer vorne und hinten), die das gesamte Umfeld exakt erfassen und eine digitale Landkarte des Parkhauses, die vorher per Update ins Bordsystem geladen wurde. Der Vorteil des Lasers, so wird erklärt, ist der riesige Öffnungswinkel und die äußerst exakte Erfassung des Umfelds bei einem vergleichsweise günstigen Herstellungspreis. Rund 5,6 Millionen Parkplätze in mehr als 200 Städten der USA sollen bereits digital vermessen sein, auch in Deutschland gibt es bereits exakte Einzelplatzerfassungen. Das System scheint ausgereift und könnte schon jetzt mit vielen Parkhäusern vernetzt werden. Also warum geht es nicht morgen in Serie? Noch verhindern gesetzliche Regelungen den Einsatz. Das Thema Produkthaftung spielt eine riesige Rolle. Theoretisch wäre aber ein Einsatz – zum Beispiel auf privatem Gelände – schon heute möglich.

Kollisionsvermeidung für unkonzentrierte Momente

Genau wie die 360-Grad-Kollisionsvermeidung, die BMW für 2016 ankündigt. Sie fußt auf der gleichen Laser-Technik wie beim vollautomatisiertem Einparken und ist im Prinzip der Schutzengel, der ständig mitreist und aufpasst, dass das Auto nirgends aneckt. Die Laser scannen das Umfeld 100 Mal pro Sekunde ab und erstellen sozusagen eine Online-Karte der Umgebung. Das alles funktioniert bei einem Tempo bis zirka 20 km/h.
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Video: BMW Sensorentechnik CES 2015

Kollisionsvermeidung per Sensor

Bild: AUTO BILD
Ich darf hinters Steuer des I3 und setze das Elektromobil im Schritttempo zurück. Da steht ein Poller. Ich übersehe ihn absichtlich. Normalerweise hätte ich jetzt gleich zumindest den Stoßfänger übelst verschrammt. Das System aber erkennt, dass ich auf Kollisionskurs bin und bremst sanft ab – bei Bedarf auch schärfer, wenn der Bremsdruck des Fahrers nicht ausreicht. Ich komme etwa 20 Zentimeter vor dem Poller zum Stehen. Kein Kratzer.
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Die nächste Kurve nehme ich absichtlich viel zu eng und hätte mir an der Betonwand komplett die Seite eingedellt. Wieder greift der gute Geist ein. Er sieht, dass das nicht gut gehen kann, bremst. Die Idee dabei ist, so erklärt mir ein Techniker, dem Fahrer immer so viel Freiräume wie möglich einzuräumen, ihn aber vor den kleinen, teuren Schrammen des Alltags zu schützen. Gedacht für die kurzen unkonzentrierten Momente, die wir alle kennen, kann die Kollisionsvermeidung bares Geld wert sein. Kein Wunder, dass unter anderem Versicherungen ganz heiß auf den baldigen Einsatz sind. Der nächste Schritt laut BMW ist nun, die Sensorik so zu verfeinern, dass das Umfeld noch besser erkannt wird und vor allem dynamische Hindernisse noch präziser identifiziert werden.
BMW iDrive mit Gestensteuerung
Entgegen der früheren Doktrin gibt's demnächst einen Touchscreen im BMW-Cockpit.
Bild: Werk
Zum Thema Sensorik hat BMW aber noch was auf Lager. Im krassen Gegensatz zur früheren BMW-Doktrin werden die Münchner beim neuen Siebener ab Herbst 2015 erstmals auch ein Touchscreen anbieten. Bislang galt im Hause, dass diese Art der Bedienung zu sehr vom Verkehr ablenke, und überhaupt die fettigen Fingerabdrücke auf dem Monitor nicht zu Premiumprodukten passe. Nun aber seien die Flächen der Monitore größer, Zeilen können also von den Fingern während der Fahrt besser getroffen werden und die Reaktionszeit von Touchscreens seien ja auch deutlich schneller. Also kann man demnächst bei BMW alternierend zwischen iDrive und Touchscreen-Eingabe wählen. Oder beides gemeinsam nutzen.

3D-Kamera ermöglicht Gestensteuerung

BMW iDrive mit Gestensteuerung
Ausgewählte Funktionen lassen sich mit einfachen Gesten steuern.
Bild: Werk
Gänzlich neu wird die Möglichkeit der Gestensteuerung sein. Eine 3D-Kamera im Dach identifiziert dabei gezielte Handbewegungen des Fahrers in einem definierten Bereich zwischen Automatikhebel und Cockpit. Zu Beginn wird das System im Siebener relativ einfache Gesten umsetzen, zum Beispiel die Lautstärkenregelung des Radios (Drehbewegung der Finger), die Annahme eines Telefonats (Schnippen mit zwei Fingern) oder die Ablehnung (Wischbewegung). Bei meinem ersten gestenreichen Test setzte das System diese Befehle bereits einwandfrei um. Zudem soll es lernfähig sein, weitere Gesten könnten mit der Zeit ergänzt werden.

Fazit

von

Tomas Hirschberger
BMW fährt mit uns in die Zukunft – und wir haben das Gefühl, es könnte heute schon losgehen. Technisch scheint es kaum noch Grenzen zu geben. Jetzt sind wir gespannt, wann diese digitale Wunderwelt auch wirklich in Serie geht.

Von

Tomas Hirschberger