Von Platzhirschen und Nachwuchsböcken

Wenn ein neuer Range Rover auf den Markt kommt, ist es Zeit für einen Vergleichstest. Schließlich war es der Range Rover, der die Fahrzeugklasse der komfortablen Luxusgeländewagen begründet und definiert hat. Das war 1970, zu einer Zeit, als man die Begriffe Luxus und Geländewagen noch gar nicht unter einen Hut bringen mochte. Entsprechend ratlos nahm man zur Kenntnis, dass ein Geländewagen die Bühne betrat, der eigentlich alles hat(te): eine gediegene Ausstattung, einen kultivierten V8-Motor, eine gute Federung.

Ein Auto also, in dem man notfalls auch im feinen Zwirn querfeldein auf Ganovenjagd gehen konnte, wie Roger Moore alias Lord Sinclair in der Siebziger-Jahre-Kultserie "Die 2" demonstrierte. Nach heutigen Maßstäben wäre solch ein zweitüriger Range Rover der ersten Generation freilich ein recht dürftiges Vehikel. Viergang-Handschaltung, gerade mal 135 PS und Kurbelfenster sind nicht gerade, was man heute von einem Oberklasse-Offroader erwartet. Und mit kaum mehr als 160 km/h würde der damalige Range auch auf der Autobahn nur die rote Laterne ernten.

Aber nun, die Maßstäbe haben sich eben geändert in den letzten 30 Jahren. Einer der wichtigsten Impulse in dieser Richtung kam von der 1997 vorgestellten Mercedes M-Klasse. Erstmals hatte ein renommierter deutscher Hersteller ein Fahrzeug entwickelt, das für den Geländeeinsatz geeignet, aber primär für den Straßenbetrieb gedacht war. Genauer: für den Einsatz auf amerikanischen Highways, denn die M-Klasse wurde in Amerika und für Amerika produziert. Dass dieses Auto auch den europäischen Geländewagenmarkt komplett umkrempelte, ergab sich beinahe nebenbei. Da konnte BMW natürlich nicht tatenlos zusehen.

Wettzüchten auf 347 Pferdestärken

Nachdem schon Jahre zuvor ein entsprechendes Auto, damals unter dem Namen Z4, nahezu zur Serienreife entwickelt, dann aber doch in den geheimen Archiven versenkt worden war, präsentierten die Münchner zu Beginn des neuen Jahrtausends den X5. Noch konsequenter als Mercedes legten die BMW-Entwickler ihre Interpretation des SUV-Themas auf den Straßeneinsatz aus. Selbst Ansätze konventioneller Geländewagentechnik ließ man gleich weg; das bei der M-Klasse noch vorhandene Untersetzungsgetriebe sparte man sich ebenso wie einen getrennten Fahrwerksrahmen.

Ein klein wenig Gelände-Know-how borgte man sich von der zwischenzeitlich zum Konzern gehörigen Firma Land Rover, ­etwa die elektronische Bergabfahrhilfe HDC, die im Land trotz fehlendem Untersetzungsgetriebe für kontrollierten Abstieg im Gelände sorgt. Doch der Akzent lag beim X5 eindeutig auf dem Straßenbetrieb. Dementsprechend war auch die Ausstattung zusammengestellt ­- sowohl die serienmäßige als auch die gegen Aufpreis erhältliche. Die optional erhältlichen All-Terrain-Reifen entpuppten sich bei näherem Hinsehen als Straßen-Ganzjahresreifen, das ebenfalls als Extra käufliche Sportfahrwerk machte seinem Namen aber alle Ehre: Mit knackig-straffen Dämpfern und ultraflachen Straßenreifen ­- die hinteren noch breiter als die vorderen - wetzt der entsprechend ausgerüstete X5 behänder um die Ecken als manch so genanntes Sportcoupé. Und mit dem Temperament von 286-Achtzylinder-PS zeigte der X5 4.4i auch bei Beschleunigung und Höchstgeschwindigkeit, wo es lang geht.

Also legte Mercedes noch eins drauf, präsentierte den ML 55 AMG, mit dem von Haustuner auf 5,5 Liter Hubraum und 347 PS gebrachten V8. Ebenfalls mit Sportfahrwerk, noch spurtstärker als der X5 4.4i, noch schneller und mit serienmäßigem Karosseriebausatz eine imposante Erscheinung; nicht zu vergleichen mit den dezenten, in den Augen mancher schneller-tiefer-breiter-Fans aber zu schmalbrüstigen Normal-M-Klassen.

BMW war um eine Antwort nicht verlegen: Auf der Detroit Motor Show 2001 debütierte die Sportversion des X5, ebenfalls mit reichlich Tuning ab Werk. Noch sportlicheres Fahrwerk, noch breitere Reifen, Ausstattungsdetails der sportiven M-Linie. Und der 4,6-Liter-Achtzylinder erweitert und auf die gleichen 347 PS gebracht, wie sie auch der ML 55 AMG hat.

X5, das neue Sportwagen-Kürzel

Kaufen kann man den X5 4.6iS erst jetzt - falsch: kaufen nicht sofort, bestellen kann man ihn. Und wieder setzt er neue Maßstäbe hinsichtlich des Straßenfahrverhaltens: Nie war ein immerhin schlechtwegetaugliches Auto so sehr Sportwagen. Nicht nur Autobahnfahrten sind daher die Domäne des X5 4.6iS; auch auf kurvigen Landstraßen macht er jede Menge Spaß. Prompt und willig folgt er den Befehlen der direkten Lenkung, erreicht in seiner Klasse konkurrenzlos hohe Kurvengeschwindigkeiten ­und ist mit seinen erstklassigen Bremsen auch ruck, zuck wieder verzögert.

Dem gegenüber wirkt die M-Klasse ­- selbst mit AMG-Sportfahrwerk ­- beinahe träge. Die Lenkreaktionen sind weicher, weniger spontan, es baut sich mehr Seitenneigung auf, und der ML 55 AMG schiebt bei abruptem Einlenken im Grenzbereich deutlicher über die eingeschlagenen Vorderräder, was das ESP sofort unterbindet. Subjektiv empfindet man die M-Klasse als das mindestens zwei bis drei Zentner schwerere Auto ­- was aber nicht stimmt: Der ML 55 AMG brachte gegenüber dem BMW sogar 55 Kilo weniger auf die Waage. Dennoch bremst der ML erheblich schlechter, wenngleich in Relation zu anderen Geländewagen immer noch vorzüglich.

Der Range Rover 4.4 ist mit 270 Kilo Mehrgewicht gegenüber dem Mercedes das Schwergewicht im Test-Trio. Zudem ist er bei den Straßenfahrdisziplinen durch seine Ganzjahresreifen gehandicapt, die im Gegensatz zu den rein auf Sommerbetrieb ausgerichteten Pneus der Konkurrenten nicht nur über eine gewisse Wintereignung, sondern sogar noch über ein klein wenig Geländetauglichkeit verfügen. In Anbetracht dessen schlägt sich der Range Rover mehr als nur gut: Zwar erfolgt das Einlenken nochmals einen Tick träger als beim Mercedes, doch ist der Unterschied geringer als der zwischen Mercedes und BMW; die weit größere Fahrzeugmasse wird nur in der beträchtlichen Seitenneigung spürbar, mit der sich der Range in die Kurve wirft.

Das ESP lässt bei gleichmäßiger Fahrweise beträchtliche Kurvengeschwindigkeiten zu; bei abruptem Verreißen der Lenkung, etwa beim plötzlichen Ausweichen, greift es sehr energisch und wirksam ein. Von Längsrillen lässt sich der Brite am wenigsten von den dreien beeindrucken, die Bremsen liegen trotz der ungünstigeren Voraussetzungen auf dem Niveau des ML 55: In kaltem Zustand bremst der Range etwas (0,7 Prozent) schlechter, in warmem hingegen merklich (2,8 Prozent) besser als der Mercedes.

Neues Gardemaß im Range

Die unterschiedliche Fahrzeuggröße und Auslegung kommt auch beim Federverhalten zum Ausdruck. Der BMW benimmt sich betont sportlich-straff; auch bei ungünstig aufeinander folgenden Wellen wird keinerlei Nachschwingen, keinerlei Wanken spürbar. Dafür dringen kurze Bodenunebenheiten bei langsamer Fahrt trocken bis in die straffen Sportsitze durch. Der Mercedes gibt sich etwas sanfter. Auch er nimmt kurze Fahrbahnfugen, Kopfsteinpflaster und Kanaldeckel etwas steif und unbeholfen, filtert aber größere Fahrbahnverwerfungen souveräner. Dafür schwingt er bei schnellen Wechselkurven deutlicher nach.

Eindeutig auf der bequemen Seite liegt die Abstimmung des Range. Sorgfältig bemühen sich seine Luftfedern um wirksames Einebnen langer wie kurzer Bodenwellen ­- wobei grobe Fahrbahnverwerfungen gelegentlich ein leichtes, einmaliges Nachwiegen zur Folge haben. Dafür liegt der Abrollkomfort bei langsamer Fahrt eine Klasse über dem der Konkurrenten. Eindeutig für komfortables Reisen, weniger für sportliche Fahrer sind auch Innenausstattung und Karosserie des Range gedacht. Von der geduckten Zierlichkeit des BMW X5 ist das Flaggschiff der Marke Land Rover ein gutes Stück entfernt, er beeindruckt durch stattliches Gardemaß, vor allem auch in der Breite.

Kein Wunder also, dass der Ranger Rover seinen Insassen am meisten Platz bietet. Das gilt auch für die Rücksitze, wo man nicht nur reichlich Bein-, sondern auch fürstliche Ellenbogenfreiheit genießt. Die Bedienung macht, beinahe unbritisch, keinerlei Probleme; alle wichtigen Funktionen finden sich auf Anhieb. Ein wenig Eingewöhnung, ersatzweise ein sorgfältiges Studium der Bedienungsanleitung, ist allerdings Voraussetzung für die vollkommene Beherrschung der ungewöhnlich vielfältig steuerbaren Klimaautomatik und des Multifunktionslenkrads.

Das gilt auch für den BMW; nur eingefleischte Fahrer der weißblauen Marke bespielen die Bordelektronik auf Anhieb virtuos. Ansonsten ist alles typisch BMW: Alle Funktionen sind bequem zur Hand, das straffe Gestühl bietet guten Halt und eine konzentrierte Sitzposition für aktive Fahrer ­- keine Sessel zum Reinlümmeln. Den Fond-Passagieren würde man aber eine etwas liebevollere Ausformung der Sitzfläche wünschen. Die bietet der Mercedes; zwei Hinterbänkler haben es hier fast so bequem wie im Range. Auch vorne sitzt man gut, die Auslegung der Sitze liegt etwa auf halben Wege zwischen der Sportlichkeit des X5 und der Bequemlichkeit des Range Rover.

Mit der Bedienung eines Multifunktionslenkrades braucht man sich nicht auseinander zu setzen - die M-Klasse hat keines, auch nicht gegen Aufpreis. Den simplen Reiserechner bedient man über zwei Knöpfe an der Dachkonsole. Einige Details können nicht voll überzeugen: etwa der tief unten versteckte Heckwischerschalter oder die um den Automatikwählhebel herum verstreuten Fensterhebertasten.

Ein neuer, alter Geländesieger

Dafür bietet die M-Klasse-Karosserie am meisten Alltags-Nutzwert: Der dank wandelbarer Rückbank variable Gepäckraum ist sehr groß und leicht zugänglich. Die erlaubte Zuladung von 630 Kilo genügt auch für schweres Ladegut. Mager sieht es hier beim BMW aus: Der Laderaum ist flach, wegen der horizontal geteilten Heckklappe recht schlecht zugänglich, die erlaubte Zuladung von 390 Kilo schlicht mangelhaft.

Der Range Rover bietet einen ähnlich großen, allerdings nicht so variablen Gepäckraum wie die M-Klasse. Dank 530 Kilo Zuladung kann man ihn auch guten Gewissens voll laden, was allerdings wegen der horizontal geteilten Heckklappe Verrenkungen oder sehr lange Arme erfordert. Bei der Anhängelast liegen Mercedes und Land Rover gleichauf: Die unterschiedliche Angabe rührt daher, dass Mercedes ­ganz seriös ­die zulässige Stützlast vom erlaubten Anhängergewicht von 3,5 Tonnen abzieht, Land Rover nicht. Der BMW bietet ab Werk nur relativ spärliche 2,3 Tonnen; nur auf Sonderwunsch werden 3,5 Tonnen freigegeben ­ in Verbindung mit elektronischer Anhänger-Fahrhilfe.

Das Test-Kapitel Motor und Fahrleistungen hat zwei Sieger: Mercedes und BMW. Mit beeindruckender Vehemenz donnern die beiden davon; in unter sieben Sekunden ist die 100-km/h-Marke erreicht, und auch danach will die Beschleunigung kaum nachlassen. Ebenso imposant ist die Kickdown-Reaktion aus gleichmäßiger Fahrt. Spontan wechseln die Automaten die Übersetzung, in Sekundenschnelle ist ein Überholvorgang beendet.

Verglichen mit der Vehemenz der beiden Werkstuning-SUVs sind die Fahrleistungen des Range Rover geradezu behäbig. Schon auf 100 km/h benötigt er rund zwei Sekunden länger; bis die 160er-Marke erreicht ist, sind es sogar knapp zehn. Doch effektiv ist auch der stärkste Land Rover ein sehr schneller, souverän motorisierter Wagen, in dem kaum jemals der Wunsch nach noch mehr Leistung aufkommt.

Das Geländekapitel gewinnt der Land Rover mit so deutlichem Abstand, wie es sein Markenname verspricht. Das ist zum einen ein Verdienst seiner wenigstens ein bisschen geländetauglichen Bereifung; zum größeren Teil ein Verdienst seines ausgefeilten Allradsystems, das zusätzlich zur auf alle Räder wirkenden elektronischen Antriebsschlupfregelung auch über eine automatisch traktionsabhängige Kraftverteilung zwischen den beiden Achsen verfügt. Den wirklich großen Unterschied macht aber das ausgefeilte Fahrwerk des Range Rover aus.

V8, das Kürzel für Benzinvernichter

Obwohl auf den ersten Blick mit selbsttragender Karosserie und Einzelradaufhängungen Pkw-nah konzipiert, gehört das Fahrwerk des neuen Range zum geländetauglichsten, was der Markt in dieser Klasse derzeit zu bieten hat. Die aufwändige Luftfederung bietet nicht nur die Möglichkeit der Höhenverstellung, was für vorzügliche Boden- und Bauchfreiheit sorgt; sie erlaubt dank langer Federwege auch verblüffend gute Achsverschränkung. Ergänzt wird dieses ausgezeichnete Fahrwerk, das auch im Gelände erstaunlichen Komfort bereitstellt, durch eine während der Fahrt schaltbare Untersetzung und eine besonders pfiffige elektronische Bergabfahrhilfe.

Gegenüber diesem massiven Hightech-Aufgebot wirkt die M-Klasse beinahe blass. Zwar kommt man dank der erheblich verbesserten elektronischen Schlupfregelung weiter, als mancher denkt; aber man fühlt sich dabei, als würde man das Auto vergewaltigen. Die Achsverschränkung ist mager, so dass man in sehr welligem Gelände immer von einem Rad aufs andere kippt. Wo der Range gelassen dahin klettert, muss man im ML 55 schon gefühlvoll mit dem Gaspedal umgehen, um mit elektronischer Hilfe voran zu kommen. Die Untersetzung lässt sich nur im Stand schalten, bringt dann aber reichlich Kraft am Rad und gute Motorbremswirkung, unterstützt von einer elektronischen Bergabfahrhilfe.

Mit dem BMW ist man unter schwierigen Bedingungen vergleichsweise chancenlos; von echter Geländetauglichkeit kann man gar nicht sprechen. Eine Untersetzung fehlt ganz, Kriechfahrt ist nur durch Rühren des Motors im Drehmomentwandler möglich. Die Verschränkungsfähigkeit des tiefer gelegten 4.6 IS ist schon mit überhohen Randsteinen überfordert; den Rest muss die Elektronik durch verbissenen Bremseneingriff machen, was ihr allerdings zumindest auf leidlich griffigem Boden akzeptabel gut gelingt. Einzige Gelände-Lichtblicke: die ausreichende Bodenfreiheit und die variable, über die Tempomat-Tasten im Lenkrad regelbare Bergabfahrhilfe HDC.

Ein trauriges Kapitel sind bei allen Dreien die Kosten. Einzig der Besitz einer eigenen Ölquelle würde da helfen. Doch ob Tankrechnungen von 100 Euro alle 400 Kilometer den typischen Fahrer dieser Autos überhaupt grämen können, steht ohnehin auf einem anderen Blatt. Denn an den eiligen drei Königen ist einfach alles teuer ­- von der Anschaffung über die Extras bis hin zu den Versicherungsprämien. Nur die Steuer ist erträglich.

Fazit, Zeugnis, Preise

Die drei SUVs der Königsklasse demonstrieren den hohen Aufwand, der heute in dieser Fahrzeugkategorie betrieben wird. Der brandneue Range Rover kann sich mit seiner bequemen Karosserie und guten Geländetauglichkeit einen dünnen Vorsprung herausfahren. Der Mercedes punktet mit seinem starken Motor, ohne sich anderswo echte Schwächen zu leisten. Am betont sportlichen BMW scheiden sich die Geister: Die einen finden es toll, dass sich mit diesem SUV auch schnelle Runden auf der Rennstrecke drehen lassen - die anderen stört die schwache Geländetauglichkeit.

Punktewertung

Der BMW erreicht trotz seines bärenstarken Motors nicht annähernd die Steigunsgswinkel der Konkurrenten. Das hat entscheidend zur Platzierung beigetragen.

Technische Daten

Ein billiger Spaß sind alle drei Geländegänger nicht. Aber wer mit einem V8 liebäugelt, sollte an den Betriebskosten nicht verzweifeln: Der Fahrspaß tröstet über die größten Momente der Verzweiflung locker hinweg.