Brabus XLP 900 "One of Ten" (2022): Test, Tuning, Mercedes-AMG G 63
Warum man den 900-PS-Brabus (gar nicht so) dringend braucht
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Brabus baut den Mercedes-AMG G 63 zum 800.000 Euro teuren, 900 PS starken Pick-up um. Wir sind ihn gefahren – und sind angetan ob seiner Dekadenz!
Bild: AUTO BILD
Es sind die Blicke, die dich wieder in die Realität zurückholen. Wenn der Nebenmann an der Ampel verwirrt auf deine Radnabe schaut und dann perplex nach oben zur Fahrerkabine glotzt. Erst dann wird dir wieder bewusst, worin du gerade sitzt. Denn nach etwas Eingewöhnung fährt sich der Brabus XLP 900 "One of Ten" – 900 PS, rund drei Tonnen Leergewicht – erschreckend normal. Von engen Innenstadtgassen einmal abgesehen, aber dazu später mehr.
Zuerst müssen wir kurz klären, was das überhaupt für ein Vehikel ist. Auf Basis des Mercedes-AMG G 63 baut Brabus den Pick-up 800 Adventure XLP. XLP steht für "Extra Large Pick-up", was den Nagel bei 50 cm verlängertem Rahmen und 70 cm zusätzlicher Außenlänge mitten auf den Kopf trifft.

Die LED-Leiste auf dem Dach hat die Leuchtkraft einer kollabierten Sonne und brennt einem die Netzhaut weg.
Bild: Brabus
Portalachsen und 22-Zoll-Offroadreifen sorgen für 49 cm Bodenfreiheit und enorme Geländegängigkeit. Von diesem Pick-up wiederum entsteht in limitierter Auflage von zehn Stück die Sonderedition XLP 900 "One of Ten". 900 statt 800 PS stark, rund 800.000 Euro teuer, fette Lightbars auf dem Dach. Der Kühlergrill ist genauso rot illuminiert wie die vier Sidepipes. Ein irrer Anblick, mehr in-die-Fresse geht nicht.
Piekfeines Interieur im Brabus XLP 900 "One of Ten"
Wir sind begeistert und ziehen die Tür auf. Dank elektrisch ausfahrbaren Trittbrettern lässt sich das Cockpit easy entern. Im Innenraum leistet Brabus ganze Arbeit. Fast jeder noch so kleine Winkel ist mit feinstem gesteppten Leder ausgeschlagen, den Rest bedecken Zierteile aus Carbon und rot eloxiertem Aluminium.
Nach dem Drücken des Startknopfs erschrecken wir uns erst einmal: Das Kaltstart-Brüllen ist geradezu animalisch! Mit leichtem Schauer auf dem Rücken und unter bassigem Blubbern rollen wir los.

Die Material- und Verarbeitungsqualität des Brabus XLP ist von allererster Güte. Das alte Comand-Infotainment weniger.
Bild: Brabus
Zuerst geht es über Landstraßen, zur Eingewöhnung. Denn die braucht es bei 2,1 Meter Breite und rund 2,3 Meter Höhe. Gefühlte drei Stockwerke über den anderen Verkehrsteilnehmern ist das Abschätzen der Abstände nicht ganz einfach. Im "Comfort"-Modus schaukelt das Fahrwerk auch ganz ordentlich, die Lenkung ist dank der 325/55er-Reifen ziemlich schwammig. So muss sich Lkw-Fahren anfühlen.
Was dabei ständig mitschwimmt, ist das Wissen, 900 PS abrufbereit vor einem zu haben. Also tippen wir das Gaspedal leicht an und sind in keiner Weise vorbereitet auf das, was der XLP abzieht.
Das Getriebe schaltet runter, die Geräuschkulisse schwillt an, die ganze Karosserie bäumt sich auf, und der Dreitonner explodiert wie ein vom Katapult abgeschossener Elefant nach vorne. 4,4 Sekunden von 0 auf 100 km/h gibt Brabus an, doch schon bei Halbgas fühlt es sich schneller an.
An die Ausmaße des Autos muss man sich erst gewöhnen. Danach aber fährt es sich bei genügend Platz ganz entspannt.
Bild: AUTO BILD // Thomas Starck
Über 160 km/h regiert die Angst
Wir biegen ab auf die Autobahn und latschen auf einem unbegrenzten Abschnitt richtig durch. Vollkommen mühelos marschiert der Monster-Pick-up über die 200er-Marke. Bei 210 km/h wird abgeregelt, mit Rücksicht auf die Reifen und den hohen Schwerpunkt. Besser so, denn alles über 160 km/h fühlt sich ungesund an. Die Portalachsen jaulen mit den Reifen um die Wette, der Fahrtwind zerrt, der Aufbau wankt, während der Biturbo-V8 den Brocken gnadenlos zum Schnellerwerden zwingt.
Durch seine extreme Höherlegung blicken rückwärtige Verkehrsteilnehmer fast unter dem Pick-up hindurch.
Bild: AUTO BILD // Thomas Starck
140 km/h stellen sich als optimale Reisegeschwindigkeit heraus. Man lümmelt im weichen Leder, die Windgeräusche halten sich zurück. Zwischenspurts sind dank der schieren Kraft und des fetten Sounds inklusive lautem Wastegate-Zischen eine Riesengaudi, und wir erwischen uns dabei, wie wir weniger Leistung gar nicht mehr haben wollen.
Die Innenstadt ist so gar nicht sein Revier
Für die Autobahn wurde der Pick-up aber eigentlich genauso wenig gebaut wie für die Stadt, wohin wir jetzt fahren. Auf direktem Weg in die Hamburger Innenstadt. Wo man sich auf Landstraße und Autobahn schnell an die Abmessungen gewöhnt, wird einem hier so richtig die Monstrosität dieses Kfz bewusst.
Normalerweise gut befahrbare Straßen mutieren zu engen Gassen. Es fühlt sich an, als wollte man ein Ankertau durch ein Nadelöhr stopfen. Man blockiert jede Straße, und ständig schwingt die Angst mit, irgendwo mit den sündteuren Carbon-Kotflügeln anzuecken.
Apropos anecken, derart viele unflätige Gesten von Fahrradfahrern haben wir noch mit keinem Testwagen bekommen. Aber auch noch nie so viele Daumen nach oben, gezückte Smartphones, ungläubige Blicke, Menschentrauben auf Parkplätzen.
Durchschnittsverbrauch weit über 20 Liter
Verstehen kann man beide Seiten. Sagen wollen wir aber so viel: Beim entspannten Cruisen außerhalb der Stadt fühlt sich der Brabus nach kurzer Zeit viel normaler an, als er zunächst wirkt. Nach kurzer Eingewöhnung fährt man über Land und auf der Autobahn richtig entspannt.
Die mit Teakholz getäfelte Ladefläche ist nicht sonderlich groß. Fürs Outdoor-Frühstück zu zweit reicht der Platz aber allemal.
Bild: AUTO BILD // Christian Goes
Rational gesehen sind rund 25 Liter Durchschnittsverbrauch, der absurd hohe Preis und die im Vergleich zu den Abmessungen erstaunlich kleine Kabine und Ladefläche natürlich alles andere als gute Kaufgründe für den Brabus XLP 900 "One of Ten". Und den einzigen echten Einsatzzweck konnten wir mangels Dünen und steilem Gelände in Hamburg nicht testen. Doch auch so haben wir zwei Dinge erfahren: Dieses Auto ist handzahmer, als es tut, aber brauchen tut es kein Mensch. Und genau das macht es so faszinierend.
Fazit
Der Brabus XLT 900 "One of Ten" ist ein einziges Paradox. Komplett aus der Zeit gefallen und gleichzeitig extrem faszinierend und einfach nur geil. Das Auto bewegt sich außerhalb jeglicher Rationalität und wird trotzdem alle zehn Besitzer sehr glücklich machen.
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