Bucciali TAV8-32 V12 "Flèche d’Or" (1932): Goodwood Festival of Speed 2022
Der Bucciali mit V12 ist das faszinierendste Auto, das keiner kennt
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Was aussieht wie ein auf die Streckbank geratener alter Bugatti ist tatsächlich eines der fortschrittlichsten Autos der 1930er – und beeindruckt noch heute mit schierer Präsenz.
Bild: AUTO BILD
Gestatten, ein 1932er Bucciali TAV8-32 V12 "Flèche d'Or". Noch nie gehört? Macht nichts, wir auch nicht. Bis wir beim Goodwood Festival of Speed 2022 über ihn gestolpert sind und vollkommen weggefegt waren ob der schieren Präsenz und Ausstrahlung dieses Automobils. Knapp sechseinhalb Meter lang, so flach wie ein BMW M3, dabei ausgestattet mit 24-Zoll-Rädern und verziert mit goldenen Störchen. Da mussten wir einfach mehr herausfinden. Beim Nachforschen ergab sich: Das Auto sieht nicht nur böse aus, sondern hat eine enorm spannende Geschichte und war seiner Zeit technisch weit voraus. (Test: Die besten Detailer für Autolacke.)
Knapp einen Meter länger als eine Maybach S-Klasse
Erschaffen hat es Alberto Bucciali, ein französischer Militärpilot, der im ersten Weltkrieg diente. Nach Kriegsende versuchte er sich zusammen mit seinem Bruder als Automobil-Konstrukteur und präsentierte nach einigen Zweitakt-Versuchen dieses Monstrum. Über einen Rahmen aus Holz und Metall spannt sich eine Karosserie wie vom anderen Stern. Alleine die Abmessungen gebieten Ehrfurcht: 6,36 Meter lang, über vier Meter Radstand, dabei nur 1,48 Meter hoch.

6,36 Meter lang, gefühlt die Hälfte davon Motorhaube: Die Proportionen des Bucciali TAV8-32 V12 sind extrem.
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Auch die Proportionen sind zum Niederknien. Hinter der nicht enden wollenden Motorhaube wirkt die extrem flache Kabine mit Fenstern wie Schießscharten noch viel winziger. Zusammen mit den riesigen 24-Zoll-Rädern ergibt das eine Mischung aus Hotrod und Bugatti Royale. Verziert ist der schwarze Koloss neben Unmengen an Chrom mit zwei goldenen Störchen auf der Motorhaube, was dem Auto einen Schuss Art Déco verleiht. Vergessen Sie Maybach, Rolls-Royce und Co., hiermit ist man der wahre Boss. Würde Star Wars im Steam Punk-Stil neu verfilmt, der Bucciali wäre Darth Vaders Dienstwagen. (Das sind die besten Sommerreifen 2022.)
Vorderradantrieb und Einzelradaufhängung
Vom anderen Stern ist nämlich auch die Technik. Zumindest für die damalige Zeit. Nicht so sehr der 4,9-Liter-Voisin-V12 mit je nach Quelle zwischen 120 und 180 PS, die mit den 2,9 Tonnen Leergewicht ihre liebe Mühe haben dürften. Vielmehr ist es die Art des Antriebs. Die Kraft des Motors wird nämlich an die Vorderräder geleitet (TAV steht für "Traction Avant", Französisch für "Vorderradantrieb").

Der Storch ist eine Hommage an das Logo der Fliegerstaffel von Alberto Bucciali und ein Kunstwerk für sich.
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Dafür wurde das Aggregat um 180 Grad gedreht und das manuelle Vierganggetriebe quer zur Fahrtrichtung vor dem Motor platziert. Das erklärt nicht nur die lange Haube, sondern auch die tief liegende Fahrerkabine. Mangels Kardanwelle konnte sie nämlich deutlich tiefer platziert werden als bei der Konkurrenz. Als wäre das noch nicht Innovation genug, verfügt der Bucciali rundum über Einzelradaufhängung. Zeitgenössische Journalisten waren derart fasziniert, dass sie dem Bucciali den Titel "Fortschrittlichstes Auto Frankreichs" gegeben haben sollen.

Am Heck des TAV8-32 V12 warten gleich zwei Ersatzräder, die mit ihren 24 Zoll den enorm flachen Aufbau beinahe überragen.
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Viel half das allerdings nicht, denn Kunden zeigten dem Bucciali TAV8 in der Zeit der Weltwirtschaftskrise die kalte Schulter. Offenbar wurden nur sechs Stück jemals gebaut, die meisten davon Prototypen. Insgesamt sollen bis heute drei Stück überlebt haben. Darunter dieses beim Goodwood Festival of Speed ausgestellte Exemplar, das laut diverser Quellen das einzige jemals an einen Kunden ausgelieferte Exemplar war. "Seiner Zeit voraus" trifft selten so gut zu wie hier.
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