Flirrende Hitze liegt über der Piste, längst hat das Marinefliegergeschwader 2 hier den Flugbetrieb eingestellt, irgendwo brummt ein Traktor. Doch was ist das? Im Tiefflug jagen zwei Geschosse über die Runway, eine Schleppe von Donner, Schall und Rauch hinter sich herziehend. Kommen die Tornados zurück? Nein, keine Sorge, es handelt sich um Sportwagen der Extraklasse, und beide sind in friedlicher Mission unterwegs. Auf der einen Seite die Corvette ZR1. Keine Vette wie jede andere, sondern in Handarbeit aus erlesenen Komponenten gefertigt: Alu-Chassis, jede Menge Kohlefaser, Bremsscheiben aus Carbon-Keramik und so weiter. Und dann erst der Motor! Ein 6,2-Liter-V8, voll aus Alu, Trockensumpfschmierung, per Kompressor aufgeladen auf 647 PS. Und wehe, jetzt lästert jemand voreilig über die zentrale Nockenwelle und die Stößelstangen.

Drehmoment wie eine Güterlok

Ein Monster, ganz klar. Aber mit einem ebenbürtigen Gegner. Denn der Mercedes SL 65 AMG wird von einem nicht weniger monströsen V12-Biturbo befeuert, mit 612 PS und sagenhaften 1000 Nm Drehmoment. So was reichte früher für eine Güterlok. Doch gegen die Corvette hat er keine Chance. Die wiegt eine halbe Tonne weniger und ist, anders als der SL, ein scharfes Sportgerät. Hart, aber dank der verstellbaren Dämpfer gar nicht mal schmerzhaft. Man kann durchaus gemütlich durch die Stadt cruisen und vor dem Café gelenkig aussteigen – sofern die Bandscheiben vorher noch intakt waren.

Der V8 peitscht die Vette ohne Atemholen in irrwitzige Tempo-Bereiche

Corvette ZR1
Lass qualmen, Baby: Für gepflegte Drifts ist die Corvette ZR1 immer zu haben - aber bitte nur auf abgesperrter Strecke.
Doch ihren wahren Charakter zeigt die Vette auf der Rennstrecke. Ein respekteinflößender Extremsportler seltener Güte. Hellwach sollte man schon sein – das Heck liegt ständig auf der Lauer, dort werden schließlich 819 Nm auf die 325er-Walzen losgelassen. Und übertrieben präzise arbeitet die Lenkung wirklich nicht. Doch das ESP ist erstklassig abgestimmt, und die riesigen Bremsen verzögern mit einer Gewalt, als würde man bei voller Fahrt den Anker werfen. Da tritt einem fast das Weiße aus den Augen. Der V8 beschleunigt das Auto mit elementarer, schier unfassbarer Gewalt. Vom Fleck weg, knapp über Leerlauf, hat er Kraft bis zum Begrenzer bei über 6500 Touren. Welcher Gang? Egal. Er peitscht die ZR1 ohne Atemholen, ohne jede Pause in irrwitzige Geschwindigkeitsbereiche – die Spitze von 330 km/h ist keine Utopie. Dabei röhrt und bläst und brüllt er ab 3000 Touren zum Steineerweichen. Volles Orchester.

Der SL ist kein harter Sportler

Verglichen damit klingt der Mercedes wie ein Flöten-Quintett. Der SL ist ein anderes Auto. Klar, ein Traumwagen, gediegen, superluxuriös, komfortabel. Und im Bedarfsfall ein Cabrio. Aber ein harter Sportler ist er wirklich nicht, trotz der hohen Leistung. Er fährt sich unspektakulärer, weniger aufregend als die Corvette. Auf der Autobahn zum Beispiel auch bei hohem Tempo sehr entspannt. Vom titanenhaften V12 hört man nur ein leises Rauschen, wenn er den Zwei-Tonnen-SL mühelos wie einen Kart beschleunigt. Natürlich ist er sauschnell, aber erstens überall mindestens ein paar Zehntel langsamer als die ZR1. Und zweitens nur solange es geradeaus geht. Das aktive Fahrwerk bietet zwar auf der Straße hohen Komfort, auf der Rennpiste fehlt dem schwergewichtigen Brummer aber die wilde Entschlossenheit der Corvette. Die ZR1 kostet 135.990 Euro. Wenn man eine kriegt, denn nur 50 ZR1 kommen in diesem Jahr nach Europa. Die Stückzahlen dürften beim SL 65 AMG nicht das Problem sein, eher schon die 224.672 Euro. 88.682 Euro mehr als die ZR1. Alle Fragen sind beantwortet.
Dirk Branke

Fazit

1259 PS – da kocht der Asphalt. Und wir schmelzen dahin. Corvette ZR1 und Mercedes SL 65 AMG sind faszinierende Autos, extrem leistungsstark, exklusiv und mit überraschenden Fahrleistungen. Schön für die, die hier die Wahl haben. Meine ist eindeutig, ich bin der sportlicheren Corvette verfallen.