Platz 186 in der Bestenliste von AUTO BILD

Das erste Wiedersehen mit einer alten Liebe ist keine einfache Angelegenheit. Meistens ist man verkrampft. Vorsichtig. Zögerlich. Oft weiß man gar nicht, was man sagen soll. Und manchmal ist es geprägt von lauter Mißverständnissen. Auch Gerhard Plattner geht es so, als seine alte Liebe plötzlich wieder vor ihm steht. Rein äußerlich sieht sie immer noch aus wie der gute alte Porsche 924, den er einst gekannt hat. Aber irgend etwas stimmt da nicht.

Behutsam umrundet der 66jährige das Auto und blickt irritiert auf die kreisrunden Abdeckungen vorn und hinten an den Seitenteilen, die da gar nicht hingehören. Setzt sich ins Cockpit, das viel moderner aussieht, als er es in Erinnerung hat. Greift nach rechts zur Handbremse – und greift dabei ins Leere. "Ach, die sitzt ja links", merkt Plattner und sagt: "Es ist mindestens 15 Jahre her, daß ich in so einem Auto gesessen habe." Aber das allein ist es nicht, was den Österreicher so irritiert. Es wird allerdings noch ein wenig dauern, bis er den wahren Grund erfährt.

Es ist eine Art Gipfeltreffen, das hier in den Bergen rund um Plattners Heimatstadt Innsbruck stattfindet. Zwischen ihm, dem Langstreckenkönig, der immer noch den Rekord für die schnellste Weltumrundung in einem Auto hält. Und dem Porsche 924, dem vierzylindrigen Dauerläufer aus Schwaben. 81.129mal wurde er zusammen mit seinen Nachfolgern 944 und 968 in Deutschland verkauft. Das macht Platz 186 in der ewigen Bestenliste von AUTO BILD.

"Hausfrauenporsche " oder "Audiporsche"

Plattners Liebe zum 924 begann im April 1976, und es war ein heftiges, wildes Verhältnis, über das viel geredet wurde. Zusammen mit Bergeuropameister Rudi Lins wagte Plattner in einem 924 die Härtetour "In 30 Tagen um die Welt". Porsche wollte damit die Standfestigkeit des neuen Modells erproben und gleichzeitig für ein bißchen Publicity sorgen. Es klappte: 15 Länder und 40.000 Kilometer erfuhren Plattner und Lins in dem Sportwagen, erreichten sowohl den Polarkreis (bei minus 49 Grad) als auch Ushuala, den südlichsten Zipfel Südamerikas. Einziger Defekt: éin kaputter Stoßdämpfer. Nach nur 28 Tagen, zwei weniger als geplant, kamen sie als Helden zurück.

Es war die nötige Reifeprüfung für Porsches neuen Hoffnungsträger, der schon früh mit Imageproblemen zu kämpfen hatte. Wegen seiner Vorgeschichte als VW-Projekt. Wegen der vier wassergekühlten Zylinder, die auch noch unter der Fronthaube saßen. Und wegen der vielen Teile aus dem VAG-Regal.

Nur einige Beispiele: Die Federbeine kamen vom 1303, die Türgriffe vom Golf, der Motor aus dem VW LT 28 und dem Audi 100. "Hausfrauenporsche " oder "Audiporsche" schimpften die Leute. Mag ja alles sein. Aber fest steht: Ohne das 23.240 Mark günstige und aus dem Stand erfolgreiche Einsteigermodell hätte die damals kriselnde Sportwagenschmiede nicht überlebt.

944-Technik unter 924-Karosserie versteckt

Gerhard Plattner war da schon Hals über Kopf verliebt in den Vierzylinder. Und in seinen Nachfolger, den 944, der vom halbierten Achtzylindermotor des 928 angetrieben wurde und endlich wieder als "richtiger Porsche" galt. Im 190 PS starken 944 S fuhr Plattner (mit US-Rennfahrern und Journalisten) 1987 die "Operation Luna": In zwölf Monaten die Strecke zum Mond und zurück. 384.405 Kilometer waren das, und weil Plattner die Distanz schon nach 258 Tagen geschafft hatte, fuhr er einfach weiter und machte gleich die halbe Million Kilometer voll.

Moment mal, 944 ... 944 ... So langsam dämmert es. Das moderne Cockpit, das Plattner vorhin so irritiert hatte, das ist doch ... aus eben diesem 944, oder? Aber was hat es unterm Kleid des 924 S zu suchen? Jochen Freund (77), der sich bislang zurückgehalten hat, antwortet mit einem Lächeln: "Das hier ist ein Versuchswagen. Wir haben bei der Erprobung damals die Technik des 944 unter der Karosserie des alten 924 versteckt." Freund war Projektleiter der Vierzylinderreihe bei Porsche und hat das Auto heute mit nach Innsbruck gebracht. Er verrät: "Von diesem Auto gab es zehn Exemplare, aber dieses hier ist als einziges übriggeblieben. Meine Frau benutzt es jetzt als Stadtauto." Ach ja, und diese merkwürdigen, kreisrunden Abdeckungen vorn und hinten, die stammen von den seitlichen Reflektoren für den US-Markt.

Als Techniker war Freund oft dabei, wenn Plattner auf Rekordfahrt ging. Und brachte die nötige Gelassenheit mit, die man braucht, wenn zwei Männer wochenlang in einen engen Sportwagen gequetscht sind. Plattner beschreibt das erste Gespräch mit neuen Beifahrern so: "Ich sage denen: Einer muß das Sagen haben, und du hast das Pech, daß ich das bin." Erschwerend kommt hinzu, daß Plattner gern mal eine Kassette mit preußischen Militärmärschen ins Autoradio schiebt – zum Wachhalten.

Wenn ein Eskimo zum "Gelben Engel" wird

Der Erfolg gibt ihm allerdings recht: Nur einen ernsthaften Unfall hatte Plattner in all den Jahren, und da saß er nicht selbst am Steuer: "Das war mit einem Porsche 968 auf dem Dempster Highway in Kanada, oberhalb des Polarkreises. Der Journalist, der mich begleitet hat, ist am Steuer schneeblind geworden und in den Graben gefahren." Vier Stunden harrten die beiden Männer bei minus 32 Grad aus, bis ein Eskimo vorbeikam.

Plattner legt großen Wert darauf, kein Abenteurer zu sein. "Ich plane die Fahrten sehr ausführlich, vor der ersten Weltumrundung habe ich drei Monate recherchiert. Ein Abenteuer wird es erst, wenn man sich nicht richtig vorbereitet und etwas schiefläuft." In letzter Zeit hat sich Plattner sowieso mehr auf Spritsparfahrten verlegt, und auch dabei schaffte er einen Rekord: In einem Audi 80 TDI fuhr Plattner mit AUTO BILD-Redakteuren von Ingolstadt aus einmal um die Welt – und verbrauchte im Schnitt 3,78 Liter.

Aber zurück zum Porsche: Plattner sitzt noch immer im Cockpit des Versuchswagens. Sein Blick schweift in die Ferne, dann sagt er: "Es ist seltsam. Ich bin nur 1,70 Meter groß und kann kaum über die Haube blicken. Trotzdem fühle ich mich im 924 sehr wohl." Scheint ganz so, als könne er seine alte Liebe doch nicht so schnell vergessen ...

Von

Alex Cohrs