Diesel-Manipulation bei Mercedes?
Was Sie zur Daimler-Affäre wissen sollten

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Die Dieselaffäre bei Mercedes könnte sich ausweiten. Es drohen weitere Rückrufe, auch bei der S-Klasse. Daimler verteidigt sich. Alle Infos zum Verdacht gegen Mercedes!
(dpa/Reuters/jr/brü/cj) Der kürzlich aufgekommene Verdacht einer weiteren Manipulation von Diesel-Abgaswerten bei Mercedes könnte sich ausweiten. Laut einem Bericht der BILD am SONNTAG sind deutlich mehr Fahrzeuge betroffen als bislang angenommen. Wie ein Daimler-Sprecher bestätigte, sind Motoren mit der fraglichen Funktion nicht nur in SUVs der Modellreihe Mercedes GLK eingebaut, sondern auch in bestimmten Autos der C-, E- und S-Klasse, die deutlich weiter verbreitet sind. Daimler hält die Funktion nicht für illegal. Hier die Details zur mutmaßlichen Abgasmanipulation bei der Marke Mercedes-Benz:
Die Vorwürfe im Daimler-Abgasskandal
Wie lauten die neuen Vorwürfe?
Zunächst hieß es, bei etwa 60.000 Mercedes GLK 220 CDI mit der Abgasnorm Euro 5 sollen die Stickoxidwerte mithilfe eines Computerprogramms gesenkt worden sein – aber nur auf dem Prüfstand und nicht im täglichen Verkehr. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) habe einem früheren Bericht der BILD am SONNTAG (BamS) zufolge ein formelles Anhörungsverfahren gegen Daimler wegen Verdachts auf eine weitere "unzulässige Abschaltvorrichtung" eingeleitet.
Am 18. Mai 2019 meldete BamS, dass bei dem Verfahren ein flächendeckender Einsatz der beanstandeten Softwarefunktion entdeckt worden sei. Daimler habe bestätigt, dass sie in den Motoren OM 651 und OM 642 verbaut worden sei, also auch in Volumenfahrzeugen der C-, E- und S-Klasse.
Was genau wird Daimler vorgeworfen?
Bei den Modellen mit den Motoren OM 651 und OM 642 soll die vom KBA beanstandete Softwarefunktion eine spezielle Kühlmittel-Sollwert-Temperaturregelung aktiviert haben. Diese hält nach BILD-Recherchen den Kühlmittelkreislauf künstlich kälter und verzögert die Aufwärmung des Motoröls. Die Folge: Die Stickoxidwerte blieben auf dem Prüfstand auf einem niedrigeren Niveau, unterhalb des gesetzlichen Grenzwerts im Neuen Europäischen Prüfzyklus (NEFZ). Im Straßenbetrieb werde die Funktion dagegen deaktiviert und der Grenzwert von 180 Milligramm pro Kilometer deutlich überschritten. Die Behörde ist bereits im Herbst 2018 auf die neue verdächtige Software-Funktion gestoßen, hieß es in dem Zeitungsbericht. Weitere Emissionsmessungen bei einem GLK-Modell hätten den Verdacht erhärtet.
Was sagt Daimler zu den Vorwürfen?
Daimler betonte, man habe dem KBA die Funktion bereits im Mai 2018 erstmals dargelegt und kooperiere mit den Behörden. Aussagen über einen Rückruf oder die Zahl der betroffenen Fahrzeuge seien zum jetzigen Zeitpunkt (Mai 2019) reine Spekulation. Am 14. April hatte ein Konzernsprecher bestätigt, dass bei dem Sachverhalt die Fahrzeuge aus den Produktionsjahren 2012 bis 2015 untersucht würden. Es gebe vom KBA eine Anhörung in dieser Sache, man prüfe den beschriebenen Sachverhalt. Es liefen dazu bereits seit Monaten Gespräche.Zugleich widersprach der Konzern der Darstellung der Zeitung, wonach das KBA herausgefunden habe, dass Daimler die Programmierung der Kühlmittel-Funktion bei laufenden Software-Updates unbemerkt entferne. Laut Daimler gehören diese Updates zu einem früher angekündigten Maßnahmenpaket für mehr als drei Millionen Mercedes-Fahrzeuge. Dabei halte sich das Unternehmen an den mit dem Verkehrsministerium und dem KBA vereinbarten Genehmigungsprozess. "Die Behauptung, dass wir mit der freiwilligen Service-Maßnahme etwas verbergen wollen, ist unzutreffend", unterstrich Daimler. Daimler hatte im September 2018 mit den Software-Updates für seine Fahrzeuge begonnen, um so die Abgaswerte zu verringern.
Was wurde Daimler bislang vorgeworfen?
Zuvor hatte das KBA für rund 700.000 Daimler-Diesel wegen einer illegalen Abschalteinrichtung bei der Abgasreinigung einen Rückruf angeordnet. Darunter fiel nach damaligen Angaben des Konzerns aber nur ein Teil der Wagen, die als erste die neue Software bekamen. Die übrigen seien Teil einer freiwilligen Aktion. Daimler hatte zunächst Nachbesserungen an knapp 300.000 Dieseln in Europa angekündigt, um den Stickoxid-Ausstoß per Software-Update zu verringern. Die Zahl wurde dann im Sommer 2017 auf etwa drei Millionen aufgestockt.
Wie hoch könnte ein mögliches Bußgeld ausfallen?
Die Höhe eines möglichen Bußgeldes gegen Daimler ist nicht abschätzbar. Aber mit jedem hinzukommenden Ermittlungsverfahren wird auch bei dem Stuttgarter Konzern die Liste der Diesel-Rechtsstreitigkeiten immer länger. Immerhin: Die Mitte April bekannt gewordenen Vorwürfe sind bislang nur im Rahemen einer Anhörung ein Thema. Wegen der zuvor erhobenen Vorwürfe gibt es noch keine Strafe.
Welche Vorwürfe werden in den USA erhoben?
In den USA laufen seit 2016 Untersuchungen von Behörden, weil Dieselmodelle von Mercedes-Benz mehr Stickoxid ausstoßen als erlaubt. Das Justizministerium, die Umweltbehörden EPA und ihr Pendant des US-Bundesstaates Kalifornien CARB ermitteln, ob Daimler die Abgasreinigung rechtswidrig manipulierte. In einem ähnlich gelagerten Fall schloss Fiat Chrysler im Januar einen Vergleich über 800 Millionen Dollar Bußgelder und Entschädigungen für Besitzer von rund 105.500 Fahrzeugen. Es sei nicht auszuschließen, dass die Behörden auch bei Fahrzeugen von Mercedes Funktionalitäten für unzulässig halten, bekräftigte Daimler im Geschäftsbericht 2018. In den USA und Kanada sind außerdem Sammelklagen von Privatpersonen anhängig, weil Behörden und Verbraucher getäuscht worden seien.
Welche Verfahren laufen gegen Daimler?
Zudem gehen die Börsenaufsichten in den USA und Deutschland, SEC und BaFin, Verstößen gegen kapitalmarktrechtliche Veröffentlichungspflichten im Zusammenhang mit Dieselgate nach. In den USA reichten Anleger dazu eine Sammelklage ein. Auch in Deutschland klagten Anleger und beantragten am Landgericht Stuttgart ein Kapitalanlage-Musterverfahren. Auch viele Besitzer von Mercedes-Dieselwagen fordern vor Gerichten Schadenersatz oder versuchen über eine Musterklage gegen Kreditverträge der Mercedes-Benz-Bank den Kauf rückgängig zu machen. Alle zivilrechtlichen Klagen hält Daimler für unbegründet. Der Autobauer erklärte zuletzt im Geschäftsbericht, alle Verfahren könnten erhebliche finanzielle Folgen haben und dem Ruf des Unternehmens schaden. Wie hoch "erheblich" ist, muss Daimler nicht bekannt geben, weil alle Verfahren noch nicht abgeschlossen sind. Es ist aber mindestens ein mittlerer dreistelliger Millionenbetrag, der im Herbst für den Komplex Diesel zurückgestellt wurde.
Welche Autos waren bislang betroffen?
• Vito mit 1,6-Liter-Diesel (Motor OM 622)
• C-Klasse mit 1,6-Liter-Diesel (Motor OM 626)
• ML/GLE/GL/GLS mit 3,0-Liter-Diesel (Motor OM 642)
• GLC mit 2,2-Liter-Diesel (Motor OM 651)
• V-Klasse mit 2,2-Liter-Diesel (Motor OM 651)
• GLK 220 CDI (Motor OM 651)
• C-Klasse mit 1,6-Liter-Diesel (Motor OM 626)
• ML/GLE/GL/GLS mit 3,0-Liter-Diesel (Motor OM 642)
• GLC mit 2,2-Liter-Diesel (Motor OM 651)
• V-Klasse mit 2,2-Liter-Diesel (Motor OM 651)
• GLK 220 CDI (Motor OM 651)
Welche Konsequenzen drohen?
Aufgrund der neuerlichen Vorwürfe sind noch keine Konsequenzen absehbar. Wegen der vorherigen Manipulation muss Daimler in Deutschland die Kosten der Nachrüstung stemmen, die in die Millionen gehen dürften. Hinzu kommt der Imageschaden: Daimler genießt auf wichtigen Absatzmärkten einen tadellosen Ruf. Wenn der angekratzt wird, könnte sich das auf die Absatzzahlen niederschlagen. Zudem wächst das Klagerisiko – in Europa, vor allem aber in den USA. Bei Nachweis einer illegalen Abschalteinrichtung besteht gerade dort die Gefahr einer Klage der Behörden wie auch von Privatleuten. Nicht zuletzt könnte sich US-Präsident Donald Trump in seinem scharfen Anti-Daimler-Kurs bestätigt sehen. Er wirft Mercedes und den anderen europäischen Autobauern unfaire Praktiken beim Verkauf von Autos in den USA vor. Nicht zuletzt drohen Strafen für die Missachtung von US-Umweltgesetzen.
Wie steht Daimler im Vergleich zu VW da?
Von einer Parallele kann noch keine Rede sein, der Umfang der Manipulation fällt deutlich geringer aus. Das bezieht sich zum einen auf die Anzahl der betroffenen Autos, bei VW waren es weltweit elf Millionen, bei Mercedes sind es rund 750.000. Anfangs hatte auch VW, wie nun Daimler, bestritten, Abgasmanipulationen vorgenommen zu haben. Nun hat es den Anschein, als würde auch Daimler nur zugeben, was eindeutig erwiesen ist. Immerhin gibt es Interpretationsspielraum beim Thema Motorschutz, einige Abschaltvorrichtungen könnten tatsächlich legal sein, wenn sie der Lebensdauer des Motors dienen. Welches Ausmaß die Vorwürfe annehmen, ist derzeit noch nicht abzusehen. Von einem Dieselskandal von VW-Ausmaß ist Daimler meilenweit entfernt.
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