Die ACR ist die schnellste Viper aller Zeiten und gleichzeitig die letzte. 2017 läuft die Produktion des Hubraumriesen aus. Wir haben ihn noch mal getestet.
Fast hätten wir die Viper, die uns Michael Hauser von Geiger Cars da vom Anhänger ablädt, für einen GT3-Rennwagen gehalten. Zu anti-StVZO wirkt der gigantische Heckflügel. Mit dem Diffusor, den Flics und dem abnehmbaren Splitter an der Front sieht die ACR der GTS-R-Rennversion bis auf das Kennzeichen zum Verwechseln ähnlich. Bereits im Jahre 1999 debütierte das Kürzel ACR für American Club Racer in der ersten Generation der Viper und ziert seither das Schnellste, was Detroit in Sachen Rennstrecke zu bieten hat.
Nur die besten Zutaten sind für die Viper ACR gut genug
Mit reichlich Kohlefaser, Sportfahrwerk und einer Hochleistungsbremse wird die Viper zum Sportler.
Mit genau diesem Ansatz schickt Dodge nun auch die letzte Version der Sportwagenlegende auf die Straße. Noch konsequenter. Noch aerodynamischer. Und noch schneller. Die Komponenten, die das ermöglichen sollen, sind allesamt erste Sahne. Heckklappe, Spoiler, Unterboden, Flics, Splitter und die Motorhaube bestehen aus Kohlefaser. Erstmals in ihrer Geschichte bremst die Viper über ultraleichte Carbon-Keramik-Scheiben des Spezialisten Brembo. Die ersticken nicht nur Fading im Keim, sie verringern auch die ungefederten Massen deutlich, was wiederum der Agilität zugutekommt. Die Kühlung der Bremsen übernimmt vorn wie hinten eine direkte Kaltluftzufuhr. Fahrwerksseitig vertraut die SRT-Performance-Abteilung auf eine Bilstein Clubsport Feder-Dämpfer-Einheit. In Zug- und Druckstufe jeweils zehnfach (!) einstellbar, können die Dämpfer an Vorder- und Hinterachse per simplem Klick am jeweiligen Drehrädchen auf nahezu jedes Streckenprofil optimal abgestimmt werden. Über das Gewinde lässt sich die Karosserie auf maximal zehn Zentimeter gen Asphalt schrauben. Dadurch kommen Splitter und Diffusor in Position.
Die Kumho-Reifen sind nur bei Trockenheit zu empfehlen
Asphaltkleber: Die Reifen der Giftschlange kommen von Kumho in der Spezifikation V720.
Entsprechende Reifen liefert Kumho in der bei uns nicht erhältlichen V720-Spezifikation. Alltagstauglichkeit stand bei der Entwicklung nicht im Lastenheft, der Reifen dürfte im Regen ähnlich gut funktionieren wie ein Candle-Light-Dinner. Getriebe und Motor blieben unangetastet, lediglich die Abgasanlage erhielt zugunsten eines geringeren Gegendrucks spezielle Blenden. Im Innenraum dominieren Alcantara und Carbon, alles wirkt gut verarbeitet. Das Lenkrad ist nur in der Höhe einstellbar, die Pedalerie in der Länge. Im Zeichen des Leichtbaus wirft die ACR jegliche Dämmung und Teppiche im Kofferraum sowie neun der insgesamt zwölf Lautsprecher ihrer Audioanlage über Bord. Wer angesichts der umfangreichen Modifikationen nun mutmaßt, bei der ACR handle es sich um ein komplett neues Auto, der liegt damit goldrichtig. Denn das, was die Viper nun fahrdynamisch bringt, hat nichts mit den hölzern kurvenden und zickig lastwechselnden Basisversionen zu tun. Das Einlenkverhalten ist nicht von dieser Welt, die schwergängige Lenkung liefert überragendes Feedback. Die 295er-Vorderreifen sind jederzeit Herr der Lage und reagieren auch auf abrupten Input mit präzisem Richtungswechsel. Wenn die Reifen nach einer kurzen Anwärmphase Betriebstemperatur erreicht haben, spielt auch die Hinterachse in der höchsten Gripliga. Vom ersten Gang an bringt die Viper alle ihrer 814 Nm und 654 PS ohne nennenswerte Verluste auf die Straße. 3,6 Sekunden gibt Dodge für den Sprint auf 60 Meilen (96 km/h) an, und das erscheint mehr als glaubwürdig. Geübte Fahrer dürften ohne die Launch Control sogar noch die eine oder andere Zehntel finden. Zumal der erste Gang nach wie vor für den Standardsprint ausreicht. Dosierbarkeit und Druckpunkt der Keramikbremse sind auf sehr hohem Niveau. Die direkte Kühlluftzufuhr an Vorder- und Hinterachse soll die Bremse auch an langen Trackdays vor dem Überhitzen schützen.
Mit dem bekannten V10-Sauger geht es mächtig nach vorne
Guter Bekannter: Im Bug steckt der 8,4 Liter große V10-Sauger mit 654 PS und 814 Nm Drehmoment.
Für entsprechenden Vortrieb sorgt der bekannte V10-Sauger, dessen Kraftentfaltung in Zeiten von Downsizing und Turboaufladung nicht weniger als eine Offenbarung ist. Bis 4500/min geht es eher verhalten voran, danach bricht dann aber bis in den Begrenzer die Hölle los. Erst bei 5000/min erreicht der 8,4-Liter-Big-Block sein maximales Drehmoment von 814 Nm, die Nennleistung von 654 PS liegt bei 6200/min an. Natürlich gibt es anno 2015 deutlich effizientere Antriebe, die ihr Drehmomentplateau über Drehzahlbereiche spannen, in denen die Viper noch in den Tiefen ihrer Ventilüberschneidung stöbert. Objektiv fällt sie dadurch deutlich ab. Da, wo es zählt, beim subjektiven Eindruck, spielt die Viper dann aber in einer ganz eigenen Liga. Das Erlebnis, wenn mit steigender Drehzahl nicht nur der Puls des Fahrers zulegt, sondern auch Sound und Leistung erst so richtig zur Geltung kommen, ist ein seltenes geworden. An Faszination hat es deshalb aber kein bisschen verloren. Das gilt auch für die Sechsgang-Handschaltung. Sie ist erst dann in ihrem Element, wenn man unter Volllast die Gänge mit Vehemenz durchreißt. Dann sind die Anschlüsse der ersten vier Fahrstufen absolut perfekt und jeder Schaltvorgang ein Genuss. Der fünfte Gang ist deutlich zu lang übersetzt, der sechste taugt schließlich nur noch zum Dahingleiten. Eine Viper GTS schafft es trotzdem auf 330 km/h Topspeed, davon kann man in der ACR nur träumen. 285 km/h gibt Dodge an, 280 haben wir geschafft.
Das Aerodynamik-Paket sorgt für Abtrieb auf Rennwagen-Niveau
Extreme Aero Package: Bei 240 km/h presst der Fahrtwind die Reifen mit über 540 Kilo auf den Asphalt.
Das Extreme Aero Package baut, wie der Name schon sagt, extreme Abtriebswerte auf. Anders als etwa McLaren verzichtet Dodge auf eine aktive Aerodynamik. Die dauerhaft im Wind stehenden Flics und der Heckspoiler erhöhen den Luftwiderstand drastisch. Auf der Rennstrecke funktioniert das dafür umso besser. Bei 240 km/h presst der Fahrtwind die Reifen mit über 540 Kilo auf den Asphalt. Bei Topspeed sind es über 635 Kilogramm. Im 18-Meter-Slalom kleben die Kumhos auch bei 70 km/h noch bombenfest. Die Einlenkgeschwindigkeit wirkt eher durch die Lenkarbeit als den Grip der Vorderachse limitiert. Kein Wunder also, dass die ACR in den USA bereits für Furore gesorgt hat. Auf 13 Rennstrecken ist sie neuer Rekordhalter für Serienfahrzeuge. In Laguna Seca nimmt sie einem Porsche 918 Spyder mal eben über 1,2 Sekunden ab. Mit Randy Pobst saß beide Male derselbe Fahrer am Steuer. Dodge erfindet das Rad zwar nicht neu, beweist als Großkonzern mit dem konsequentesten Transfer vom Motorsport auf die Straße aller Zeiten aber großen Mut. Für die einen mag diese Herangehensweise eindimensional erscheinen, andere sehen in ihr einen wunderbaren Fokus auf das Wesentliche. Die Viper ACR ist ein waschechter Rennwagen für die Straße. Zudem hat sie sich in all den Jahren nie weichspülen lassen, folgt keinen Trends, kommt nicht auf einmal mit Doppelkupplungsgetriebe um die Ecke, nur um auch dem untalentiertesten Fahrer ihre maximale Performance zu offenbaren.
Die einen werden sagen, dass genau das der Grund ist, weshalb es sie ab 2017 nur noch auf dem Gebrauchtwagenmarkt gibt. Für uns gehört sie genau deshalb für alle Zeiten in den Sportwagenolymp. Eine Viper will gebändigt werden, alles, von der Kupplung über die Lenkung bis zum Schalthebel, erfordert hohe Bedienkräfte, kommuniziert dafür aber glasklar. Ein Auto für Fahrer, nicht für Poser. Und genau diesen Menschen brennt sich die Viper als ACR für immer ins Gedächtnis.
Fazit
von
André Aust
Mit ihrem ehrlichen Charakter ist die Viper einer der letzten durch und durch analogen Supersportler. Die Kombination aus 8,4-Liter-V10-Saugmotor, knallharter Sechsgang-Handschaltung und fein rückmeldender Lenkung macht jede Fahrt zum Genuss. Als ACR liegt ihr Fokus zu 100 Prozent auf der Rennstrecke, die Limits sind extrem hoch gesetzt. Noch nie war der Motorsport in einem Straßensportler präsenter, das Erlebnis selten intensiver. Ein Auto wie dieses wird es wahrscheinlich nicht mehr geben. Ein Grund mehr, die Viper in guter Erinnerung zu behalten.