Erster im Zig-Millionen-Euro-Prototyp

Es gibt zwei Arten von Auto-Studien: Fingerübungen eifriger Designer, voller Phantasie, aber ohne jede Chance, jemals das Licht der Straße zu erblicken, und jene Studien, die schon sehr seriennah sind. Nissan bevorzugt in letzter Zeit die zweite Variante. Der "Micra mm" (Tokio 2001) stellte bereits die spätere Serienversion dar. Der als "Fusion" (Paris 2000) gezeigte Wagen war in Wirklichkeit schon der Nachfolger des damaligen Primera.

Alle Achtung, solche Einzelstücke sehen meist zauberhaft aus, werden wie das Goldene Kalb beklatscht. Der Nachteil: Sie sind unfahrbar, weil sie sich gerade mal mit aller Vorsicht schieben lassen. Nissan brach letzten Montag auch mit dieser Tradition, ließ mich am Steuer des Tone Platz nehmen. Einen handgefertigten Prototyp als allererster bewegen zu dürfen – das ist auch für einen erfahrenen Motorjournalisten immer noch eine besondere Erfahrung.

Du steuerst ein Unikat, das " ... zig Millionen Euro gekostet hat" (Produkt-Manager Chris Lee), und in dem vor dir noch kein normaler Sterblicher gesessen hat. In diesem Falle ist es knapp über vier Meter lang, rund 1,70 Meter breit und 1,54 Meter hoch. Der erfolgreiche Opel Meriva läßt grüßen. Innen wie üblich fünf bequeme Plätze, unter der Haube steckt quer ein Nissan-Vierzylinder.

Anfang 2006 kommt der Tone aus England

Dessen genaue Herkunft ist egal, weil ich gebeten wurde, doch möglichst nicht schneller als 30 Sachen zu fahren. Wird gemacht. Tone, ich trage dich auf Händen. Denn in diesen Wochen dürfen dich ja noch andere Kollegen fahren. Die sollen sich auch über die gute Sitzposition, die bequem geformten Stühle und die ungeschnörkelte Armaturentafel freuen. Dazu Chris Lee: "Ein Grundsatz der Tone-Techniker ist es, die Bedienbarkeit möglichst einfach zu gestalten. Es muß alles leicht zu verstehen sein." Bravo, das kommt mir ausgesprochen entgegen, denn ich bin bekennender Gegner von Ratespielen im Auto.

Auf die Rückbank durfte ich leider nicht krabbeln, die hinteren Türen ließen sich noch nicht öffnen. Klar ist: Wenn der in England gebaute Tone Anfang 2006 auf den Markt kommt, dann läßt sich die Rückbank verschieben und natürlich auch asymmetrisch umklappen. Wobei die Sitzfläche nicht angehoben werden muß, die umgeklappte Lehne liegt bündig zum Kofferraumboden, der dafür aber eine recht hohe Ladekante hat.

Das Ladevolumen wird mit 370 Liter (nach VDA-Norm) angegeben. Zum Vergleich: Golf V oder Meriva packen 350 Liter, der gerade vorgestellte, 3,80-Meter kurze Nissan-Vetter Renault Modus schluckt rund 270 Liter. Klare Zielgruppen-Ansage vom Produkt-Manager: "Der Modus erfüllt die Bedürfnisse kinderloser Paare, der Tone ist eher was für junge Eltern mit dem ersten Kind."

Zwei Diesel und zwei Benziner zum Auftakt

Zum Produktionsstart planen die Tone-Ingenieure, vorerst vier Motoren anzubieten. Zwei (Clio-/Micra-)Diesel: dCI mit 65 und 82 PS, Abgasreinigung nach gültiger EU-Norm, vielleicht auch mit Rußfilter. Denn die Tone-Köpfe wissen, daß in Europa vor allem die Deutschen ganz laut nach dem Filter rufen. Als Benziner stehen zur Wahl: der bekannte 1.4 mit 88 PS sowie ein 1.6 mit vermutlich 110 PS. Er soll anfangs das Topmodell antreiben.

Obligatorische Schlußfrage an die Nissan-Leute: Welchen Preis darf ich für den Tone denn angeben? "Unter 13.000 Euro sind angepeilt", verrät Chris Lee. Das wäre ein Wort. Und vielleicht auch das Ende der Almera-Limousine. Vice President Patrick Pelata äußerte im kleinen Kreis die Vermutung, daß Tone und Qashqai (Studie stand im Frühjahr in Genf) den Almera eines Tages vielleicht überflüssig machen könnten. Denn wie wir dank Meriva, Fusion, Modus & Co längst gelernt haben: Die kurzen, pfiffigen Raumwunder geben in Zukunft überall den Ton an.