Die alte Frage: Wer kann es besser?

Nein! Wir erzählen sie jetzt nicht, die alte Geschichte von der Rivalität zwischen dem stolzen Enzo und dem noch stolzeren Ferruccio, die normalerweise immer dann ausgegraben wird, wenn ein Ferrari mit einem Lamborghini verglichen wird. Nur soviel: Ohne den Commendatore aus Maranello gäbe es Lamborghini gar nicht. Heute ist alles anders. Ferrari gehört zu Fiat, Lamborghini zu Audi – und Porsche baut Geländewagen. 2004 ist für persönlichen Zwist zwischen Firmenchefs kein Platz mehr. Leider. Zündstoff ist geblieben.

Zündstoff, der die alte Rivalität immer wieder aufs neue entflammen läßt. Es ist die stets gleiche Frage: Wer baut den besseren Sportwagen? Ferrari oder Lamborghini? F430 oder Gallardo? Eine Frage, die wie Donnerhall im Raum schwebt und von derart philosophischer Tragweite ist, daß kühle Logik versagt. Die Antwort fällt nach mehreren Flaschen schweren Barolos leichter als nach einer Vergleichsfahrt. Wir versuchen trotzdem, nüchtern zu bleiben. Schon der Anblick macht benommen. Viel Hochprozentigeres hat die PS-Welt nicht zu bieten. 612, 575M, Murciélago sind stärker – sportlicher sind die zwei kleinen Italiener.

Vordergründig ähnlich verbirgt sich unter den Alu-Karosserien unterschiedliches Gedankengut. Völlig neu konstruiert ist im Ferrari der 90-Grad-V8, auf dem, anders als im Vorgänger 360 Modena, zwei Vier- statt Fünfventil-Zylinderköpfe installiert sind. Das Kurbelgehäuse basiert auf dem aktuellen Maserati-Achtzylinder. 465 Nm und 490 PS lassen keinerlei Zweifel aufkommen, daß der 4,3-Liter-Treibsatz ein echtes Prachtstück ist.

F430 noch brutaler als der Vorgänger

Gestartet wird mit einem roten Knopf am Lenkrad. Im Stand grummelt die Maschine wie der Ätna kurz vor der Eruption, und schon bei einem leichten Gasstoß bricht es spektakulär aus ihm heraus: Giftig fauchend beißt er zu. Mit voller Wucht trifft die Pranke des Raubtiers den Rücken des Fahrers. Der Schub ist brachial. Erst bei 8500 Umdrehungen beendet der Drehzahlbegrenzer den Vortrieb. Die Kraftentfaltung ist noch brutaler, noch spontaner und noch faszinierender als beim "nur" 400 PS starken Vorgänger.

Vom 360, den der F430 ablöst, übernimmt er lediglich Türen, Dach und Hauben. 70 Prozent des Mittelmotor-Coupés sind neu. Auch vor Maranello macht die Retrowelle nicht halt. So hat Pininfarina die Front in Anlehnung an das Haifischmaul des Ferrari 156, des Formel-1-Weltmeisterwagens von 1961, gestaltet. Die Lufthutzen im Heck zitieren den Ferrari 250LM, mit dem Jochen Rindt 1965 die 24 Stunden von Le Mans gewann.

Natürlich mußte sich der Zweisitzer im hauseigenen Windkanal beweisen. Dort entstanden geschlitzte Spiegelhalter, die Kühlluft in die hinteren Einlässe führen, Frontspoiler samt verkleidetem Unterboden sowie der Heckdiffusor. Die aerodynamischen Maßnahmen erzeugen maximal 280 Kilo Abtrieb und ermöglichen mehr als 315km/h. Mit dieser Ziffer übertrifft er eine der wichtigsten Vorgaben im Lastenheft und ist schneller als der Gallardo. Der bringt es auf nur 309 km/h und ist beim Null-auf-100- Spurt 0,2 Sekunden langsamer. Damit ist er nicht, was Ferruccio immer sein wollte: besser als Ferrari.

Gallardo stets mit optimaler Traktion

Seit Lamborghini zu Audi gehört, geht der ewige Zweite noch konsequenter eigene Wege. Der Gallardo ist sicherlich der beste Lambo aller Zeiten. Erstaunlich, wie gut die Italo-Ikone Deutsch gelernt hat. Das Cockpit spricht bayrisch. Zündschlüssel, Klimaanlage, Displayanzeigen und Bedienung stammen unverkennbar aus Ingolstadt. Markentypische Eigenarten wie scharfkantige Karosserie und weit vorn liegende Fahrgastzelle hat Audi dem Adoptivkind gelassen. Im Vergleich zum Ferrari ist die Übersicht im Gallardo aber katastrophal. Hohes Heck, flaches Dach und dicke A-Säulen verbauen den Blick in alle Richtungen.

Kein Knopf; der Stier startet konventionell per Schlüsselumdrehung. Hell singt der Anlasser los. Erst nach einer ewigen Sekunde springt der Fünfliter an. Wie ein hochkarätiges Schmuckstück liegt der Zehnzylinder unter einer Glasscheibe, die gegen 4060 Euro Aufpreis angeboten wird. Ein absolutes Muß; denn das 500-PS-Aggregat muß man sehen. Leistung und Zylinderzahl des Gallardo liegen näher an der Formel 1 als die des Ferrari. Doch puristischer fährt sich der F430.

Der Grund dafür liegt im Antriebskonzept. Beim Lambo schieben nicht nur die Hinterräder das Auto vorwärts, sondern auf griffigem Untergrund leitet eine Visco®-Kupplung 30 Prozent der Kraft an die Vorderachse. Bis zum Grenzbereich sorgt diese Auslegung für ein sensationell neutrales Fahrverhalten. Dann allerdings offenbart der permanente Allradantrieb seine Nachteile. Ist die Haftgrenze erreicht, zeigt die Flunder trotz heckbetonter Kraftverteilung eine Untersteuertendenz. Das macht sie beherrschbar und sicher. Doch für einen Supersportwagen sind derartige Neigungen eigentlich nicht erwünscht. Vorzüge hat das System indes auf nasser oder verschneiter Straße. Hier wird die Antriebskraft so optimal zwischen den vier Rädern verteilt, daß der Gallardo stets das Optimum an Traktion erreicht. Damit ist der Lambo ein gutes Ganzjahresauto, für das es sogar speziell entwickelte Winterreifen gibt.

Technische Daten Lamborghini Gallardo: V10-Mittelmotor, längs vor der Hinterachse • vier Ventile je Zylinder • vier obenliegende Nockenwellen • Hubraum 4961 cm3 • Leistung 368 kW (500 PS) bei 7800/min • max. Drehmoment 510 Newtonmeter bei 4500/min • permanenter Allradantrieb • automatisiertes Sechsganggetriebe • Einzelradaufhängung • ESP • zwei elektronische Sperrdifferentiale • innenbelüftete Scheibenbremsen • Länge/Breite/Höhe 4300/1900/1165 mm • Radstand 2560 mm • Tankinhalt 90 Liter • Leergewicht 1640 Kilo • Beschleunigung 0–100 km/h in 4,2 Sekunden • 1000 Meter in 22,3 Sekunden • Höchstgeschwindigkeit 309 km/h • Preis ab 139.200 Euro

Lamborghini zwingt Ferrari zum Aufrüsten

Derartige Optionen sind bei Ferrari kein Thema. "Unsere Kunden fahren nicht im Schnee", sagt Amedeo Felisa, Technikchef für Straßenwagen in Maranello. "Der Verzicht auf Allrad spart rund 70 Kilo." Dennoch: Die Lambo-Offensive zwingt Ferrari zum Aufrüsten. Das Gegenmittel der Roten heißt Elektronik-Differential und wurde aus der Formel 1 adaptiert. Eine Hydraulik steuert zwei Kupplungen in den Antriebswellen, die so wie eine Sperre funktionieren. Der Kraftfluß wird je nach Lenkwinkel, Gaspedalstellung, Querbeschleunigung und Raddrehzahl zwischen starrem Durchtrieb und Kraftabgabe auf nur ein Rad variert. Ebenfalls aus Schumis Dienstwagen: die Stabilitäts- und Traktionskontrolle CST, die mit Drosselklappen, Bremsen, Sachs-Stoßdämpfern und automatisiertem Sechsganggetriebe vernetzt ist. Am Lenkrad kann der F430-Pilot zwischen fünf Charakteristika wählen – von handzahm bis knallhart. Im Ferrari merkt man die Nähe zur GP-Piste in jeder Kurve.

Eine Nähe, die dem Stier fehlt. Der F430 wirkt noch schubkräftiger und noch kurvengieriger als der Gallardo. Doch nach zügiger Fahrt über Bergstraßen hat auch der Lambo-Lenker ein breites Grinsen im Gesicht. Enzo hätte das gefallen. Ferruccio auch.

Technische Daten Ferrari F430: V8-Mittelmotor, längs vor der Hinterachse • vier Ventile je Zylinder • vier obenliegende Nockenwellen • Hubraum 4308 cm3 • Leistung 360 kW (490 PS) bei 8500/min • max. Drehmoment 465 Newtonmeter bei 5250/min • Hinterradantrieb • automatisiertes Sechsganggetriebe • Einzelradaufhängung • 5-Stufen-CST (ESP) • elektronisches Sperrdifferential bis 100 Prozent • innenbelüftete Scheibenbremsen • Länge/ Breite/Höhe 4512/1923/1214 mm • Radstand 2600 mm • Tankinhalt 96 Liter • Leergewicht 1450 Kilo • 0–100 km/h in 4,0 Sekunden • 1000 m in 21,6 Sekunden • Höchstgeschwindigkeit 315 km/h • Preis ab 140.000 Euro