Selbst FIA-Präsident Jean Todt sah sich jüngst genötigt, ein Fingerklopfen für alle Formel-3-Piloten zu veranlassen. Es gab eine Belehrung für den Nachwuchs von höchster Stelle, offensichtlich nötig geworden durch die alarmierenden Abflüge von Lance Stroll in Monza und Gustavo Menezes in Spa. Beide hatten sich bei Formel-3-Läufen mit ihren Konkurrenten derart bis aufs Blut duelliert, dass es zu heftigen Überschlägen auf den Hochgeschwindigkeitsstrecken kam. Auch wenn sich beide Fahrer unverletzt aus ihren Wracks befreien konnten, sorgten die Aktionen bei vielen Experten für Kopfschütteln.
Coulthard
Ex-Pilot David Coulthard ist entsetzt über die Art und Weise, wie der Nachwuchs mittlerweile Rennen fährt
Einer von ihnen ist David Coulthard. Der Ex-Formel-1-Pilot bemängelt: „Die Fahrstandards in den unteren Kategorien sind nicht wirklich gut. Vor allem gemessen daran, wie teuer es ist, dort zu fahren: Mindestens 750.000 Euro für eine Saison.“ Coulthard schüttelt im Gespräch mit AUTO BILD MOTORSPORT den Kopf. „Als ich in den Nachwuchsformeln unterwegs war, konnte man es sich überhaupt nicht leisten einen Unfall zu bauen. Wenn man gecrasht ist, hatte man anschließend kein Budget mehr, um für den Wiederaufbau des Autos zu bezahlen. Da scheint heutzutage eine ganz andere Mentalität unter den jungen Kerlen zu herrschen.“
Der Schotte ist überrascht, sagt mit ironischem Unterton: „Sie müssen entweder alle aus sehr reichen Familien stammen oder sind richtig verzweifelt. Sie sind einfach zu wild. Das mag für die Fans zwar vielleicht ganz spektakulär sein, aber für die Jungs ist es viel zu teuer, wenn man seinen Weg nach oben schaffen will.“ Der ganze Sport habe sich nun einmal verändert. „Früher war es gerade im Nachwuchsbereich so, dass alles viel privater ablief. Es war ein Hobby am Wochenende und unter der Woche hat man etwas anderes gemacht“, erinnert sich Coulthard. „Heute ist alles komplett auf den Sport ausgelegt, die Teams sind total professionell. Und daher ist die ganze Sache auch viel mehr vom Geld gesteuert.“

Nur Strafen helfen wirklich

Fast eine Million Euro kostet eine Saison im hochklassigen Nachwuchsbereich mittlerweile. „Ich frage mich immer, wo man dieses Geld findet?“, fragt Coulthard. „Diese Summen haben sich in den letzten Jahren leider viel zu schnell gesteigert und sind für ein junges Talent, das ja auch noch gar nicht weiß, ob es für ganz oben wirklich gut genug ist, viel zu viel.“ Dass trotz der enormen finanziellen Belastung auf der Strecke dann so unachtsam gefahren wird, kann der Ex-McLaren-Pilot nicht nachvollziehen. Einen Rat, wie man dieser Entwicklung Einhalt gebieten kann, hat der Schotte aber sehr wohl: „Wenn jemand eine Dummheit macht, sollte man ihn einfach mal für ein Rennen sperren.“
Crash in Monaco
Viel Edelschrott: In den Nachwuchsklassen wird trotz hoher Kosten munter draufgehalten und riskiert
„Es ist bei allen jungen Leuten so: Sie brauchen Grenzen. Bei uns allen war es doch auch nicht anders... wenn du eine große Strafe bekommen hast, dann erinnerst du dich daran. Als Erwachsener vielleicht nicht mehr so sehr, weil du unabhängiger bist und anders im Leben stehst“, sagt Coulthard, der glaubt: „Wenn man den Schrott, der in fast jedem dieser Rennen verursacht wird einmal zusammenrechnet, kommt man wahrscheinlich jedes Mal auf 50.000 bis 100.000 Euro. Das ist verdammt viel Geld in der richtigen Welt, das im wahrsten Sinne des Wortes einfach gegen die Wand gefahren wird - von ein paar junge Typen, irgendwo zwischen dem Spielen an der Playstation und dem Auswählen von Mädchen auf Tinder. Zehn Likes und dann wird zwischendurch wieder ein bisschen renngefahren“, spottet der 44-Jährige.
Generation Playstation: Das neue F1-Game von Codemasters

Verstappen eher eine Ausnahme

Der Vizeweltmeister von 2001 spricht aus Erfahrung. „Ich sehe es bei meinem Sohn. Er spielt Rennspiele und wenn er abfliegt, dann tut das nicht weh, weil er einfach auf Neustart drückt. Das verändert natürlich die Mentalität.“ Eine große Schelte also für die ‚Generation Playstation’, der auch in der Formel 1 mindestens die Hälfte des aktuellen Fahrerfeldes angehört. Erst von kurzem war dort beispielsweise Kritik an Max Verstappen aufgekommen. Jacques Villeneuve hatte nach Verstappens Kollision mit Romain Grosjean in Monaco und dem mit harten Bandagen geführtem Duell mit Pastor Maldonado in Spielberg seinen Unmut über die Fahrweise des erst 17 Jahre alten Holländers geäußert.
Maldonado & Verstappen
Kampf mit harten Bandagen: Gegen Pastor Maldonado ging Max Verstappen wieder einmal ans Limit
„Jacques spricht diese Sachen vielleicht noch direkter an und er ist Weltmeister, sein Wort hat also definitiv Gewicht“, findet Coulthard im Interview mit AUTO BILD MOTORSPORT. „Ich persönlich denke aber, dass Max’ Manöver in Österreich gerade noch so im Rahmen waren.“ Villeneuves Kritik und Sorge versteht er trotzdem. „Es ist halt immer ein schmaler Grat. Was mich persönlich stören würde, ist wenn sich der Vordermann in der Bremszone bewegt, denn wir haben ja schon oft gesehen, dass es dann passieren kann, dass man auffährt und das Auto abhebt.“
Anders als in Monte Carlo kam es in Spielberg diesmal aber nicht zur Kollision. „Und wenn man den Crash in Monaco mal außen vorlässt, zeigt Max beachtliche Leistungen und baut ja auch nicht die ganze Zeit Unfälle. Er ist unter den Youngstern also eher die Ausnahme als die Regel“, findet Coulthard. „Max macht einen tollen Job. Er muss wirklich talentiert sein, denn kein noch so großer Einsatz von väterlichem Engagement macht aus einem durchschnittlichen Fahrer einen guten“, kann sich der Schotte einen Seitenhieb auf Verstappens Vater Jos, seines Zeichens ebenfalls Ex-F1-Pilot und nun Dauergast in der Toro-Rosso-Box, nicht verkneifen.

Von

Frederik Hackbarth