Bereits kurz vor dem Start machte Nico Rosberg seinem Teamkollegen Lewis Hamilton am Sonntag 26. Juli) klar, dass mit ihm in Budapest zu rechnen sein würde. Der Deutsche kam etwas zu spät zur Schweigeminute für Jules Bianchi. Während die Kollegen bereits Arm in Arm einen Kreis bildeten, schlüpfte Rosberg von hinten in die Formation der Formel-1-Fahrer – und zwar ausgerechnet neben Hamilton. Der Brite sah das nicht kommen und erschreckte sich kurz. Vielleicht war das bereits ein erstes Psychospielchen Rosbergs, der abermals anzeigten wollte, dass er immer in Hamiltons Rücken lauert und man auf ihn aufpassen muss. Wenig später bestätigte Rosberg das. Erst im Interview vor dem Start, dann auf der Strecke. "Lewis weiß, dass ich angreife. So ruhig ist der schon nicht", sagte der Mercedes-Pilot, bevor die Ampeln ausgingen.

Kollegen-Zoff am Funk

Ungarn GP 2015
Schon am Start gerieten die Silberpfeile ins Hintertreffen und mussten beide Ferraris ziehen lassen
Rosberg kam anschließend trotz seines Startplatzes auf der schmutzigeren Seite besser weg als Hamilton und schnappte sich den Briten noch vor Kurve eins. Seine Freude wurde allerdings dadurch getrübt, dass von hinten gleich beide Ferraris an dem Mercedes-Duo vorbeischossen. Doch zum Verschnaufen war keine Zeit. Bei der Anfahrt zur Schikane in Runde eins verbremste sich Hamilton, rodelte durch den Kies und fiel auf Position zehn zurück. Nach dem verpatzten Start war es der zweite von insgesamt drei groben Schnitzern des sonst so coolen Weltmeisters im Rennen am Sonntag. Im Anschluss an die Aktion beschwerte sich Hamilton am Funk auch noch über Rosberg. "Nico hat meine Linie geschnitten und mich abgedrängt", fand der Brite.
Der Rennbericht aus Budapest: Vettel gewinnt in Ungarn
Die TV-Zeitlupen zeigten etwas anderes, denn Hamilton versuchte an einer unmöglichen Stelle zu überholen und auch Mercedes-Boss Niki Lauda befand später: "Das war Quatsch." Mit der starken Pace des Mercedes arbeitete sich Hamilton im Verlauf des Rennens anschließend wieder auf Rang vier vor, ehe das Safety Car nach dem Abflug von Nico Hülkenberg auf die Strecke kam. Kaum bog das Schrittmacherfahrzeug wieder ab, zeigte sich Hamilton abermals so ungeduldig wie in Runde eins - und abermals ging das in die Hose. Gleich in Kurve eins knallte er Daniel Ricciardo in die Seite. Zwar konnten beide Autos weiterfahren, doch Hamilton musste anschließend in Runde 52 an die Box, um seinen Frontflügel zu wechseln.

Strafe für Rambo-Hamilton

Silberpfeil
Im Nachhinein kassierte Hamilton (r.) für seine Aktion gegen Ricciardo (l.) eine Durchfahrtsstrafe
Kaum war er wieder auf der Strecke und auf Position 13 zurückgefallen, ereilte ihn eine Nachricht von der Rennleitung: Durchfahrtsstrafe für das Verursachen des Unfalls mit Ricciardo. „Jungs, es tut mir leid“, zeigte der WM-Spitzenreiter am Teamfunk umgehend Einsicht. Immerhin für diese gab es von Lauda später sogar Lob. "Lewis hat seine Fehler gleich zugegeben und damit ist das Thema auch durch. Nächstes Mal macht er es wieder besser", glaubte der Österreicher. Hamiltons Glück im Unglück war das Pech des Teamkollegen, denn in Sachen WM-Wertung betrieb er trotz seines von Patzern durchzogenen Rennens mehr als nur Schadensbegrenzung. Der Brite baute seinen Vorsprung sogar noch um vier Punkte aus.Rosberg sah lange Zeit schon wie der neue WM-Führende aus, lag auf Platz zwei und fuhr mit Vettel um den Sieg. Wie Hamilton zuvor, geriet dann aber auch er mit Ricciardo aneinander. Der Australier versuchte es in der Schlussphase in Turn eins mit der Brechstange, schlitzte Rosberg dabei den linken Hinterreifen auf. Der Wiesbadener schaffte es zwar zurück an die Box, um sich neue Pneus zu holen, verlor dabei aber viel Zeit und kam nur noch auf Platz zehn zurück auf die Piste. In den letzten Runden machten beide Mercedes dann noch ein paar Plätze gut, doch mehr als Rang acht für Rosberg und Position sechs für Hamilton war nicht mehr drin.

Schade, hart & ekelhaft

Hamilton
Hamilton wusste selbst: Bei seinem Rumpel-Auftritt in der Puszta bekleckerte er sich nicht mit Ruhm

"Lewis wird sich heute über sich selbst ärgern und Nico über den unverschuldeten Unfall mit Ricciardo", resümierte Lauda und behielt mit seiner Einschätzung Recht. "Ich bin heute überhaupt nicht zufrieden. Es war ein schlechter und schwieriger Arbeitstag. Und um ehrlich zu sein, habe ich nicht viele Antworten", räumte Hamilton ein. "Ich muss mich beim Team entschuldigen und werde versuchen das alles im nächsten Rennen wieder zurechtzurücken." Die Laune von Stallgefährte Rosberg war wenig besser. "So ein Mist! Mann o Mann!", lautete die erste Reaktion des Wiesbadeners. "Sport ist manchmal verdammt hart und ekelhaft. Sehr schade, wie es heute für mich gelaufen ist", befand Rosberg, der durch die Ricciardo-Aktion binnen weniger Sekunden vom potenziellen WM-Führenden zum Ungarn-Pechvogel wurde.
Vettel im Siegerinterview: Gleich viele Siege wie Senna
"Dadurch, dass er es total übertrieben hat und von der Linie abgekommen ist, während ich auf der Ideallinie geblieben bin, war das meinem Verständnis nach meine Kurve", so Rosberg. "Dann darf ich die Strecke am Ausgang eigentlich auch nutzen. Aber er hat irgendwie noch seinen Frontflügel dazwischen gebracht", schilderte der Mercedes-Star den Crash aus seiner Sicht. Die Rennleitung verhängte für den Vorfall allerdings keine Strafe. Rosberg: "Man muss der FIA vertrauen. Wenn die sich das angeguckt und gegen eine Strafe entschieden haben, dann ist das so." Nicht die Regelhüter, sondern sein eigenes Team sollte Rosberg allerdings einmal fragen, warum es ihn überhaupt in diese brenzlige Situation brachte.

Die falsche Reifenwahl

Rosberg
Rosberg war im Ziel angefressen: Statt dem möglichen Sieg und der WM-Führung blieb ihm nur Platz acht
Hätte man Rosberg beim zweiten und letzten planmäßigen Boxenstopp in der Safety-Car-Phase die weichen Reifen aufgezogen, hätte der Deutsche das Rennen wohl gewonnen. Konkurrent Vettel an der Spitze hatte diese Möglichkeit nicht, da er zuvor nur die weichen Pneus eingesetzt hatte. Laut Reglement müssen beide Mischungen zum Einsatz kommen, Vettel musste am Schluss also auf den harten Reifen fahren. Bei Hamilton setzte Mercedes auf die gleiche Reifenstrategie wie bei Vettel. Rosberg hätte durch seinen Mittelstint auf den harten Reifen am Ende also eigentlich einen großen Vorteil gehabt. Da der weiche Pneu in Ungarn über eine Sekunde schneller als der harte war, hätte es für den Silberpfeil-Piloten mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Sieg gereicht. Demonstriert wurde das auch durch die Pace von Daniel Ricciardo, der trotz des schwachen Renault-Motors in seinem Red Bull am Ende der flotteste Mann im Feld war und auch die schnellste Rennrunde erzielte.
Was sonst noch in Budapest passierte: Ungarn GP im Splitter
Nur wegen seiner weichen Reifen konnte der Australier Rosberg überhaupt attackieren und in die Kollision kurz vor Schluss verwickeln. "Die Reifen-Entscheidung hinter dem Safety Car hat heute nicht geklappt. Ich bin sehr spät reingerufen worden, da war ich schon auf Höhe Boxeneingang. Deswegen hatte das Team wohl keine Zeit mehr, mir weiche Reifen statt der harten zu geben - auch wenn das sicher besser gewesen wäre", erklärte Rosberg. Bitter für den 30-Jährigen, denn auch in puncto Haltbarkeit hätte bei dieser Taktik kein Risiko für ihn bestanden. 20 Runden dauerte der Schlussspurt vom Ende der Safety-Car-Phase bis zum Ende des Rennens. Manor-Pilot Will Stevens fuhr am Sonntag, beim längsten Stint auf dem weichen Reifen, mit 26 Umläufen deutlich über dieser Distanz.

Historische Silberpfeil-Pleite

Boxenstopp
Zweimal harte Pneus: Mit der Reifenwahl tat Mercedes Rosberg in Budapest nun wirklich keinen Gefallen
Unter dem Strich stand für die Silberpfeile in Budapest damit das schlechteste Rennen seit langem zu Buche. Erstmals seit dem Beginn der Hybrid-Ära in der Formel 1 2014 stand kein Silberpfeil-Pilot auf dem Podium. In diesem Jahr schafften es vor dem Lauf in Budapest sogar immer beide Autos aufs Podest. Für Hamilton endete mit seinem Rumpel-Auftritt in der Puszta ebenfalls eine ganze Reihe an Rekordjagden. 18 Rennen hintereinander sammelte der Brite immer Führungsrunden – diesmal nicht. Auch war er 16 Mal in Folge auf dem Podium gelandet, was in dieser Kategorie die zweitlängste Serie in der Königsklasse überhaupt bedeutete. Michael Schumacher hatte dieses Kunststück zwischen 2001 und 2002 gleich 19 Mal geschafft.

Von

Frederik Hackbarth