22 Jahre ist das schwarze Wochenende von Imola mittlerweile her, als beim San Marino Grand Prix im Qualifying erst Roland Ratzenberger verunglückte und im Rennen am 1. Mai Ayrton Senna. Den Unfall des Brasilianers sieht Roland Ratzenbergers Vater Rudolf nur einen Tag nach dem Tod seines Sohnes ebenso live im TV. „Ich war damals schon der Meinung, dass diese zwei Unfälle verstärkt dazu dienen sollen, um die Sicherheit in der Formel 1 zu verbessern und das ist ja auch gelungen“, findet Rudolf Ratzenberger heute. „Sie haben eine Welle ausgelöst. Aber wäre das nicht passiert, dann sind die beiden umsonst gestorben“, sagt er, als AUTO BILD MOTORSPORT ihn anlässlich des traurigen Jubiläums zum Gespräch trifft.
Im Gedenken an Roland Ratzenberger - Teil 1: Vor 22 Jahren in Imola
Curva Villeneuve
Senna und Schumacher durchfahren am 1. Mai 1994 die Villeneuve-Kurve, in der Ratzenberger verunglückte
Der Österreicher hat einen sehr offenen Zugang zu den Ereignissen von damals gefunden. „Ich habe das hingenommen, es ist so passiert“, erklärt er seine Herangehensweise, mit dem Schicksalsschlag umzugehen, die auch dafür gesorgt hat, dass er heute ohne Verbitterung über das Thema sprechen kann. „Im Nachhinein haben meine Frau und ich uns oft auch gesagt: Was wäre, wenn der Roland gelähmt wäre? Oder – und da spielt jetzt natürlich auch das fürchterliche Schicksal von Michael Schumacher mit rein – dass wir uns denken: Das hätte auch passieren können.“ Schumacher lag nach seinem Skiunfall 2013 viele Monate im Koma und wird mittlerweile in seinem Haus in der Schweiz betreut – über seinen genauen Zustand ist der Öffentlichkeit wenig bekannt.
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„Man muss sich vielleicht etwas schlimmeres vorstellen“, erklärt Ratzenberger in Bezug auf den tödlichen Unfall seines Sohnes und relativiert: „Es ist zwar das schlimmste, was passieren kann, dass einer das Leben verliert. Es gibt für Eltern aber glaube ich noch schlimmere Szenarien als den plötzlichen Tod und diese Gewissheit, dass es eben vorbei ist.“ Seit dem Grand Prix in Imola vor über zwei Jahrzehnten, den Schumacher damals gewann (im Aufmacherfoto oben ist er mit den anderen Piloten bei einer Gedenkminute für Ratzenberger vor dem Start des Rennens zu sehen), hat in der Königsklasse anschließend kein Pilot mehr sein Leben lassen müssen.
Bianchi
Jules Bianchi bei der 20-Jahres-Gedenkfeier für Ratzenberger und Senna in Imola am 1. Mai 2014
Dann verunglückte im Oktober 2014 Jules Bianchi in Suzuka. Erschreckend: Wenige Monate zuvor war der junge Franzose als Teil des Ferrari-Teams selbst noch in Imola vor Ort, um an den Unfallstellen von Ratzenberger und Senna einer Gedenkfeier zum 20. Todestag beizuwohnen. Dass Bianchi der nächste Fahrer auf der traurigsten Liste der Formel 1 werden sollte, war damals noch unvorstellbar. Doch neun Monate nach seinem Japan-Crash verstarb das große Talent 2015 an den Folgen seiner Verletzungen. „Wenn so etwas passiert, ist man natürlich furchtbar betroffen“, sagt Rudolf Ratzenberger.
Für ihn steht fest: „Es kommen bei so etwas immer sehr viele unglückliche Momente zusammen, damit so ein Unfall überhaupt passieren kann. Dass genau dort ein Abschleppwagen steht ist unglaublicher Zufall.“ Der Österreicher ist überzeugt, dass die Formel 1 in ihrem Streben nach besserer Sicherheit auch heute noch lange nicht am Ende ist. „Gerhard Berger, den ich wirklich sehr gerne mag, hat neulich gesagt: 'Die Formel 1 wird immer langweiliger.' Aber ich bin schon der Ansicht, dass die Sicherheit vorgeht und man die Fahrer nicht mehr mit offenen Cockpits rausschicken sollte“, spricht er sich für Lösungen wie den Cockpitbügel Halo aus.
Ratzenberger
Roland Ratzenberger fuhr seine erste Formel-1-Saison
Nach den Todesfällen von Imola hatte die Formel 1 schließlich auch neue Wege in Sachen Sicherheit beschritten. „Allein das HANS-System hat unheimlich viel gebracht“, erinnert sich Ratzenberger senior, der sich bei derlei Debatten aber eigentlich lieber im Hintergrund hält. Von Zeit zu Zeit besucht der 82-Jährige heute noch als Zuschauer den Sport-Talk von Red Bull in Salzburg, der unweit seiner Wohnung stattfindet. Dort traf er neben alten Weggefährten seines Sohnes wie Berger auch schon auf die neue Fahrergeneration und einen ihrer Wortführer in Sachen Sicherheit: „Sebastian Vettel habe ich zweimal im Hangar-7 getroffen, ein sehr sympathischer Bursche“, erzählt Ratzenberger.
Die Berührungspunkte zur aktuellen Formel 1 sind indes über die Jahre weniger geworden. Außer, es passiert etwas – so wie im Fall Bianchi, der dafür sorgte, dass auch bei Ratzenberger wieder die Telefone klingelten. „Wenn es so einen Unfall gibt, wird man schon manchmal wieder kontaktiert und gefragt, was man dazu meint“, erklärt er den Umgang mit der Presse, der in Ratzenbergers eigenem Fall auch nicht immer ganz unproblematisch ablief. Was betroffene Familien mitunter aushalten müssen, erlebte er 1994 nach dem Unfalltod seines Sohnes am eigenen Leib. Etwa als er das österreichische Nachrichtenmagazin News aufschlug: „Ich war Abonnent dieser Zeitung und natürlich tief entsetzt, dass sie ein Bild vom blutüberströmten Roland drucken“, erinnert sich Ratzenberger.
Österreich
Österreichische Flagge an der Unfallstelle in Imola
Einem bösen Brief an den Chefredakteur folgte zwar eine halbseidene Entschuldigung, doch was Ratzenberger am meisten ärgerte: „Es war nicht nur das Foto vom Roland. Sie haben auch ein Gespräch mit meiner Frau so gebracht als wäre es ein Interview gewesen – das war es aber nicht.“ Auch wenn Ratzenberger findet, dass die unsägliche 'News'-Eskapade der einzige negative Umgang mit Journalisten gewesen sei, stand sie doch in großem Kontrast zu der Bedeutung, die die Presse vor dem Unfall von Imola für ihn und seine Familie hatte. In einem ganz anderen Kommunikationszeitalter, ohne Internet oder Skype, diente sie nämlich vor allem als Verbindung zum Sohn. „Das meiste über Roland haben wir damals tatsächlich über die Zeitungen erfahren“, erinnert sich Rudolf Ratzenberger.
Sein Sprössling lebte wegen des Jobs längst in Japan und Monaco. „Angerufen hat er vielleicht alle drei Monate mal. Aber Weihnachten war er immer daheim. Meistens ins Begleitung einer anderen hübschen Dame“, lacht Ratzenberger senior. Bei einem dieser Besuche brachte Roland Ratzenberger dann auch Khadija mit, ein somalisches Topmodell und seine damalige Freundin. Die Eltern ahnten da noch nicht, zu welchen Problemen das nach Rolands Tod führen würde. „Für mich ist es immer noch total unverständlich, wie sie später reagiert hat. Ein schwarzes Kapitel in der ganzen Angelegenheit“, sagt Ratzenberger senior heute und erklärt: „Zum Zeitpunkt des Unfalls waren sie und Roland schon getrennt – aber sie wollte es nicht wahrhaben.“
Die Folge: „Die Dame ist noch fünf Monate lang nicht aus Rolands Wohnung in Monaco ausgezogen. Dreimal haben wir versucht in die Wohnung zu kommen, sind aber immer gescheitert. Sie hat nicht aufgemacht. Kurzum: Am Ende mussten wir die Miet- und Renovierungskosten tragen.“ Ratzenberger senior will das Thema nicht breittreten, „weil es mich aufregt“. Freunde rieten ihnen anschließend zur Klage, doch die Ratzenbergers verzichteten darauf. Die letzte unrühmliche Episode, die es nach dem Unglück zu ertragen gab, war das gleichwohl nicht.
Simtek
Ratzenbergs Unfallwagen: Der Simtek Ford S941
„Die FIA wollte Rolands Unfallhelm untersuchen, den wir aber gar nicht hatten sondern die italienische Staatsanwaltschaft. Erst hat es der Bemühungen der österreichischen Konsulin in Bologna bedurft, damit wir ihn überhaupt zurückbekommen – und dann haben sie uns den Helm in einem ganz fürchterlich schlechten Karton geschickt, eingepackt in einen schwarzen Mistsack. Da habe ich schon schon kurzzeitig an den Italienern gezweifelt“, erinnert sich Ratzenberger, der heute damit abgeschlossen hat und einen sehr besonnenen Umgang mit den ganzen Ungerechtigkeiten an den Tag legt. Doch vielleicht trug dieser bittere Vorgeschmack auch dazu bei, dass man sich einen Prozess bezüglich Rolands Unfall in Italien lieber gleich ganz sparte.
„Die italienische Staatsanwaltschaft hat uns mehr oder weniger aufgefordert, Klage zu erheben. Ich habe aber von vornherein gesagt, dass ich das nicht will. Das dauert Jahre, du brauchst Anwälte, die sich im Ausland auskennen, musst zigmal runterfahren“, sagt der Österreicher. „Für uns hätte das nur unnötige Aufregung und Aufwand bedeutet und heraus kommt sowieso nichts. Später hat sich all das bewahrheitet: Selbst beim großen Senna ist nichts rausgekommen“, erklärt Ratzenberger und fügt mit Blick auf seinen Sohn an. „Was wäre dann bei einem Nobody der Formel 1 herausgekommen? Da bin ich Realist: Es hätte keinen Sinn gehabt. Zurückgekommen wäre der Roland davon auch nicht...“

Von

Frederik Hackbarth