Die Formel 1 schreibt viele gute Geschichten. Manche sind spektakulär, andere amüsant oder einfach nur absurd. Die von Antonio Giovinazzi ist all das, vor allem aber unglaublich. Rückblende: 27. November 2016, Yas Marina Circuit, Abu Dhbai. Giovinazzi muss sich im letzten Rennen seiner Rookiesaison im Formel-1-Unterhaus GP2 Teamkollege Pierre Gasly geschlagen geben, wird Vizemeister. Etwas später am gleichen Tag krönt sich ein gewisser Nico Rosberg zum Champion in der Königsklasse.
Sauber
Giovinazzi gibt in Australien am Sonntag sein F1-Debüt
Wenn damals jemand Giovinazzi erzählt hätte, dass nicht einmal vier Monate später eben jener Rosberg ein Foto twittern wird, auf dem der amtierende Weltmeister als F1-Renter auf der Couch zu Hause in Monaco vor seinem Fernseher sitzt - und in diesem Giovinazzi zu sehen ist, wie er gerade in Melbourne sein Formel-1-Debüt gibt - hätte einen wohl nicht nur der junge Italiener selbst für verrückt erklärt. Doch genau das ist am Samstag passiert.

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Zugegeben: Für Rosbergs' Weltmeister-Silberpfeil hat es zwar nicht ganz gereicht, diese Ehre wurde bekanntlich Valtteri Bottas zuteil. Aber in das Cockpit eines anderen Deutschen durfte Giovinazzi am Samstag trotzdem klettern. Pascal Wehrlein musste seinen Start in Australien absagen. Die Fitness des Mercedes-Juniors spielt nach seinem unglücklichen Crash beim Race of Champions in Miami noch nicht mit. Bereits in der ersten Wintertest-Woche der F1 musste Wehrlein deswegen aussetzen - und wurde in Barcelona zwei Tage lang von Giovinazzi vertreten.
Wehrlein muss passen: Fitness reicht nicht für Start
Giovinazzi
Gestatten: Antonio Giovinazzi
Dass er nun aber tatsächlich zum Einsatz kommen würde, davon hätte der junge Italiener nicht zu träumen gewagt. Stichwort Träumen: Die Entscheidung Wehrleins und seine damit verbundene Berufung erreichten Giovinazzi erst am Samstagmorgen, weil er schon schlief als Sauber ihn am späten Freitagabend kontaktierte. „Ich habe erst heute morgen davon erfahren, als mir Ferrari und mein Manager eine Textnachricht geschickt haben. Sie haben mich in der Nacht schon informiert, aber da war es schon zu spät und ich bereits im Bett“, lacht Giovinazzi.
„Ich habe das Ganze heute Früh zunächst für einen Witz gehalten und gedacht, jemand erlaubt sich einen Spaß mit mir“, verrät Giovinazzi, immer noch leicht ungläubig. „Erst danach ist mir klargeworden, was da jetzt eigentlich passiert. Es ist ein Kindheitstraum, der auf einmal wahr wird!“ Viel Zeit für sentimentale Gedanken hatte der 23-Jährige allerdings nicht. Sofort ging es ab zur Strecke und nach ein paar Besprechungen mit den Ingenieuren saß er im Abschlusstraining am Vormittag auch schon im Auto.
Ferrari
Eines Tages soll Giovinazzi im Ferrari sitzen
„Ich war natürlich schon etwas nervös, weil ich die Strecke noch nicht kannte“, gibt Giovinazzi zu. Wenig später ging es auch schon mit dem Qualifying weiter. Und der Neuling wusste auf Anhieb zu überzeugen. Gleich war er im Konzert der Großen bei der Musik und hätte um ein Haar sogar Teamkollege Marcus Ericsson geschlagen. Der Schwede, immerhin schon seit 2014 in der Formel 1, schaffte es erst in seiner letzten Runde sich mit knappen zwei Zehnteln vor Giovinazzi zu schieben und diesen auf Platz 16 zu verdrängen, was den Italiener einen sensationellen Einzug in Q2 kostete.
Zum Vergleich: Lance Stroll, der einzige andere Rookie im aktuellen Feld, der mit der Millionen-Mitgift seines Vaters ins weitaus bessere Williams-Cockpit gekauft wurde, schaffte am Samstag trotz vieler Testkilometer nur Rang 19. Auf seinem finalen Versuch hatte Giovinazzi zudem noch zwei kleine Fehler drin, es war also noch mehr möglich. Trotzdem freute sich der Italiener: „Ich denke die Performance heute war ganz gut, ich bin sehr glücklich damit“, grinste er nach dem Qualifying. Für den Sonntag lautet sein Ziel: „Keinen Fehler machen und das Rennen beenden. Dann schauen wir, wo ich ankomme.“
Italien
Die italienische Tricolore ist wieder in der F1 vertreten
Der allererste Einsatz auf größerer Motorsport-Bühne ist es aber nicht für Giovinazzi. 2015 durfte er in Moskau zwei DTM-Läufe für Audi absolvierten - ebenfalls als Ersatzspieler, für den damals gesperrten Timo Scheider. Weil dieser am Wochenende davor im Skandalrennen von Spielberg ausgrechnet Pascal Wehrlein von der Strecke geschoben hatte! Auch damals war der Deutsche also schon Schicksalsfigur für Giovinazzi. So wie nun in Melbourne, wo er am Sonntag der 84. Italiener wird, der einen Grand Prix absolviert - und nach sechs Jahren der erste Pilot aus der stolzen Autofahrer-Nation Italien, der wieder an der Formel 1 teilnimmt.
Beim Brasilien GP 2011 war das in Person von Jarno Trulli und Tonio Liuzzi zuletzt der Fall. „Es ist toll und wichtig für Italien, wieder einen Italiener in der F1 zu haben. Es ist ein wichtiger Sport für Italien. Aber jetzt muss ich hart arbeiten, um auch hier zu bleiben“, weiß der mit 1,83 m für einen Rennfahrer extrem großgewachsene Giovinazzi, der seit diesem Jahr Mitglied des Nachwuchskaders von Ferrari ist.
SF70-H
Giovinazzi mit Räikkönen, Vettel und dem SF70-H
Im Februar erst durfte er an der Seite der Weltmeister Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen bei der Teampräsentation in Maranello den neuen SF70-H enthüllen. Eines Tages soll Giovinazzi der nächste Italiener im roten Renner der Scuderia werden. Am Sonntag ist es aber erst einmal nur ein Ferrari-Vorjahresmotor, den er im Heck von Saubers C36 um die Strecke im Albert Park bewegen wird. Danach wird Giovinazzi in jedem Fall um einige Erfahrung reicher sein - und um die Erkenntnis, dass es manchmal ganz schnell gehen kann. Im Leben, vor allem aber in der Formel 1.

Von

Frederik Hackbarth