Mit dem Riecher fürs große Geschäft

Die Stimme ist leise, der Händedruck weich. Zurückhaltend, beinahe schüchtern stellt sich der Mann vor: "Alexander Shnaider." Mit kritischem Blick, aber nicht unfreundlich, taxiert er sein Gegenüber. Dann fliegt ein Lächeln über sein Gesicht. "Schöner Tag heute. Als ich gestern ankam, war es kalt. Fast wie in Moskau." Small talk.

Alexander Shnaider (36), in St. Petersburg geborener Kanadier, ist vorsichtig. Denn er bewegt sich auf ungewohntem Terrain. Er besucht die Dallara-Fabrik in Varano de Melegari, wo sonst Renner für die Formel 3 und die IRL gefertigt werden. Hier, in Italien, 20 Kilometer nordwestlich von Parma, soll der neue Midland-F1-Renner entstehen. Grund genug für eine Hausvisite, Shnaiders Antrittsbesuch in der ihm noch fremden Welt der Formel 1.

So richtig scheint er dort noch nicht angekommen zu sein. Die Welt der Hochfinanz ist sein Zuhause. Mit Partner Dr. Eduard Shifrin ist Shnaider Inhaber der Holding Midland Group. Was Anfang der 90er Jahre als Firma für Stahlhandel begann, ist heute ein weltweiter Konzern für Rohstoffgewinnung und -verarbeitung, Stahl- und Energiehandel, Transport, Kommunikation, Hoch- und Tiefbau sowie Agrarkultur. Das Hauptquartier ist Toronto in Kanada, Shnaiders Wohnsitz. Midland unterhält Niederlassungen in 34 Ländern und beschäftigt rund 50.000 Mitarbeiter. Mit seinem bisher untrüglichen Gespür fürs richtige Geschäft zur richtigen Zeit soll sich Shnaider geschätzte vier Milliarden Euro Vermögen erarbeitet haben.

Mißerfolg, was ist das?

Und nun also Formel 1. Warum eigentlich? "Weil Olympische Spiele und die Fußball-WM nur alle vier Jahre stattfinden", sagt Shnaider. Nur die seien, wie die Formel 1, von weltweiter Bedeutung. Außerdem "ist Motorsport ein toller, faszinierender Sport". Somit ein idealer Werbeträger für die Midland-Gruppe. Während Shnaider über die globale Bedeutung der Formel 1 referiert, von Synergien redet, die er zum Wohle seiner vielen Firmen zu nutzen gedenkt, sitzt er völlig relaxt auf dem Stuhl. Sparsame Gesten begleiten seine Worte, nur selten hebt er die Stimme.

Sachlich nüchtern pariert er den Einwurf, die Formel 1 sei doch hauptsächlich perfekt funktionierende Geldvernichtung. "Davor habe ich keine Angst. Es kommt darauf an, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Dann ist man auch erfolgreich." Basta! Ist diese Selbstverständlichkeit, mit der Alexander Shnaider über das Erreichen von Zielen redet, sein Erfolgsgeheimnis?

So zerstreute er auch mit einem Satz die Bedenken von Gian Paolo Dallara (69), dem Chef der Rennwagenschmiede. Bis zum ersten Kontakt mit Shnaider am 4. September war der noch der Meinung, nur mit einem Automobilwerk im Rücken könne man in der Formel 1 erfolgreich sein. "Wir haben doch ein Werk – Midland", sagt Shnaider. Kein Anflug von Zweifel. Mißerfolg, was ist das?

Gerechnet wird mit Kosten-Nutzen-Faktor

Zur Zeit sucht Shnaider die richtigen Leute für sein Team. Mit Gary Anderson (einst Technikchef bei Jordan und Jaguar), der als Kandidat für den Posten des Technischen Direktors gilt, habe man gesprochen. "Aber das ist nur einer von vielen Leuten, mit denen wir zur Zeit reden." Bis Mitte Dezember sollen Formel-1-Spezialisten für Aerodynamik, Mechanik und Karbon-Kevlar-Verarbeitung für den Chassisbau eingestellt sein. In diesen Tagen beginnt auch der Bau der neuen Formel-1-Fabrik. Wo Dallara jetzt die erfolgreichen Rennwagen für die Formel 3 und die US-Ovalserie Indy Racing League produziert, herrscht drangvolle Enge. Deshalb entstehen auf dem Firmengelände eine neue Fertigungshalle sowie ein Bürogebäude fürs Midland-F1-Projekt.

Im Spätsommer 2005 soll der erste Renner des neue GP-Teams zum Testen ausrücken. Mit welchem Motor? Wieder nur Andeutungen von Shnaider: "Wir suchen einen Partner mit Erfahrung beim Liefern von Kundenmotoren." Deshalb nutzte er seinen Italien-Trip auch zu einem Besuch in Maranello und verhandelte dort eine Stunde mit Ferrari-Generaldirektor Jean Todt. Ohne Ergebnis. "Wir suchen weiter nach dem Triebwerk mit dem besten Kosten-Nutzen-Faktor." Eine höfliche Umschreibung dafür, daß ihm Ferrari-Power zu teuer ist?

Nur selten legt sich Shnaider fest: Ein russischer Fahrer wird 2006 zum Team gehören, zumindest als Testfahrer. Auch daß er für einen Rußland-GP in St. Petersburg wirbt. Und daß er vor allem langfristig plant, "denn Erfolg kommt nicht über Nacht". Zehn Jahre gibt er sich, den Traum vom Formel-1-Sieg zu realisieren. Daß das Projekt den Anstrich hat, reicher Mann sucht sich Spielzeug, stört Shnaider offenbar nicht. Mit einem Grinsen beugt er sich vor und raunt augenzwinkernd: "In Rußland heißt es: Wer nichts riskiert, trinkt nie Champagner." Alexander Shnaider mag Champagner.