Der grüne Envision-Jaguar hängt am Haken. Hier sind mehr als nur die Krallen gebrochen. Sébastien Buemi (34) ist mit seinem neuen Elektro-Raubtier gerade bei hoher Geschwindigkeit in die Streckenbegrenzung gekracht. Er ist unverletzt, aber wortkarg: „Es war nicht mein Fehler.“ Mehr ist dem Schweizer nach dem wilden Crash bei den Testfahrten in Valencia nicht zu entlocken.
Es war der fünfte schwere Unfall mit den neuen Gen3-Autos. Zuvor hat es bei Privattests schon Théo Pourchaire, Oliver Rowland, Sam Bird und Lucas di Grassi erwischt. Sie alle wurden durchgeschüttelt, blieben aber unversehrt.
Die Formel E absolvierte ihre Testfahrten in Valencia
Bild: McLaren

Der Schreck sitzt tief. Mit den neuen Gen3-Autos startet die Elektro-Serie am 14. Januar in Mexiko in ihre neunte Saison. Es soll der Beginn einer neuen Ära werden. Die optischen Änderungen am Fahrzeug sind sicht-, aber vernachlässigbar. Entscheidend ist, was unter der Haube steckt. „Mit diesen Autos wollen wir die Standards bei der Elektrofahrzeug-Technik setzen“, kündigt Serienchef Jamie Reigle an.
Konkret sieht das so aus: Die Leistung steigt um 100 kW – im Rennen auf 300 kW (408 PS), im Qualifying sogar auf 350 kW (476 PS). Die 51 Kilowattstunden große Batterie ist rund 100 Kilo leichter – was die rasante Entwicklung auf diesem Gebiet belegt: Von 385 Kilogramm geht’s runter auf 284. Das Auto insgesamt speckt um 120 auf 780 Kilo ab.
Mehr noch: In 30 Sekunden können die Elektro-Flitzer durch Schnelllade-Boxenstopps wieder aufgeladen werden. Und: 600 Kilowatt rekuperieren sie selbst – 250 davon durch einen eigens dafür eingebauten Frontmotor, 350 kW an der Hinterachse. Das ist so viel, dass die Formel E sogar auf eine hydraulische Bremse verzichtet – weil die Verzögerung beim Rekuperieren ausreicht.
So weit die Theorie. In der Praxis hat das die schweren Unfälle zur Folge. Die Ursachen waren vielfältig, die Konsequenz aber dieselbe: Die Piloten konnten die bis zu 320 km/h schnellen Rennwagen nicht mehr rechtzeitig verzögern.
Die neuen Autos der Formel E sorgen noch für Probleme
Bild: DS

Ein mechanisches Notfall-Bremssystem wird gerade entwickelt, ist aber nicht für den Saisonauftakt fertig. Also wird die Strecke in Mexiko umgebaut. Eine Zusatzschikane soll verhindern, dass die Autos unkontrolliert schnell werden. Auch die Schnellladestopps wird es in Mexiko noch nicht geben. „Neue Technologien stellen immer eine Herausforderung dar“, rechtfertigt  sich Technikchef Xavier Mestelan-Pinon.
Trotz mehr Leistung und weniger Gewicht sind die Rundenzeiten nur eine halbe Sekunde schneller geworden. Das liegt an den härteren Reifen von Hankook, die dafür langlebiger sind. Schnellster war ein Deutscher: Maximilian Günther (25). Sein Maserati-Team fuhr auch die meisten Kilometer aller Teams (1695). Wie gewohnt ist das Feld eng beisammen: 18 Fahrer lagen innerhalb einer Sekunde, zehn sogar innerhalb einer halben Sekunde.

Von

Michael Zeitler