Die Vorstellung ist allzu verlockend: Statt zweimal pro Jahr Räder zu wechseln, können Ganzjahresreifen 365 Tage am Auto bleiben. Das spart Kosten, denn ein zweiter Satz Reifen schlägt locker mit 800 bis 2000 Euro zu Buche – dazu kommen Lagerkosten und Montageaufwand. Aber wie sieht es mit Fahreigenschaften, Sicherheit und Komfort aus? Immerhin muss ein Ganzjahresreifen den Spagat zwischen Sommer- und Winterreifen hinkriegen. AUTO BILD ALLRAD hat sieben Kandidaten getestet: Vredestein Quatrac 5, Michelin CrossClimate, Falken Euroall Season AS 200, Goodyear Vector 4Seasons, Hankook Kinergy 4S H740, Star Performer Winter AS und Dunlop Grandtek ST1 All Season. Unsere Experten stellten fest: Bei Ganzjahresreifen sind die Unterschiede deutlich größer als bei Tests von reinen Sommer- und Winterreifen. Trotzdem schaffte ein Kandidat eine erstaunlich große Bandbreite zwischen den Wetterextremen – auf Schnee fast so gut wie ein Winterreifen und in den Sommerdisziplinen nur beim Aquaplaning einem Sommerreifen unterlegen!
Das saisonale Räderwechseln im Frühling und im Spätherbst ist ein zentraleuropäisches Phänomen. Die Deutschen machen es murrend, aber freiwillig, ebenso die Österreicher und die Schweizer. Die Italiener wechseln erzwungenermaßen, weil die dortige Staatsregierung inzwischen nicht nur gegen Raucher drastisch vorgeht, sondern auch gegen reifenwechselmüde Autobesitzer: In Italien gilt faktisch Winterreifenpflicht für den Winter, aber auch Sommerreifenpflicht für den Sommer, übrigens auch für Urlauber aus dem Ausland. Warum das Ganze? Weil die beim Umgehen von Gesetzen stets kreativen Italiener nach Einführung der Winterreifenpflicht einfach das ganze restliche Jahr mit ihren Winterreifen durchgefahren sind, um sich die verhasste und teure Räderwechselei und die Anschaffung eines zweiten Radsatzes zu ersparen. Aber wie sieht es sonst auf der Welt aus? Amerikaner, Australier, Chinesen, Russen, Inder, Afrikaner – glauben Sie wirklich, dass dort wie bei uns 90 Prozent der Autofahrer zwei Rädersätze für ihr Auto haben und zweimal pro Jahr brav zum Räderwechsel in die Werkstatt fahren oder ächzend selbst zu Wagenheber und Radkreuz greifen? Nein, selbstverständlich nicht. Das machen allenfalls Autobesitzer in Gegenden mit speziellem Klima, meist Bewohner von Gebirgsregionen. Doch die überwältigende Mehrheit der weltweiten Autobesitzer fährt jahrein, jahraus mit dem gleichen Reifen durch die Gegend. Klar, in Südostasien, Mittelamerika oder Afrika kann man bedenkenlos das ganze Jahr mit Sommerreifen unterwegs sein, weil es einen Winter mit Schnee und Eis dort nicht gibt. Und in Kanada, Skandinavien, Alaska und den nördlichen Regionen Russlands fahren viele ganzjährig mit Winterreifen, weil es sich wegen der paar Wärmemonate und der geringen gefahrenen Geschwindigkeiten nicht lohnt, auf schnelle Sommerreifen zu wechseln.
Im Überblick: Alle Reifentests

Zweiter Satz Räder bringt erhebliche Zusatzkosten

Und was macht der Rest? Der fährt mit Ganzjahresreifen. Die sind bei uns eine Randerscheinung im heimischen Reifenhandel, weltweit aber extrem wichtig und beliebt. Denn die allermeisten Autofahrer machen sich nicht die Mühe eines saisonalen Reifenwechsels und sind erst recht nicht bereit, dafür Geld ausgeben. Der zweite Satz Räder kostet in der Anschaffung 800 bis 2000 Euro, dazu zweimal jährlich Montagekosten von mindestens 20 Euro plus Anfahrtskosten plus Zeitaufwand. Und da sind aktuelle wie künftige Zusatzkosten und Zusatzärger wie das Neukalibrieren von empfindlichen Reifendrucksensoren noch gar nicht berücksichtigt. Also Ganzjahresreifen auch bei uns? Der Gedanke ist verlockend. Und war schon immer verlockend. Denn bereits seit 30 Jahren gibt es auch in Deutschland Ganzjahresreifen, die ihren Namen verdienen. Es kommt allerdings auf die eigenen Ansprüche und das eigene Sicherheitsbedürfnis an – damals, aber auch noch heute, wie unser aktueller Test mit Ganzjahresreifen für Allradautos belegt.

Optimum an Sicherheit nur mit Sommer- und Winterreifen

Wir haben je einen Sommerreifen und einen Winterreifen bei allen Messungen mitgetestet: Der Sommerreifen musste auch auf Schnee antreten, der Winterpneu auch bei Sommertemperaturen auf warmem Asphalt. Unsere Messungen zeigen, dass manche Ganzjahresreifen nahe am Winterreifen liegen, beispielsweise Vredestein und Hankook. Manche liegen eher näher am Sommerreifen, beispielsweise der Michelin. Den erstaunlichsten Spagat schafft der holländische Vredestein: auf Schnee fast so gut wie ein Winterreifen und in den Sommerdisziplinen nur beim Aquaplaning einem Sommerreifen deutlich unterlegen. Enttäuscht haben uns der billige No-Name-Reifen Star Performer, aber auch der teure Dunlop, beide mit mäßiger Schnee und Nässehaftung. Trotz aller Fortschritte gilt also: Wer das Optimum an Sicherheit will, muss nach wie vor saisonal Räder wechseln.
Die wichtigsten Testergebnisse haben wir in der Bildergalerie zusammengefasst. Den kompletten Artikel mit allen Daten und Tabellen gibt es im Online-Artikelarchiv als PDF-Download.

Bildergalerie

Test: Allrad-Ganzjahresreifen in 215/60 R 16
Test: Allrad-Ganzjahresreifen in 215/60 R 16
Test: Allrad-Ganzjahresreifen in 215/60 R 16
Kamera
Test: Ganzjahresreifen für SUVs (215/60 R 16)