Ich arbeite zwar bei AUTO BILD, aber in die Redaktion komme ich meistens mit dem Bus. Denn die Hamburger Rushhour zerrt an den Nerven. Am Fensterplatz kann ich durch die leicht erhöhte Position wunderbar in die Cockpits vorbeifahrender Autos schauen. Dabei sehe ich leider viele Dinge, bei denen ich mich frage: "Geht's noch?" Und was ich heute Morgen sehen musste, hat mich zugleich entrüstet und enttäuscht.
Ein alter Golf 4 – wohlgemerkt ohne jegliche Assistenzsysteme, die einem in unaufmerksamen Momenten aus der Patsche helfen. Am Steuer saß eine junge Frau, in der Hand nicht das Lenkrad, sondern ihr Smartphone. Und zwar nicht, um damit zu telefonieren, sondern um während der Fahrt eine Runde Candy Crush zu spielen. Für alle, die es nicht kennen: Das ist ein Handyspiel, bei dem man mit Süßigkeiten gefüllte Spielfelder lösen muss. Die Fahrerin hatte dazu beide Hände am Handy! Klar, denn das nächste Level will auch erreicht werden. Da macht es nichts, ein paar Dutzend Meter im Blindflug zurückzulegen im chaotischen morgendlichen Stadtverkehr. Aber das reicht noch nicht: Auf der Rückbank saßen zwei kleine Kinder. Keine Pointe.
Da frage ich mich nur: "Geht's noch?" Fehlt meinen Mitmenschen heutzutage jegliches Verantwortungsbewusstsein? In jedem zweiten Auto, an dem ich im Bus vorbeifahre, sehe ich einen Fahrer am Handy. Dabei ist das Handy am Ohr noch die harmlosere Variante mit wenigstens einer Hand am Steuer, die aber auch vergleichsweise selten anzutreffen ist. Viel häufiger sehe ich aber die Whatsapp-Schreiber oder die Googler, die zum Tippen beide Hände benutzen. Einige lesen auch munter Artikel auf dem Smartphone oder beantworten schon mal eine Mail für die Arbeit. Schon klar, ihr habt die Situation im Griff. Der Verkehr rollt, ihr rollt mit. Aber was, wenn der Autofahrer vor euch plötzlich in die Eisen geht? Was, wenn unerwarteter Weise ein Gegenstand auf die Straße rollt? Oder wenn euch auf einmal ein Kind vors Auto läuft? Das ist schon gefährlich, wenn voll konzentriert beide Hände am Steuer und beide Augen auf die Straße gerichtet sind!Natürlich, manchmal ist es wirklich wichtig. Aber dann fahrt doch kurz rechts ran. Oder wartet zumindest eine rote Ampel ab. Rechtlich ist natürlich auch hier das Smartphone nicht erlaubt (der Motor muss abgeschaltet sein, Start-Stopp zählt nicht!). Aber wenn ihr steht, ist das Risiko wenigstens etwas kleiner, euch oder andere zu gefährden. Wollt ihr telefonieren, besorgt euch doch eine Freisprecheinrichtung – die gibt es schon ab 20 Euro. Positioniert das Handy in einer Halterung, da habt ihr es im Blick, ohne es in der Hand zu halten. Und wenn euch langweilig ist, hört eure Lieblingsmusik oder einen Podcast. Aber spielt doch bitte kein Candy Crush!
Übrigens, ich habe auch schon sehr lustige (aber auch nicht weniger gefährliche) Situationen beobachten können. Einmal sah ich einen Fahrer mit einer aufgeklappten Pizzaschachtel auf dem Beifahrersitz (um acht Uhr morgens! Kann man da überhaupt schon Pizza kaufen?). Und als er ein Stück aus der Schachtel nahm, fiel ihm leider der komplette Belag auf seine Hose. Ich musste furchtbar laut lachen und in dem Moment dachten vermutlich die Mitfahrer über mich: "Geht's noch?"