Hausbooturlaub in Brandenburg
Wozu gibt's eigentlich Autobahnen?

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Mit 10 km/h über die Wasser-Straße: Ein System von Kanälen, Flüssen und Seen in Ostdeutschland ist wie geschaffen für entspannte Tage ganz weit weg vom Alltag. Und man benötigt nicht einmal einen Führerschein.
Morgens um sieben ist nichts zu hören bis auf das leise Plätschern der Wellen. Es ist auch nichts zu sehen: Undurchdringlicher Nebel hängt noch über dem Hafen. In weiße Watte gewickelt, liegt die "Potsdam" gut vertäut am Steg. Doch auch wenn sie nur mit Schnürsenkeln am Ufer befestigt wäre, könnte die Besatzung genau so selig träumen, denn es gibt weder Strömung noch Sturmgefahr in diesen Gewässern: Die "Potsdam" ist ein knapp 15 Meter langes Hausboot, unterwegs auf der Havel im nördlichen Brandenburg.

Inzwischen hat Locaboat wie auch andere große und kleine Hausbootfirmen die Gewässer in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg erschlossen, und die sind eine Welt für sich: Etwa 2600 Kilometer befahrbare Wasserstraßen mit Kanälen, Seen und Flüssen bilden eines der größten Binnenreviere Europas mit zahlreichen Naturreservaten, idyllischen Städtchen und abwechslungsreicher Landschaft. Dazu gehört auch die Uckermärkische Seenplatte zwischen Lychen und Fürstenberg. Auf ihr ist weniger Verkehr als im Nordwesten rund um die Müritz, den größten innerdeutschen See, der bereits in Mecklenburg liegt.
Im bauchigen Rumpf der "Pénichette", des vielfach einsetzbaren Lastkähnchens, gibt es genügend Platz für eine ganze Besatzung. Im Heck ist der Fahrstand mit Steuerrad und Gashebel, dahinter zwei lange Bänke mit geräumigen Tischen. Die Heizung bullert, draußen kräht ein Hahn und hinter der Nebelwand tuckert ein anderes Boot vorbei. Zeit zum Frühstücken! Während die Kaffeemaschine faucht und der Toaster seine Ladung durch die Luft schleudert, achtet niemand mehr darauf, was sich draußen tut. Als die Bootsbesatzung wenig später beim Essen sitzt, stehlen sich verspielte Sonnenstrahlen zu den großen Fenstern hinein. Der Nebel ist wie von Geisterhand verschwunden.

Zwölf PS – das reizt angesichts üppiger automobiler Leistungsentfaltung für jeden Fahrschüler heutzutage eigentlich nur zum Gähnen. Oder? Nur all jene, die noch nie ein 15 Meter langes Hausboot gegen Strömung und Wind in eine drei Meter enge Schleusenkammer bugsieren wollten. Oder die rückwärts anlegen wollten zwischen zwei Motorbooten, die ziemlich teuer aussehen, und deren Eigentümer bereits mit Zornes- und Sorgenfalten an Deck stehen und wild mit den Armen fuchteln… Doch davon später. Erst mal nehmen wir natürlich den Kahn auf die leichte Schulter.

Und das alles ohne Servolenkung. Das heißt, eine Art Lenkhilfe gibt's noch: Bugstrahlruder heißt der Boots-Servo, funktioniert per Knopfdruck: Wenn man die Kurve nicht ganz kriegt, kann man den Bug mit einem elektrisch betriebenen zusätzlichen Ruder 'rumziehen. Aber auch dessen Wirkung ist begrenzt, und wenn man’s zu lange benutzt, kann der kleine E-Motor durchbrennen. Also lieber einen Gang zurück und in Schleichfahrt durch die Engstellen im Kanal. Das Bordbuch zeigt alle diese neuralgischen Punkte: An einigen muss sogar vorher gehupt werden, um Gegenverkehr zu warnen. Das gefällt Sarah, die auch im Straßenverkehr gern mal akustisch ihre Anwesenheit betont.

Nach dem Frühstück wollen wir es aber unbedingt versuchen. Die Schleuse ist wie viele andere in Brandenburg automatisch, man kann also nicht einfach den Schleusenwärter um Hilfe bitten. Dafür hängt eine simple Gebrauchsanweisung aus: Eine Ampel zeigt unmissverständlich, ob man Halten muss oder Einfahren darf, ein Schild erklärt, wie die Schleuse betätigt wird: Meist muss ein Hebel am Ufer bewegt werden. Doch den muss man erst mal erreichen! Eine halbe Stunde und zwei Schleusungen später ist die "Potsdam" tatsächlich längsseits des Hebels, "Schleusung wird vorbereitet", teilt uns eine Digitalinschrift über der Ampel mit.
Langsame Fahrt hat einen Vorteil: Anders als beim Autofahren kann auf einem Hausboot vorn jemand am Bug stehen, und das Fahrzeug von gefährlichen Hindernissen wie Schleusentoren, -mauern und anderen Booten einfach wegdrücken. Das tut Sarah so lange, bis wir tatsächlich drin sind. Alles andere geht von selbst: Automatisch schließt sich das hintere Schleusentor, automatisch gurgelt Wasser in die Kammer, und wir steigen ganz automatisch einen halben Meter in die Höhe. Dann geht das gegenüberliegende Tor auf, und ich darf wieder den Motor anlassen.

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