Medizinische Experimente im Lexus

Auch Tag fünf unseres Testmarathons startet mit einem täglichen Ritual: der Eingabe des Tagesziels ins Navigationssystem. Blitzschnell fliegen Peter Wandts Finger über den Touchscreen. Er hat Übung darin, denn seit Teststart kämpft er mit der Menüführung. Irgendwie will das System nicht so, wie er will. Ortseingabe und Zielführung gestalten sich zuweilen schwierig. Das Lexus-System wählt leider nicht konsequent den direkten Weg, sondern schickt uns in den Städten schon mal auf merkwürdigen Pfaden durch die Gegend. Vor allem die Bedienerfreundlichkeit läßt zu wünschen übrig und dürfte logischer sein. Welche Schwächen ein Langstreckentest doch aufdeckt.

720 Kilometer errechnet der Bordcomputer bis nach Cheyenne, Hauptstadt des Cowboy-Staates Wyoming. Das ist eine der längsten Etappen der gesamten Tour, und damit schlägt sie endlich, die Stunde des Prof. Dr. Martin Börner (62). Auf diesem Teilstück wird er medizinische Untersuchungen durchführen und herausfinden, wie sich Langstreckenfahrten auf Ermüdung, Konzentration und somit auf die Verkehrssicherheit auswirken.

Als Erste kommt TV-Redakteurin Diana Seller (26) dran. Kurz ein Tröpfchen Blut abzapfen, dann verwandelt er den Lexus in ein rollendes Labor. Diana wird mit Sensoren am linken Zeigefinger, rechten Ohrläppchen und in den Nasenlöchern verkabelt. Die Leitungen führen zu einem Meßgerät, das vor ihrer Brust hängt und von dort zu einem Analysegerät auf dem Armaturenbrett führen. Es piept, klackert und summt.

"Die Instrumente registrieren Pulsfrequenz, Brust- und Bauchatmung sowie Sauerstoff-Druck und CO2-Gehalt im Blut", erklärt Doc Börner. Der renommierte Unfallchirurg sitzt als Beifahrer mit Laptop daneben und überwacht das Ganze. Nach unserer Ankunft will er Versuchskaninchen Diana noch einmal Blut abnehmen, Morgen- und Abendprobe miteinander vergleichen und dann Ergebnisse mitteilen.

220.000 Meilen in einem Jahr

Gleich nach dem Start das gewohnte Bild: ein scheinbar endloser Freeway, der sich am Horizont verliert. "Great Plains" heißt diese Region im US-Jargon. Das heißt soviel wie große Flächen, könnte aber auch für "Großes Nichts" stehen. Außer aufwendig aufgemotzten Lkw gibt es kaum was zu sehen. Nebraska ist das Land der Brummi-Kapitäne und Truck-Stops. Doch wer hinter die Kulissen blickt, entdeckt statt Country- und Fernfahrerromantik ein knallhartes Geschäft: Termindruck und Streß ist für die Fahrer wohl überall gleich.

Bei einem Tankstopp treffen wir Casie (53) und Richard (54) Peine aus Oregon. Das Truckerehepaar besitzt und fährt einen 475-PS-Peterbilt, der mit 249 gelben Lampen verziert ist. "Und am Auflieger leuchten nachts nochmals 48 Glühbirnen", sagt Richard stolz. Wie wir sind sie ebenfalls "Coast to Coast" unterwegs. Nur fünf Meilen pro Gallone schafft das Diesel-Ungeheuer, das mit einem 15,2 Liter-Reihensechszylinder von Caterpillar angetrieben wird. Das sind 47 Liter auf 100 Kilometer, und da Diesel in den USA pro Gallone zwölf bis 20 Cent teurer ist als Benzin, kalkuliert Richard mit 1300 Dollar für den Trip von Küste zu Küste. Nur für den Kraftstoff.

Die beiden fahren U-Boot-Teile von Rhode Island nach Washington-State, immer in Fünf-Stunden-Schichten. Wenn er hinterm Lenkrad sitzt, schläft sie im hinteren Bereich des riesigen Führerhauses und umgekehrt. "220.000 Meilen haben wir 2004 zusammengefahren", erklärt Richard. Wahnsinn: Das sind 352.000 Kilometer kreuz und quer durch die USA. Bei uns werden es wohl 5800.

Willkommen im Wilden Westen

Bei Kearny verläßt uns das seit Tagen gute Wetter. Erst beginnt es zu regnen, dann sogar zu schneien. Egal, mit Allradantrieb sind wir gut gerüstet. Ein mächtiges Bauwerk spannt sich über die I 80. "Archway Monument" heißt das Teil. Es markiert den Mittelpunkt auf der Tour zwischen Atlantik und Pazifik. Nach San Francisco sind es 1733 Meilen (2773 Kilometer), an die Ostküste ebenfalls. Das gut gemachte Museum erklärt die Eroberung des Westens und widmet sich Transportfragen. Nach dem Besuch kommen wir zu dem Schluß: Vergiß die Route 66. Die Königin der amerikanischen Straßen heißt I 80.

Sie folgt im Wesentlichen dem berühmten "Lincoln Highway", der schon 1915 eingeweiht wurde. Die "Main Street USA" war die erste durchgehende Straßenverbindung zwischen West- und Ostküste. Wir reisen also auf historischer Strecke. Je weiter wir nach Westen kommen, desto offener wird die Landschaft. Die Prärie wandelt sich zu "Rolling Hills". Buffalos, Rinder und Pferde prägen die Fauna. "Willkommen im Wilden Westen", kommt es wie aus dem FF. FF steht für Frank Franke. Der Projektleiter meldet sich immer dann, wenn es an der Strecke etwas zu sehen gibt. Und so quäkt es mit schöner Regelmäßigkeit aus dem Motorola-Funkgerät: "Gleich erreichen wir die Heimat von Buffalo Bill." Oder: "Bitte Uhren umstellen. Wir haben jetzt Mountain Time". Oder: "Auf der rechten Seite sind gleich Ölpumpen zu sehen."

Im Tagesziel Cheyenne veröffentlicht Doc Börner das medizinische Bulletin. Als der Schnee einsetzte, erhöhte sich der Puls von Diana von 75 auf rund 100 Schläge in der Minute. Schlechtes Wetter erfordert viel mehr Konzentration. Morgen geht es noch tiefer hinein in den Wilden Westen und über die Rockys. Dann sitzt erstmalig mein Kollege Ralf Bielefeldt hinter dem Lenkrad und wird weiter berichten.