Es ist wie der berühmt-berüchtigte Ritt auf der Rasierklinge. Tempi über 370 km/h, aber außen nur Mauern. Der kleinste Fehler führt zu brutalen Unfällen. Das Indy 500 ist das älteste Autorennen der Welt, geht an diesem Wochenende in seine 102. Ausgabe. Aber es ist auch eines der gefährlichsten. Insgesamt 66 Todesopfer forderten die 500 Meilen, seit langem Bestandteil der IndyCar-Series (2,2-Liter-V6-Biturbo, 700 PS). 16 Fahrer verunglückten während des Rennens.
Sébastien Bourdais (39), der 2008 bei Toro Rosso Teamkollege von Sebastian Vettel in der Formel 1 war, ist einer der besten IndyCar-Fahrer. Im Vorjahr verunglückte er im Qualifying schwer, brach sich bei dem Brutalo-Unfall den rechten Hüft- und mehrere Beckenknochen. 2018 ist er wieder dabei, auf derselben Strecke, im selben Team, im gleichen Auto. „Meine Leidenschaft für den Sport ist einfach größer als die Angst vor dem nächsten Unfall“, erklärt der Franzose im Gespräch mit AUTO BILD MOTORSPORT. Dazu kommt: „Indianapolis ist ein großes Oval. Da ist die Gefahr geringer als auf kleineren Ovals, auf denen das Feld enger beisammen liegt.“
Trotzdem: Windschattenduelle sind beim Indy 500 an der Tagesordnung. Wehe denn, es geht etwas schief. Scott Dixons (37) Abflug im Vorjahr raubte den Fans fast den Atem. Jay Howard (37) hatte die Kontrolle über seinen Flitzer verloren, kreuzte die Spur von Dixon, der keine Chance hatte auszuweichen. Der Neuseeländer hob acht Meter über den Boden ab, überschlug sich mehrmals. Sein Auto wurde beim Aufprall in Stücke gerissen. „In dem Moment glaubst du, die Zeit bleibt stehen“, erklärt er ABMS. „Alles geht ganz langsam vonstatten, wie in Zeitlupe. Ich habe jedes Detail meines Unfalls mitgekriegt. Schon von dem Punkt an, wo ich das Auto vor mir sah, ich versucht habe auszuweichen, wie ich meterhoch durch die Luft flog, ja sogar wie der Motor im Drehzahlbegrenzer lief.“
Bourdais
Das Indy 500 wurde 2017 von zwei schweren Unfällen überschattet
Ein Wunder: Dixon kam ohne Blessuren davon. „Mein Fuß hat mir wehgetan, aber nach dem Crash war ich nur angepisst, dass ich ausgefallen bin. Ich bin von der Poleposition gestartet und hatte ein Auto, mit dem ich hätte siegen können.“
Die Schutzengel müssen ein Fan vom Indy 500 sein. Seit 1973 ist im Rennen kein Fahrer mehr tödlich verunglückt. Anders im Training, das 2003 mit Tony Renna das letzte Todesopfer forderte. Aber: Unfälle sind in diesem wilden Hochgeschwindigkeitsrennen, das über mehr als drei Stunden geht, an der Tagesordnung. Allein 2017 schieden neun der 33 Fahrer durch Unfälle aus, insgesamt 470 Piloten traf es in den bisherigen 101 Rennen (im Schnitt 4,7).
Besonders heftig war 1992, als der Filipino Jovy Marcelo im Training starb und nach dem Rennen neun Piloten im Krankenhaus lagen. Ex-Formel-1-Weltmeister Mario Andretti (78) brach sich eine Zehe: „Im Spital sieht es aus wie im Fahrerlager. Lauter bekannte Gesichter“, kommentierte er sarkastisch. Genauso Rick Mears (66), einer von drei Fahrern, die das Indy 500 vier Mal gewinnen konnten. Er brach sich die Beine. „Als ich sah, dass die Beine aus dem Cockpit hingen, wusste ich: Okay, die Beine sind dran, also werde ich ins Rennauto zurückkehren.“ Wer hier fährt, muss Mut haben ...
Sport 1 überträgt das Rennen am Sonntag ab 18.15 Uhr live (wir tickern live!). In der aktuellen Ausgabe von AUTO BILD MOTORSPORT können Sie außerdem noch die Geschichte der gefährlichsten Rennen der Welt nachlesen. Ab heute ist das Heft in AUTO BILD im Zeitschriftenhandel erhältlich. Und in der Bildergalerie zeigen wir Ihnen heftige Unfälle beim Indy 500.

Von

Michael Zeitler