Herr Prediger, welche Chancen bietet die Digitalisierung in Bezug auf Fahrradservice?
Die Digitalisierung hat viele Branchen stark verändert, die Fahrradbranche ist da an vielen Stellen noch hinterher. Beispiel Terminvergabe: Warum bekommt nicht jeder regelmäßig Erinnerungen zum Service, so wie wir es vom Auto gewohnt sind? Oder denken Sie an digitale Luftdruckmesser, nur eine von vielen Facetten. Oder GPS-Tracker, ABS – ich bin der festen Überzeugung, das Fahrrad wird digitaler. Dementsprechend müssen auch die Dienstleistungen drum herum digitaler sein. Mit Brody wollen wir Dinge vordenken und ausprobieren, um mit dieser Entwicklung Schritt zu halten.
Welche Rolle nimmt Brody Bikeservice dabei genau ein?
Brody ist mehr als nur ein Experiment. Es ist noch etwas experimentell, weil keiner weiß, wohin die Reise geht. Ob man am Ende Lizenzen für Radservice vergibt oder weitere Standorte eröffnet, kann man nicht auf dem Papier planen. Ich bin ein Freund von dem Start-up-Buzzword: So schnell wie möglich Dinge ausprobieren und merken, wenn sie nicht funktionieren. Dann in die nächste Richtung gehen und die richtigen Konzepte finden.
>> So funktioniert Brody Bikeservice

Kann Video-Werkstattservice funktionieren?
Selbst die besten Ideen scheitern vielleicht an einer Kleinigkeit in der Umsetzung: Ist dann im Keller oder der Garage des Kunden genug Licht und ist die Verbindung gut genug für ein Videotelefonat. Dann hatten wir das Problem Medienbruch: Der Kunde bekommt einen Link für das Telefonat in das Mail-Postfach auf seinen Laptop. Aber auf dem Gerät kann er das nicht ausführen und muss zum Smartphone wechseln. Das sind Erfahrungswerte, die muss man in der Praxis sammeln.

Unser Besuch bei Brody zeigte, dass viele Kunden es noch gewohnt sind, ganz altmodisch in der Fahrradwerkstatt anzurufen.
Vor zehn Jahren konnte sich auch keiner vorstellen, sein Bankkonto online zu verwalten. Inzwischen gibt auch viele Menschen, die ein Videotelefonat dem Besuch beim Arzt vorziehen, weil sie vielleicht gar nicht zum Arzt gehen können oder weil er zu weit weg ist. Da müssen wir jetzt viel Überzeugungsarbeit leisten. Ich glaube, vor der Coronapandemie wäre das nicht möglich gewesen, Videotelefonie ist jetzt bei den meisten normal geworden. Im Kontext Fahrrad sehen vielleicht vielen den Mehrwert noch nicht so deutlich, aber das ist für mich nur eine Frage der Zeit.

Welche Synergien ergeben sich für Ihr Unternehmen JobRad?
Unsere Kunden sind Unternehmen mit ihren Mitarbeitenden, die haben andere Ansprüche als die Konsumenten. Viele unserer Kunden sind den Service rund um den Dienstwagen gewohnt: Da wird morgens das Fahrzeug abgeholt – Winterreifen montiert, Inspektion gemacht, geputzt – und steht dann abends wieder blitzblank mit allen möglichen Dienstleistungen versehen auf dem Hof. Und auch, wenn die Serviceabwicklung für unsere Kunden bei JobRad schon sehr gut organisiert ist – diesen Maßstab können wir beim Fahrrad einfach noch nicht ansetzen. Die Ansprüche unserer Firmenkunden sind bei Jobrad ähnlich. Momentan tolerieren die meisten es noch, dass sich in die Schlange stellen und zwei bis drei Monate auf einen Servicetermin warten. Aber wenn wir das Fahrrad als gleichwertig oder sogar als bevorzugte Alternative im Alltag entwickeln wollen, dann müssen diese Dienstleistungen um ein Vielfaches besser werden. Mindestens auf Autoniveau, eigentlich besser. Diese Ansprüche und Erwartungen können wir nur erfüllen, wenn wir die Dienstleistung entsprechend weiterentwickeln. Wir wollen das gemeinsam mit dem Fachhandel machen. Wir als Jobrad haben die Ansprüche unserer Kunden und können das Thema Service ganz anders skalieren. Brody ist da nur einer von mehreren Ansätzen.

Welche Chancen bietet das Thema Digitalservice für Fachhändler und Werkstätten?
Ich kenne Geschichten von Fahrradverleihen, die müssen Mechaniker mit dem Auto losschicken, weil jemand den Einschaltknopf von seinem Pedelec nicht findet. Mit einem kurzen Videotelefonat bekommt man viele Probleme in wenigen Minuten gelöst. Allerdings, wenn der Händler das immer kostenlos anbietet, kann es auch nicht funktionieren. Wir können noch nicht sagen, ob es dafür eine Zahlungsbereitschaft gibt und wie groß diese ist. Wenn die Dienstleistung einen Mehrwert hat, der Kunde das Fahrrad nicht ins Auto laden muss, wenn es nicht mehr fährt und dann auf einen Termin warten muss – dann dürfte die Zahlungsbereitschaft vorhanden sein. Ein weiterer Vorteil von Videoservice ist, dass man im Vorfeld das Problem identifizieren und die richtigen Ersatzteile besorgen beziehungsweise mitbringen kann. Mir ist wichtig zu betonen, wir wollen nicht am Fachhandel vorbei eine neue Dienstleistungsschiene aufbauen. Ich bin der Meinung, wir müssen gemeinsam die Dienstleistungen, die die Kunden von uns erwarten, verbessern.
Wie sieht der Fahrradservice der Zukunft aus? Die Reportage zur Werkstatt 2.0 lesen Sie in der BIKE BILD Ausgabe 1/2023. Jetzt am Kiosk oder hier bestellen.