Wer Ski fährt, kennt ihn – und fragt sich, wie er wohl fährt: der PistenBully, das ultimative Spezialfahrzeug für verschneite Hänge. AUTO BILD fuhr in die Dolomiten, um es selbst auszuprobieren. Und war fasziniert.
75 Prozent Steigung. Das schaffen kletterfreudige Offroader – sogar einige Luxus-SUV – doch auch, oder? Schon. Aber nicht auf Schnee. Und erst recht nicht mit drei Tonnen der weißen Pracht als Schublast vor dem Bug. Dafür braucht man ein Spezialgerät. Ein Skipisten-Pflegefahrzeug etwa. Wie bei Taschentüchern (Tempo) oder Transparent-Tapes (Tesa) hat sich auch hier ein Markenname als Gattungsbegriff kultiviert: PistenBully.
Er gehört zum schwäbischen Hersteller Kässbohrer. Der erfand 1967 das "Raupenfahrzeug zum Präparieren von Skiabfahrten", das 1969 in Serie ging. Den PistenBully. Seitdem hat sich viel verändert. Hunderttausende Skifahrer erwarten heute riesige Flächen geebneten Schnees. Was zwischen Nachmittag und Mitternacht den Einsatz ganzer PistenBully-Armeen erfordert. Und maximale Kapazitäten pro Fahrzeug. Deshalb ist in 37 Jahren die Arbeitsbreite von 3,20 auf 4,60 Meter und die Leistung von zahmen 120 auf brachiale 430 PS gewachsen. Letztere erbringt das Kraftwerk des aktuell stärksten Modells, des PistenBully 300 Polar. Wie fährt sich solch ein Saurier? Jeder Skifahrer hat sich dies schon gefragt. "Kommt vorbei und erfahrt es persönlich", meldet Carlo Canins, Pistenpflege-Chef im Hochabteital, Südtirol. Und schon sind wir unterwegs Richtung Dolomiten.
Echte Exotik: Halb-Lenkrad und kryptische Leuchten am Cockpit. San Cassiano heißt der urige Ort im Herzen des Gebiets Dolomiti Superski – mit 460 Liften und Bergbahnen sowie 1220 Pistenkilometern die größte Alpinski-Arena weltweit. Behutsam geht es über die scharfkantigen Alu-Stege der Ketten und durch die Fahrertür, die wie beim Vorkriegsauto vorn aufschwingt. Das Interieur erinnert an ein Jet-Cockpit: Zahlreiche Schalter und Kontrollleuchten mit kryptischen Symbolen sowie Rundinstrumente und Monitore sind um den Sitz herum drapiert – der den Seitenhalt einer Sportschale bietet.
Schlüssel drehen, Startknopf drücken: Der Zwölfliter erwacht, dieselt kaum hörbar vor sich hin. Ein sanfter Gasstoß, schon fährt der PistenBully. Von einem Lenkrad zu sprechen, wäre übertrieben – die obere Hälfte des Richtungswählkranzes fehlt. Nennen wir das Ding ruhig Steuer-U. Wie bei jedem Kettenfahrzeug gibt es, Baggerfahrer wissen das am besten, keine Lenkmechanik; das Steuer-U regelt nur die Geschwindigkeitsdifferenzen der beiden Ketten, die mit stärkerem Einschlag zunehmen. Bis die kurveninnere Kette steht. Dann beträgt der Wendekreis etwa fünf Meter. Voller Einschlag: Die Innenkette läuft rückwärts, der PistenBully dreht auf dem Teller.
Eindrucksvoller Heckabschluss: flexibles Glättbrett, davor die Fräswalze. Die Koordination von Lenkung und Gas ist gewöhnungsbedürftig. Aber nach etwas Übung geschmeidig hinzubekommen. Das Spitzentempo liegt bei gut 20 km/h, in der Horizontalen wie bergab. Aber auch brutale Steigungen bremsen den Speed nicht merklich. Selbst mit abgesenkten Werkzeugen – der Fräswalze und dem gelben Glättbrett hinten, dem Räumschild vorn – stürmt das rote Kettentier rasant bergauf. Eindrucksvoll, wie die 430 Pferde alles geben, um bis zu fünf Tonnen nassen Schnee gen Gipfel zu schieben. Faszinierend. Aber auch etwas unspektakulär. Schneemassen verdichten, krumme Buckel wegbügeln, das ist eben nicht alles. Denn jeder Skifahrer drückt mit jedem Schwung ein bisschen der weißen Pracht talwärts, nach jedem Skitag muss sie wieder bergauf gekehrt werden. Und das braucht Kraft. Allein zum Planieren würde ein Bruchteil der Motorleistung reichen. Damit die Ketten beim Vortrieb nicht herunterschaufeln, was gerade bergauf geschoben wurde, werden ganz steile Passagen per Winde präpariert.
Sechs Richtige: Mercedes Motor OM 457 LA mit zwölf Litern und 430 PS. Der PistenBully schraubt sich am Stahlseil empor – etwa auf der Gran Risa, der anspruchsvollsten Riesenslalom-Piste im gesamten Weltcup-Zirkus, gleich oberhalb des Nachbarorts La Villa. Bis zu 63 Prozent neigt sich die Gran Risa. Steiles Stück. Nicht jedoch für den PistenBully, falls die Pistenpflege egal ist: Wenn es sein muss und das Terrain griffig ist, erklimmt das Ungetüm mit den breiten Krallen Neigungen von bis zu 60 Grad – gut 130 Prozent. Doch für solche Späße fehlt die Zeit. Die breite Talabfahrt vom Piz Sorega nach San Cassiano muss für den nächsten Tag perfektioniert werden. 75 Kilometer schieben, fräsen, planieren. Vier Stunden lang rauf und runter. Mit Tempo 20. Um 22 Uhr ist das Werk vollbracht. Feierabend. Am nächsten Morgen sind wir als erste in der Gondel. Steigen um zehn nach neun am Piz Sorega aus, carven die jungfräuliche Talabfahrt nach San Cassiano hinunter. Die wir höchstselbst präpariert haben. Na ja, nicht ganz – eigentlich hat der PistenBully 300 Polar auch etwas mitgeholfen.
Technische Daten Kässbohrer PistenBully 300 Polar Reihensechszylinder-Diesel (Typ Mercedes OM 457 LA), vorn längs • Turbolader, Ladeluftkühler • 2 Ventile/Zylinder • Hubraum 11970 cm3 • Leistung 315 kW (430 PS) bei 1900/min • max. Drehmom. 2000 Nm bei 1200/min • Fahrantrieb über Verteilergetriebe, 2 Hydraulikpumpen und 2 Planetengetriebe • 6 Achsen (Spannachse vorn, 4 Laufachsen, Antriebsachse hinten) • Betriebsbremse über Fahrantrieb, Lamellen-Haltebremse • Länge/ Breite/Höhe 4890/4260/2930 mm (ohne Geräte) • Leergewicht 7300 kg • Tankinhalt 210 Liter • Höchstgeschwindigkeit 23 km/h • Verbrauch ca. 250 l/100 km Preis: ca. 300.000 Euro