Ein Lada 4x4 Urban ist frei von allem: Komfort, Qualität, Luxus. Na und? Wir haben uns selten am Steuer eines Testautos so frei gefühlt.
Der Paketbote, den wir abends auf dem Hamburger Kiez treffen, ist schwer zu verstehen. Irgendwann begreifen wir, dass er russisch spricht und uns für Landsleute hält. Er grübelt kurz, kramt ein paar Brocken Deutsch hervor, zeigt auf den Lada 4x4 Urban und sagt: "Bestes Export aus Russland." Seit 43 Jahren baut Lada an der Wolga den 4x4, der mal Niva hieß. Vor einiger Zeit entdeckten ihn die Großstädter für sich. Als modisches Accessoire für ihr Yuppie-Leben. Und weil auch Yuppies beizeiten Familien gründen, gibt es jetzt das Sondermodell Urban in lang.
Die Verlängerung des Radstandes ist einfache Schweißarbeit
Als Viertürer streckt sich der Lada 4x4 auf 4,14 Meter – und braucht satte 13 Meter zum Wenden.
Gebaut mit russischem Pragmatismus: In die Karosserie wurde einfach in die Mitte ein Stück Stahl eingeschweißt, fertig. Sieht vielleicht nicht besonders elegant aus. Aber so hat der Lada fünf statt drei Türen und ist 50 Zentimeter länger, streckt sich auf 4,14 Meter. Das macht Rangieren nicht einfacher. Der Wendekreis fühlt sich nach Omnibus an: rund 13 Meter. Serie beim Urban sind ansonsten lackierte Stoßfänger, 16-Zoll-Alus und ein bisschen technischer Klimbim: elektrische Scheibenheber, elektrische Außenspiegel, Sitzheizung. Wer braucht denn so was? Der Lada 4x4 ist objektiv betrachtet natürlich kein gutes Auto. Schließlich wird er seit 1976 weitgehend unverändert gebaut. Aber er entschleunigt. Ob man nun will oder nicht. Und das beginnt schon vor dem Losfahren. Abfahrt morgens zur Kita geht so: Beifahrertür aufschließen. Innen um die B-Säule fassen und den Knopf der hinteren rechten Tür hochziehen. Beifahrertür schließen und abschließen. Hintere Tür öffnen, Sohn reinsetzen, Knopf wieder runterdrücken. Der Sohn fragt: "Papa, was machst du da?" Der Vater denkt: Kennt nur Fernbedienungen, das verwöhnte Gör.
Der Lada hat den Charakter eines fabrikneuen Oldies
Fahren wie in alten Zeiten: Komfort sollte man nicht erwarten, alles ist beschwerlich, überall klappert's.
Tür schließen. Fahrertür aufschließen und reinsetzen. Den Transponder an den Sensor der Wegfahrsperre halten, bis es piept. "Hat piep gemacht", sagt der Sohn. Jetzt den Schlüssel nehmen (nein, nicht den für die Türen, den anderen) und ins Zündschloss prokeln. Und schon kann's losgehen. Auf dem Weg zur Kita ruft der Sohn von hinten. "Papa, mach den Motor leiser." Und dann noch: "Nicht so schnell fahren!" Der Tacho zeigt 50. Wem der Motor zu laut ist, macht einfach die Lüftung an. Dann ist von den 83 PS nichts mehr zu hören. Immerhin, es wird schön warm. Und im Grunde ist uns auch warm ums Herz, wenn wir in dem Urvieh durch den Großstadtdschungel cruisen. Ein Porsche erregt weniger Aufmerksamkeit. Und verursacht schon gar nicht so positive Reaktionen. Auf der Großen Freiheit klopft ein Paar an die Scheibe: "Ein tolles Auto!" Toll? Na ja, sagen wir mal so: Fahren ist im Lada gutes, altes Handwerk. Wenn man den Rückwärtsgang einlegt, macht es vernehmlich "klack". Mittendifferenzial sperren und Untersetzung zuschalten? Dafür gibt’s dicke Knüppel neben der 5-Gang-Schaltung. Und die Lenkung ist so indirekt, dass man sich einen Wolf kurbelt, was aber ja irgendwie zum Jäger-Auto passt.
Der Motor, in diesem Fall mit Super und Autogas zu befeuern, hat seine liebe Mühe mit dem 1376 Kilo schweren Auto. 17,9 Sekunden auf 100. Wobei das eher ein theoretischer Wert ist. Bei 80 fühlt man sich wohl. Die für einen Geländewagen typische weiche Federung macht den Lada zu einem gutmütigen Begleiter. Alles drüber ist nichts für den fabrikneuen Oldie. Wer auf die Autobahn fährt, erlebt Katzenjammer. Bei 100 km/h jault das Getriebe wie eine Muschi-Großfamilie. Bei 120 ist es wieder "leise". Wobei dann das Lenkrad zittert. Vermutlich hat der Lada selbst ein bisschen Angst. Man möchte sein Hartplastik-Cockpit tätscheln und ihm zurufen: "Kumpel, alles gut, ich bring dich sicher nach Hause."
Für knapp 15.000 Euro gibt es einen nackten Geländegänger
Vollausstattung: Das einzige Extra ist ein Kennwood-Radio, aber das kann man auch getrost weglassen.
Der Lada 4x4 ist ein Auto wie vom Nostalgie-Höker Manufactum: irgendwie aus der Zeit gefallen. Und gerade deswegen liebenswert. Motto: Es gibt sie noch – die guten, alten Sachen. Konnektivität? Man kann eine Anhängerkupplung bestellen, ja. Als halbwegs modernes Extra geht ansonsten das Kenwood-Radio durch. Aber ganz ehrlich, das lässt man am besten aus. Es stört die Ästhetik des Weglassens. Das Mäusekino passt nicht zum ansonsten spärlich beleuchteten Innenraum. "Papa, mach mal Licht an", sagt der Sohn. "Ist schon an", sagt der Papa. Eine Funzel im Dachhimmel, zwei Funzeln als Frontscheinwerfer. Im vergangenen Jahr hat Lada 1436 Exemplare vom 4x4 in Deutschland verkauft. Das sind fünfmal so viele wie Bentley vom SUVBentayga absetzen konnte. Okay, für die 14.790 Euro des Lada gibt es bei Bentley vermutlich Winterräder und einen Eiskratzer. Dass der Lada am Ende nur wenig Punkte machen kann – sei's drum. Er hat keine Airbags, kein ESP, keine Parkpiepser. Ach, lesen Sie einfach die unendlichen "Extras"-Listen anderer Hersteller – und dann wissen Sie, was der Lada nicht hat. Was er hat, und das gibt es gratis: Charakter. Seien wir mal ehrlich. Die meisten Autos, mit denen wir unterwegs sind, haben wir drei Minuten nach dem Losfahren vergessen.
Video: Lada Vesta Fahrbericht (2017)
Der russische Rebell
Sie lullen uns ein mit ihrem ganzen elektronischen Firlefanz. Sie sind besser gedämmt als manches Haus. Das ist sicher und bequem. Aber ein Lada, auf dem Papier eine 4–, der macht jeden Tag was mit dir. Genau wie ein Porsche, ein Land Rover Defender oder ein älterer Mercedes G. Von der Fahrt im 4x4 Urban wirst du noch deinen Enkeln erzählen. Aber dafür muss der Sohn erst mal aus dem Kindergarten raus sein. Der sagt: "Papa, mach mal brumm." Er meint die Lüftung.
Ein Lada 4x4 Urban ist frei von allem: Komfort, Qualität, Luxus. Na und? Wir haben uns beim Testen selten so frei gefühlt.
2/15
Karrosserie: So übersichtlich können Autos sein! Da ist kein Holm im Weg, ...
3/15
... aber der riesige Wendekreis von über 13 Metern macht das Rangieren trotzdem schwer.
4/15
Antrieb: Die 83 PS reichen für Wald und Wiese. Autobahn ergibt wenig Sinn, ...
5/15
... auch weil es von 80 auf 120 eine gefühlte Ewigkeit dauert.
6/15
Umwelt: Der Lada ist sauber nach Euro 6d-Temp, immerhin. Der Verbrauch ist aber zu hoch: 9,8 Liter Super sind genauso unzeitgemäß wie das Auto an sich.
7/15
Fahrdynamik: Hier trifft ein sehr indirekte Lenkung auf eine weiche Federung, es gibt Wankbewegungen im Rahmen, ...
8/15
... was aber für einen echten Geländewagen ok ist.
9/15
Komfort: Die Sitze haben kaum Seitenhalt, ...
10/15
... das Plastik klappert überall, das Getriebe jault, ...
11/15
... und auf holpriger Straße poltert es ordentlich im Gebälk.
12/15
Connected Car: Wer frei sprechen will, ruft aus dem Fenster den Passanten was zu. Und wer braucht im Wald ein Navi? Immerhin steht ein Kenwood-Radio in der Aufpreisliste.
13/15
Kosten: Für 13.490 Euro Basis gibt es kein anderes Auto, das so viel im Gelände kann wie der Lada. Darauf gibt der Hersteller zwei Jahre Garantie.
14/15
Das Fazit von Holger Karkheck: "Wir hatten selten so oft ein Schmunzeln auf den Lippen wie am Steuer dieses Dinosauriers. Der Lada, dieses Urvieh, weckt Erinnerungen ans Autofahren ...
15/15
... in den 1970er-Jahren. Wer noch nie eine Runde gedreht hat – unbedingt mal tun! Kaufen? Wenn Sie einen Jagdschein haben oder ein Großstadt-Yuppie mit ein bisschen Spielgeld sind." AUTO BILD-Testnote: 4-