Reinrassige Technik aus dem Motorsport

Der Silver Falcon sollte ein Sportwagen der Superlative werden. Gitterrohrrahmen, Mercedes-Benz-V8, 100 Jahre Garantie. Zeitloses Design, unverwüstliche Technik. Ein Auto fast für die Ewigkeit. Doch wie es manchmal so kommt: Das Konzept geht in die Hose. Ganze 15 Kunden finden sich zwischen 1987 und 1991 weltweit für den Exoten aus Wolfratshausen bei München.

Dabei stehen die Zeichen anfangs auf Erfolg: Mit Friedrich Peter Lorenz sitzt ein erfahrener Ingenieur und Prototypenbauer am Steuer, Multimillionär Heiner Rankl sorgt für finanziellen Rückenwind. Doch vielleicht ist das Design des Silver Falcon mit den Porsche-911er-Rückleuchten doch zu kauzig, die Mercedes-Technik zu bieder oder der damalige Preis von bis zu 500.000 Mark zu hoch. Vielleicht ist aber auch das Marketing schuld: Als Markenzeichen suchen sich Lorenz & Rankl ausgerechnet einen zu Boden stürzenden Falken aus. Schade. Denn: Unter der Alu- Haut kämpft reinrassige Technik aus dem Motorsport gegen Fahrwiderstände und Querbeschleunigung.

Ein Gitterrahmen mit beindicken Edelstahlrohren verkraftet locker die vorhandenen 300 PS und mehr. In den Hohlräumen des Rahmens sind die Brems- und Kraftstoffleitungen verlegt. Absolut korrosionssicher. Die Koni-Dämpfer stammen aus der Formel 1. Das Fahrwerk ist einstellbar, je nach Gusto von sanft bis sadistisch.

5,6-Liter-V8 aus dem Mercedes 560 SEC

Als Triebwerk verwenden die Herren den 5,6 Liter großen V8 aus dem Mercedes-Benz 560 SEC. Der Drehmomentriese (430 Newtonmeter bei 3700/min) liegt direkt hinter der Vorderachse und ist Teil des ungewöhnlichen Front-Mittelmotor-Konzepts. Heraus kommt eine optimale Gewichtsverteilung von 50:50 mit daraus resultierenden atemberaubenden Kurvengeschwindigkeiten. Bis auf den Wendekreis (geschätzte zwölf Meter) lässt sich der Silver Falcon verblüffend handlich dirigieren.

Klasse auch: Der Silver Falcon beginnt nicht mal ansatzweise, sich zu verwinden. Eine Folge der fast schon überdimensionierten Rahmenauslegung. Vor der Marktpremiere hat Silberfalkner Lorenz sein Baby mehr als 2000 Kilometer über die Nürburgring-Nordschleife gedroschen. Von solcher Rundstreckenqualität können manche moderne Sportwagen nur träumen. Bloß die Zahnstangenlenkung dürfte etwas präziser sein. Aber wer will ein handgebautes Auto wirklich mit solchen Lästereien behelligen? Ein Luxussportler, der von seinen Besitzern in drei Raten gekauft worden ist: erste Rate bei Auftragserteilung, zweite bei Rohbau-Fertigstellung, dritte bei Abholung.

Tatsächlich gehört der Silver Falcon zu den ganz wenigen Sportwagen, die wesentlich mehr können, als ihr Äußeres verspricht. Vor allem verblüfft der Sound: Während der 300 PS starke Zweiventiler im Mercedes W 126 nur leise vor sich hin murmelt, bellt er im Lorenz & Rankl unverblümt seine Potenz durch die vier Auspuffrohre nach draußen. Er hämmert seine Verbrennungsgeräusche tief in die Gehörgänge – da passt sich sogar der Herzschlag an. So müssen echte Sportwagen klingen – biedere Benz-Technik hin oder her.

Maßgeschneiderte Sitze und Pedalerie

In nur 5,7 Sekunden soll der Roadster von null auf Tempo 100 sprinten können. Bei 1290 Kilo Leergewicht durchaus glaubhaft. Maximal können 260 km/h erreicht werden. Dank schnell schaltender Vierstufenautomatik verlaufen die Spurts zwar mit einem kräftigen Ruck, aber für den Fahrer ist das eher unspektakulär. Statt hektisch im Getriebe herumzurühren, muss lediglich das rechte Pedal entschlossen durchgetreten werden. Das macht man zum Kennenlernen ein- bis zweimal, dann stellt sich der eigentliche Fahrstil ein: das entspannte Dahingleiten bei 1500 Touren.

Die Ledersitze sind wunderbar langstreckentauglich. Einsteigen allerdings funktioniert wie beim Austin Healey 3000: Man lässt sich halt reinplumpsen. Das scharfkantige Verdeckgestänge schrammt bei übertrieben sportiven Einstiegsversuchen schmerzhaft über die Wirbelsäule. Da entschädigt nur ein (alkoholfreies) Weizenbier aus dem mit 350 Liter Ladevolumen ziemlich großzügig bemessenen Kofferraum: Im Gepäckabteil finden laut Hersteller drei Kisten Edelbräu Platz. So was denkt sich auch nur einer aus, der am Tegernsee wohnt.

Das Interieur hat ebenfalls so seine Besonderheiten: Vor dem Bau eines Lorenz & Rankl wurde jeder Kunde gewogen und vermessen. Nach diesen Anatomiewerten wurden Sitze, Sitzschienen und Pedalerie penibel angepasst. Wer während der sechsmonatigen Wartezeit auf das Auto ein paar Pfunde zunahm, hatte ein Problem. Die Besteller jedes Ferrari Enzo wissen, wovon die Rede ist...

84.640 Kilometer ohne technische Revision

Die Instrumente von VDO Classic sehen toll aus, sind aber nicht mehr als eine grobe Richtlinie. Die Temperaturanzeige zappelt zwischen 100 und 200 Grad, anstelle des ungenauen Tachos hätte es auch ein Windmesser getan. Doch solche Kleinigkeiten haben den Lorenz & Rankl-Kunden schon damals nicht interessiert. Und heute? Na ja, jetzt ist der Silver Falcon gewissermaßen ein unwiederbringliches Kulturerbe. Zumal unser Foto-Objekt vermutlich der einzige Supersportwagen der Welt mit Kilometerstand 84.640 ist, der noch keine technische Revision hinter sich hat.

Die Optik allerdings wurde ein wenig geliftet. Denn Letztbesitzer Herbert Engel hat seinen Silbervogel umfangreich verschönt. Satt serienmäßiger Blinker vom Porsche 944 gibt’s nun eine Front in Ferrari-250-GT-Optik. Achtern wird die Aluminiumhaut von einem befreundeten Karossier verlängert und mit Rolls-Royce-Heckleuchten versehen. Borrani-Speichenräder unterstützen den klassischen Auftritt.

Die Hauben beim Silver Falcon schließen elektromagnetisch wie bei Ferrari. Falls die Batterie ausfällt, helfen versteckte Bowdenzüge zur Not weiter. Front- und Heckscheibe waren schon immer beheizbar. Ein Infrarotsender ent- und verriegelt die Türen. ABS und Servolenkung sind Serie, einen Katalysator gibt es 1987 nur auf Wunsch.

Der Zwölfzylinder: ein absolutes Unikat

Das Einstiegsmodell des Silver Falcon besaß einen per Turbolader aufgeblasenen BMW-325i-Motor. Pechvögel konnten auf besondere Weise sparen: Bei Anlieferung eines Mercedes-SL-Unfallwagens gab es einen frei aushandelbaren Rabatt. Vom Spitzenmodell, dem berühmten V12, entstand nur ein einziges Exemplar. Das fuhr Friedrich Peter Lorenz (81) bis zu seinem 80. Geburtstag selbst.

Angepasst an die Größe des Erbauers, hat dieser finale Silver Falcon mehr Innenraum, mehr Motorhaube, mehr Radstand. Vorn verrichtet der 5,4 Liter große BMW-V12 aus dem 750i brüllend sein Werk. Der Hintergrund für dieses Auto ist kurios: Lorenz half BMW bei der frühen Vorentwicklung des Z8. Mit der Bezahlung gab’s Theater. Das übliche "Wir haben das aber ganz anders besprochen"-Spielchen.

Um des lieben Friedens willen und weil man sich auch sonst eigentlich nicht böse ist, spendierten die Münchner zum Ausgleich einen kompletten Zwölfzylinder samt Antriebsstrang für den letzten jemals gebauten Lorenz & Rankl. Dieser verließ im Jahr 1991 die Wolfratshausener Werkstore. Erst im Sommer 2003 hat sich Peter Lorenz von seinem Silver Falcon getrennt.