Die Elise hat jetzt einen Zwilling

Zugegeben: Ich bin ein Freak. Denn ich greife sofort zu, wenn er mal wieder in Reichweite ist. Ich vergesse, wie albern es aussieht, wenn ich mich in ihn hineinquetsche. Wie die Nachbarn hinter Gardinen grinsen, wenn sie meine ungelenken Versuche beobachten, ihn wieder zu verlassen. Ein Bein zuerst, oder beide Beine zuerst, völlig egal – wenn sein Dach geschlossen ist, macht jeder, der älter als 25 Jahre und größer als 1,70 Meter ist, eine klägliche Figur.

Meine beiden Kinder nörgeln, weil sie in ihm nicht gleichzeitig mitfahren können, der Einkauf fällt wegen seines lächerlichen Stauraums spartanisch aus, und meine Hüften scheuern sich an seinen Sitzschalen wund. Keine Frage, der Lotus Elise ist ein wunderbares Auto. Wenn ich erst mal reingekommen bin, ist sowieso alles egal. Und jetzt, wo er aus den Flegeljahren herausgewachsen ist, wird er noch attraktiver.

Ab einem gewissen Alter findet man eben das "Touring-Paket" sehr angenehm – es beinhaltet unter anderem Radio, gefüttertes Verdeck, Teppiche, Alcantara, elektrische Fensterheber. Hitzeempfindliche Zeitgenossen können sogar eine Klimaanlage ordern – eine 15 Kilo schwere Schnupfengarantie, die aus Sicht von Lotus für den nordamerikanischen Markt unbedingt nötig ist.

Puristen mögen meckern: Mir gefällt der geschminkte Elise. Nicht zuletzt ist er auch stärker geworden: Hinter den Sitzen arbeitet in der jüngsten Version "111R" der von Yamaha gebaute, 192 PS starke 1,8-Liter-Vierzylinder, der seine Arbeit samt manuellem Sechsganggetriebe normalerweise in Toyota Corolla TS und Celica TS verrichtet. Und noch ein Fakt macht mir den neuen Elise extrem sympathisch: die Existenz seines zweieiigen Zwillings "Exige". Den gab es vor zwei Jahren schon einmal, aber damals nur für Racer in ausgewählten Märkten, in denen der Fahrer hauptsächlich rechts sitzt.

Beide Lotus verfehlen die Werksangaben

Der Exige von heute ist für jeden: gleiche Basis, gleicher Motor wie im Elise, aber nicht luftig offen, sondern rassig geschlossen. Dafür ein paar Zutaten wie Heckflügel und Cup-Reifen, etwas steifere Federn und modifizierte Dämpfer, um auf Rennstrecken eine gute Figur zu machen. Unser Testwagen ist mit genau den gleichen Extras wie der Elise ausgerüstet und kostet in der Basisausführung 44.900 Euro. Jetzt habe ich das Problem: Welchen bevorzugen? Welcher ist sportlicher? Welcher macht mehr Spaß?

Auffälliger und seltener ist der Exige. Aber ist das Grund genug, 3000 Euro mehr auszugeben? Herrlich unvernünftig sind natürlich beide. Und fehlerhaft leider auch, was besonders ins Auge fällt, wenn man sie zur gleichen Zeit zur Verfügung hat. So gibt Lotus bei beiden für den Sprint von null auf 100 km/h 5,2 Sekunden an – der Exige hat zwar die bessere Aerodynamik und aufgrund der Semislicks besseren Grip, verliert aber das Beschleunigungsduell durch die breiteren Reifendimensionen und 30 Kilo Mehrgewicht gegenüber dem Elise.

Gemessen haben wir 6,6 Sekunden – die Folge eines untenherum extrem schlaffen Motors. Da nützt es auch nichts, daß ab 6000 Touren bis zur Höchstdrehzahl von 8500 noch ein deutlicher Schub spürbar ist. Etwas besser der mit dem gleichen Motor ausgestattete Elise 111R: Hier dauert der 100-km/h- Sprint 5,9 Sekunden, die Maschine kommt untenherum deutlich besser in Wallung, verfehlt aber trotzdem die Werksangabe deutlich.

Umgekehrt das Bild bei der Schaltführung: Im Exige flutscht die Lotus-Konstruktion angenehm präzise, während sie im Elise mächtig zickt und hakelt. Dabei hatten beide Testwagen fast die gleiche Kilometerleistung hinter sich (rund 12.000). Lotus hat für die Unterschiede eine Erklärung: Die Wagen stammen aus dem Serienanlauf – da sind die Toleranzen eben noch ein bißchen größer.

Der Exige ist etwas sportlicher

Elise und Exige haben Glück: Meine Toleranz ist auch groß, was diese Spaßautos angeht. Schnell vergessen sind auch die nicht ordentlich verlegten Dichtgummis im Elise oder Dachverkleidungsstücke im Exige, die unvermittelt wie ein eiskaltes Händchen auf der Schulter landen, weil sie – lediglich mit Klettverschluß befestigt – die Dachverschraubung nur flusig abdecken. Der Grund, warum ich diese Aluminiumschüsseln so liebe, liegt auf der Rennstrecke: Kurvengeschwindigkeiten und Bremspunkte sind unfaßbar, das hat fast schon Orgasmus-Qualität.

Besonders im Exige: Das Fahrwerk ist kompromißlos auf Rundkurse abgestimmt. Der Wagen übersteuert leicht beim Gaslupfen vor der Kurve, durch erneutes Treten des Gaspedals fängt er sich wieder und geht mit sehr hoher Querbeschleunigung neutral durch die Kurve. Die Yokohama-Cup-Reifen tun im warmen Zustand ein übriges: Sie kleben am Asphalt wie das schweißnasse Hemd auf dem Rücken. Das leichte Coupé läßt sich dank des jetzt serienmäßigen, spät einsetzenden ABS sehr präzise in die Kurve hineinbremsen. Und daß das kleine Lenkrad mit Nachdruck gedreht werden will, ist dem Lotus-Fan nur recht.

Den Elise kann man nicht ganz so wild in die Kurve werfen. Er untersteuert stärker, reagiert auf Lastwechsel heftiger, ist deshalb im Grenzbereich schwieriger zu handhaben. Von der Grundabstimmung aber ist das Fahrverhalten ähnlich – und damit vielen anderen Pseudo-Sportwagen überlegen. Beide Lenkungen sind wunderbar direkt, die Bremsen ausgezeichnet. Nicht so wichtig ist die Höchstgeschwindigkeit. Lotus will mit dem Elise 111R 241 km/h gefahren sein, mit dem Exige immerhin 237 km/h. Dafür brauchen die beiden entweder orkanartigen Rückenwind und einen langen Anlauf oder eine optimistische Stoppuhr.

Egal wie schnell, auf jeden Fall sind sie laut. Aber bei diesen Autos ist Sensibilität nicht am Ohr gefragt, sondern am Hintern: Alle Sensoren des Piloten werden dank der sportlich-harten Abstimmung über die Fahrbahnzustände perfekt informiert. Nach unseren umfangreichen Meßfahrten geht der Exige knapp als der Sportlichere der beiden Lotus über die Ziellinie. Ob das den Vorteil eines offenen Daches wettmachen kann, muß jeder für sich entscheiden. Es ist letztendlich nur eine Frage des Stils.

Fazit und Technische Daten

Fazit Lotus Exige: Das Gesamtpaket ist stimmig: ein kleiner, leichter, harter Sportwagen mit 192 PS – optisch ein Leckerbissen, technisch gut durchdacht. Jetzt sollte Lotus allerdings dafür sorgen, daß das Auto auch die versprochenen Fahrleistungen schafft – eine Frage der Qualität.

Fazit Lotus Elise 111R: Der neue Motor tut dem Elise gut – auch wenn ein paar mehr PS noch besser wären. Wer der Ansicht ist, daß ein britischer Sportwagen nur offen sein darf, ist mit diesem klassischen kleinen Kurvenkünstler aus Hethel besser bedient als mit seinem extravaganten Pendant.

Von

Roland Löwisch