Mit dem autonomen F 015 gibt Mercedes einen Ausblick auf die Mobilität im Jahr 2030. Wie der Benz der Zukunft fährt, klärt unser Fahrbericht.
Bild: Werk
Solange der Bug des F 015 weiß schimmert, sitzt ein Mensch am Steuer. Sobald die Elektronik übernimmt, färbt sich die Front blau ein.
Wenn Mercedes in diesen Tagen mit dem F 015 durch die Straßen von San Francisco rollt, dann kommt der Verkehr zum Erliegen und bei den Passanten laufen die Speicherkarten der Fotohandys über. Denn das neue Forschungsfahrzeug der Schwaben ist buchstäblich von einem anderen Stern und wirkt bei der ersten Ausfahrt im Morgengrauen wie ein Ufo auf Abwegen. Wenn da jetzt Marsmenschen oder wenigstens Captain Future aussteigen würden, das würde auch keinen mehr wundern. Und vor allem würde es gut zu der schimmernden Skulptur passen, die mit minimalistischen Linien gezeichnet, groß und lautlos wie ein Wal durch den Stadtverkehr schwimmt. Schließlich ist der 5,22 Meter lange und über zwei Meter breite Silberfisch so etwas wie die S-Klasse von Übermorgen und soll zeigen, wie sich Mercedes einen Luxusliner für das Jahr 2030 vorstellt.
Die Mission Street, hinauf zum Knob Hill oder zu den Twin Peaks und natürlich in den Park am Fuß der Golden Gate Bridge darf der F 015 nur mit Polizeischutz, und statt des Autopiloten hat Peter Lehmann noch selbst das Steuer in der Hand. Doch zehn Meilen weiter auf der anderen Seite der Bay hat die Zukunft schon begonnen – zumindest für ein paar Minuten. Denn auf dem ehemaligen Navy-Airfield von Alameda räumt der Projektleiter für den Aufbau der Forschungsfahrzeuge den Platz hinter dem Lenkrad. Zwar lässt der Entwickler dann tatsächlich Gäste ans Steuer. Doch das Kommando hat längst die Elektronik übernommen. Als würde man die Zeitrafferaufnahme einer sprießenden Blume rückwärts laufen lassen, zieht sich die Lenksäule ins Armaturenbrett zurück, das fast liegende, fast wie eine Acht geformte Lenkrad macht sich ganz klein, die Pedale verschwinden beinahe im Wagenboden und der F 015 chauffiert sich selbst.Während der Autopilot den modernen Monolithen über den Runway steuert, lehnen sich die Insassen bei irrwitzigen 3,61 Metern Radstand ungeheuer entspannt zurück, lassen den Blick über helles Leder und feine Hölzer schweifen und entdecken irgendwann in ihren wunderbar bequemen Sitzschalen die kleinen Knöpfe, mit denen man die fein belederten XXL-Eierbecher entriegeln und frei drehen kann. Denn wenn man nicht mehr selber fährt, muss man auch nicht nach draußen schauen. Erst recht nicht in Fahrtrichtung.
Per Laser soll der F 015 Warnhinweise auf den Asphalt projizieren.
Zwar braucht es ein bisschen Überwindung, wenn sich die Augen nicht an die anderen Autos heften können, sondern den Blickkontakt zu den Hinterbänklern suchen. Doch schon nach ein paar Metern hat man vergessen, dass man in einem Auto sitzt und fühlt sich stattdessen wie in einem Eisenbahn-Abteil. Allerdings im ICE von Übermorgen. Während es im komplett animierten, über die ganze Fahrzeugbreite gezogenen Cockpit weniger Schalter gibt als bei einem Smartphone, findet man im Auto an jeder erdenklichen Stelle einen Bildschirm. Die vier größten sind geschickt in den Türtafeln integriert und vermitteln mit ihren kunterbunten Grafiken unterbewusst ein gutes Gefühl für die gefahrene Geschwindigkeit. Ausgestattet mit Näherungssensoren und Eye-Tracking, taucht auf diesen Displays immer genau am rechten Platz das richtige Menüfeld auf. Während der F 015 fährt, sitzt man sich gegenüber und diskutiert angeregt, spielt Mensch ärgere Dich nicht auf einem digitalen Konferenztisch, vertieft sich in das Unterhaltungsangebot, schießt mit den Bordkameras Panorama-Fotos, die nachher passend zur Fahrzeugbewegung auf die Bildschirme projiziert werden oder genießt einfach die Stille, Abgeschiedenheit und Intimität. Denn das ist ein weiteres Feld, auf dem sich die Macher bei Mercedes positionieren wollen: Weil die Städte immer voller und unsere Leben immer dichter werden, sehen sie im F 015 eine Oase der Ruhe, in die man sich zurückziehen kann.
Für den Vortrieb sorgen zwei E-Motoren mit zusammen 272 PS, die ihn in 6,7 Sekunden auf Tempo 100 wuchten und immerhin 200 Sachen erlauben.
Völlige Vernetzung und einzigartiges Informationsmanagement samt innovativer Bedienung inklusive. Doch Mercedes sucht neben dem Dialog zwischen Fahrer und Fahrzeug auch Mittel und Wege, wie der F 015 mit anderen Verkehrsteilnehmern in Kontakt treten kann. Dafür haben die Schwaben für das Forschungsfahrzeug einen speziellen Laser entwickelt, der Warnhinweise auf den Asphalt schreibt. Und mit den großen LED-Batterien im Grill oder am Heck simuliert der F 015 ein Minenspiel, das Fußgängern die passenden Botschaften suggeriert. Denn nur wenn der Passant weiß, ob und wie ihn ein Auto erkannt hat und wie das als nächstes reagieren wird, kann er zu dem Wagen Vertrauen fassen. Viele Anzeigeszenarien sind dabei so intuitiv und selbsterklärend, dass jeder Fußgänger auf Anhieb versteht, was damit gemeint ist. "Aber ein paar Sachen müssen die Menschen trotzdem lernen", sagt Mercedes-Trendforscher Mankowsky: Genau, wie wir einmal lernen mussten, dass rot bei Ampeln "Stopp" heißt, so will uns der Trendforscher zum Beispiel beibringen, dass künftig blau die Farbe für autonomes Fahren ist. Solange der Bug des F 015 weiß schimmert, sitzt deshalb ein Mensch am Steuer. Und sobald die Elektronik übernimmt, färbt sich die Front blau ein.
Zwei E-Motoren pushen den F 015 auf bis zu 200 km/h
Angetrieben wird der F 015 von gleich zwei E-Motoren mit zusammen 272 PS, die ihn in 6,7 Sekunden auf Tempo 100 wuchten und immerhin 200 Sachen erlauben. Weil man Luxus am besten auf Langstrecken genießt, schafft die Brennstoffzelle mit dem Wasserstoff aus den Carbontanks 900 Kilometer. Und weil das Tankstellennetz noch ausgesprochen dünn ist, haben die Ingenieure sicherheitshalber auch noch eine Plug-in-Batterie für weitere 200 Kilometer eingebaut.
Der gigantische Radstand (3,61 Meter) schafft viel Platz im Innenraum.
Noch läuft der F 015 nur mit einem strengen Tempolimit und rumpelt bei stolzen drei Tonnen Realgewicht mit kaum mehr als 50 Sachen auf seinen 26-Zöllern ganz schön ungehobelt über den schartigen Beton. Statt aus der Brennstoffzelle kommt der Strom für die E-Maschinen und die ganze Elektronik aus zwei Akku-Packs des elektrischen Smarts. Und weil bei allein einem Dutzend Rechnern für die ganzen Displays irgendwann einmal Platz und Power ausgegangen sind, haben wir das autonome Fahren bei dem Prototypen auf einer programmierten Route simuliert. "Schließlich haben wir mit der S-Klasse auf der Bertha Benz-Fahrt bereits bewiesen, dass wir den Autopiloten beherrschen", rechtfertigt Peter Lehmann diesen kleinen Taschenspielertrick seiner Mannschaft. Doch anfällige Salontüren hin, simulierte Autonnomie her – die faszinierende Erlebnis- und Infotainmentwelt im Innenraum funktioniert schon tadellos und die Hardware bezeichnen die Schwaben bereits als durchaus greifbar. "Ein Auto wie der F 015 ist deshalb kein ferner, unrealtischer Traum, sondern eine Vision mit sehr viel Bodenhaftung", sagt Advanced-Designer Holger Hutzenlaub.
Trotzdem verschwindet der F 015 nach ein paar Runden wieder in seinem klimatisierten Zelt und am Ende der Testfahrten in einem Container, der nach ein paar Zwischenstopps wahrscheinlich irgendwann im Werksmuseum enden wird. Denn ein bisschen, so die Botschaft, müssen wir auf die Zukunft wohl noch warten.