Der Gipfel der automobilen Unvernunft liegt exakt auf 1,28 Meter Höhe. So hoch steht die Abrisskante des BMW X6 – eines technisch fragwürdigen SUV-Coupés von über zwei Tonnen, dem das Feigenblatt des ordentlichen Kofferraums fehlt. Wie das geht? Bestens, denn BMW hat's erfunden, schon über 280.000 Kunden weltweit haben viel Geld für das Spielzeug hingeblättert – Ende der Diskussion. Aber nicht Ende der Mode, denn sie weckte Nachahmer wie das Mercedes GLE Coupé, dessen Ziel lautet, sportlicher zu sein als das Original. Müssen wir den Gipfel der Unvernunft also demnächst neu vermessen?

Im Mercedes GLE lässt es sich auch in Reihe zwei aushalten

Mercedes GLE Coupé
Höher auslaufendes Dach: Im Vergleich zum X6 finden im GLE hinten auch Erwachsene ausreichend Platz.
Äußerlich nicht, weil der Mercedes sich ähnlich lang streckt (4,90 Meter) und ausbreitet (spiegelkillende 2,00 Meter) wie der BMW. Woran liegt es dann, dass die Kopie noch fetter, noch imposanter aussieht? Vielleicht am Kühlerstern und den optionalen 21-Zoll-Rädern, beide wuchern auf rekordverdächtiges Format. Wo der X6 noch ansatzweise die Dachholme und Pomuskeln einzieht, setzt der GLE ungehemmt auf Showeffekte. Unten Panzer, oben ein Hauch vom S-Klasse-Coupé, mit breiter Chromspange und prallen Flächen im Heck. Immerhin hat sein höher auslaufendes Dach praktische Vorteile: Hinten können Erwachsene würdig einsteigen und Platz nehmen – so wächst der GLE zum Gran Turismo, allerdings mit einer unsinnig hohen Ladekante. Denken die bei Mercedes nicht mehr an Alltag? Und das Alter? Der X6 dagegen fühlt sich vorn luftiger an, bietet ein breiteres Sichtfeld und ein Cockpit, das vom Fahrer wegrückt statt ihn einzumauern wie der GLE.
Alle News und Tests zum Mercedes GLE Coupé

Der BMW-Motor hat merklich mehr Mühe mit dem SUV-Coupé

BMW X6
Der Reihensechser klingt sportlich, aber auch etwas gequält – die 303 PS schleppen schwer am X6.
Was uns besser gefällt? Geschmacksache, und sicher auch Gewohnheit, schließlich sollen Stammkunden ihre gelernte Griffwelt wiederfinden: hier der BMW mit Wählhebel auf der Mittelkonsole und virtuellem Tacho (390 Euro extra), dort der klassische Mercedes mit Zündschloss, Schalthebel rechts hinterm Lenkrad, Sitzverstellung in der Tür und analogem Tacho. Neu ist der drehbare Fahrprogrammregler auf der Mittelkonsole. Der liefert fünf Programme, um die 333 PS mundgerecht zu servieren, die zum ersten Vergleich vorfahren. Die beiden Dreiliter-Benziner, hierzulande durstige Exoten gegenüber den beliebteren Dieseln, taugen bestens, um die unterschiedlichen Charaktere herauszuschälen. Denn in Fahrleistung und Dynamik kann das GLE Coupé seinen Anspruch einlösen: Der Biturbo wirkt und beschleunigt lebendiger, läuft wunderbar gedämmt und zeigt erst kurz vorm roten Bereich akustisch die Zähne – dabei verbraucht der V6 nicht mehr als der BMW.
Alle News und Tests zum BMW X6
Dessen Reihensechser klingt präsent, aber unter Last auch gequält. Der Einzelturbo hat gut zu schleppen, gehört noch zur älteren Motorgeneration (N55). Dennoch rennen die Brocken gut 250 km/h laut Tacho – und gönnen sich dann 30 bis 35 Liter. Wer jetzt nicht nach gelassenen, drehmomentstärkeren Dieseln ruft, der gurgelt auch mit Wodka.

Große Räder verhageln beiden geschmeidigen Abrollkomfort

BMW X6 Mercedes GLE Coupé
Überholt rechts: Der Mercedes GLE zeigt sich im Vergleich dynamischer als sein Münchner Konkurrent.
Erstaunlich, dass der X6 höher dreht und nach Sportler klingt, dabei aber komfortabler schaltet und federt. Die Achtstufenautomatik verhaspelt sich nie, das Fahrwerk bemüht sich zumindest in "Comfort" um geschmeidiges Abrollen, das zu den Cruisern passt. Aber nein, bei diesen Show-Schiffen müssen große Räder drauf, die tolle Bremswerte bringen, aber das Schluckvermögen verhageln. Wer darin zuckend durch die Stadt cruist, der wippt nicht zur Musik, sondern im Takt der Schlaglöcher. So gesehen rollt der GLE mit seiner Luftfederung noch akzeptabel ab, wenngleich straffer als der X6. Auch die Sport-Direktlenkung übersetzt Befehle zackiger – da lässt sich das sportliche Mercedes-Ziel mit den Händen greifen. Doch selbst die dicken Puschen machen aus SUV keine Kurvenfreunde. Hoher Schwerpunkt und viele Kilos stempeln die Hochsitze zu Längsdynamikern.

Also steckt man das Geld besser in Komfort, die Schiffe sind schließlich teuer genug: 5800 Euro kostspieliger als ein X5, Mercedes verlangt 6307 Euro mehr als beim normalen GLE. Dafür fahren Luxus-Leckerlis wie elektrisch öffnende Hecktüren, Leder (bei BMW) oder Rückfahrkamera und dynamisches Kurvenlicht (bei Mercedes) schon serienmäßig mit. Schlimm genug, dass schlüsselloses Öffnen in beiden Autos um 1000 Euro zusätzlich kostet – gehören solche Gimmicks nicht unbedingt dazu, wenn die Show stimmen soll? Der Gipfel der Unvernunft liegt bei diesen Autos automatisch höher.

Fazit

von

Joachim Staat
Mercedes hat den X6 weitgehend kopiert – aber das GLE Coupé hat mehr Platz, ist spitzer und sportlicher als das Original. Zwei Punkte Vorsprung zählen beim Kauf nichts. Da geht es um die Show, ach, seien wir ehrlich: ums Angeben. Und da spielt der Stern jetzt groß mit!

Von

Joachim Staat