Mit der Mercedes S-Klasse hat Daimler 2021 auch die gepanzerte Version seines Pkw-Flaggschiffs neu aufgelegt. Der S 680 Guard 4Matic soll gleichzeitig viel Luxus und maximale Sicherheit bieten. AUTO BILD ist das tonnenschwere V12-Schiff gefahren!
Hinweis
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Für die Neuauflage des S-Guard hat Mercedes einen neuen Weg gewählt. War der Vorgänger im Grunde noch eine gepanzerte S-Klasse, ist sein Nachfolger ein Panzerfahrzeug im S-Klasse-Gewand. Bedeutet: Schon der Rohbau wird speziell für den Guard angefertigt, inklusive aufwendiger Schutzmechanismen. Darauf werden dann die Panzerelemente geschraubt.
Zentimeterdicke Platten und mehrlagige Scheiben mit Splitterschutz sorgen fürs Erreichen der VPAM-Schutzklassifizierung VR10. Das ist die höchste Stufe im Zivilsektor – ein so klassifiziertes Auto muss Granatenangriffen sowie dem Beschuss mit Sturm- und Scharfschützengewehren standhalten. Gas und Rauch wird mittels eines Überdrucksystems draußen gehalten, rund zehn Löschmitteldüsen am Unterboden ersticken etwaige Feuer. Auch der gesamte Antriebsstrang samt Bremsen und Getriebe wurde an das immense Mehrgewicht angepasst.

S-Klasse-Hülle ist eigentlich nur Tarnung

Die S-Klasse-Hülle über all der Technik dient im Prinzip nur der Tarnung, um das Fahrzeug so unauffällig wie möglich zu machen und im Konvoi nicht auffallen zu lassen. Das gelingt vorzüglich, nur bei genauerem Hinsehen fallen Unterschiede auf. Etwa die dicken Michelin Pax-Reifen, die auch zerschossen noch rund 30 Kilometer gefahren werden können. Oder die Bügelgriffe anstelle elektrisch ausfahrbarer Türöffner.
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Mercedes S 680 Guard (2021): Test - erste Fahrt - Preis - Motor - V12 - Info

So fährt das neue Kanzler-Auto

Bild: Daimler AG

Einige Extras gibt es im S 680 Guard aus Sicherheitsgründen nicht

Auf den ersten Blick also eine ganz normale S-Klasse. Der Eindruck ändert sich beim Öffnen der Tür schlagartig. Jedes einzelne Portal wiegt rund 200 Kilogramm und beherbergt Druckspeicher und Kompressor für die Notöffnung der Fenster. Aktuatoren helfen beim Aufziehen und Zudrücken und sorgen dafür, dass die schwere Tür auch am Hang in ihrer Position bleibt.
Kurzer Check im Fond. Hinten rechts sitzen die Guard-Besitzer, selbst fahren ist in dieser Liga nicht angesagt. Platz- und Luxusverhältnisse sind dann wieder auf S-Klasse-Lang-Niveau. Kühlschrank, beheizte und belüftete Massagesitze sowie ein Fond-Infotainment finden sich auch im Guard. Einige Extras wie Glasdach oder Gestensteuerung im Dachhimmel sind aber nicht zu haben, weil die sich mit dem Sicherheitsanspruch beißen würden.

Der Verbrauch des V12 liegt wegen des Gewichts auf Lkw-Niveau

Umstieg nach vorne. Auch hier herrscht S-Klasse-Atmosphäre. Mit dem Unterschied, dass im Mitteltunnel Knöpfe für Sprech- und Signalanlage, Martinshorn, Notbelüftung und Feuerlöscher sitzen. Trotz der dicken Scheiben ist die Sicht nach draußen kaum merklich verzerrt.

Auf Knopfdruck erwacht der Sechsliter-Biturbo-V12 zum Leben. Das 612-PS-Aggregat verrichtet sonst nur noch im S-Maybach seinen Dienst, im Guard ist die Maschine aber bitternötig. Denn die gepanzerte Limousine wiegt mit 4,2 Tonnen so viel wie ein Kleinlaster. Der Verbrauch liegt mit 19,5 Litern auf 100 Kilometer nach WLTP ebenfalls auf Lkw-Niveau.

Beeindruckend, wie der S Guard mit seinem Gewicht klarkommt

Fahren tut sich das Ganze schlichtweg beeindruckend. Das liegt vor allem am schieren Gewicht, das man mit jedem gefahrenen Meter spürt. Es ist bemerkenswert, wie druckvoll die 830 Nm Drehmoment den allradgetriebenen Koloss nach vorne schieben. Vor Kurven stauchen die Bremsen den Mega-Mercedes dann zusammen, dass es die Karosserie von den Federbeinen zu reißen scheint.
Mercedes S-Klasse S 680 GUARD 4MATIC
Trotz 4,2 Tonnen Gewicht schieben die 830 Nm Drehmoment des V12 die gepanzerte Limousine druckvoll nach vorn.
Bild: Daimler AG

In schnell gefahrenen Kurven neigt sich die ganze Fuhre stark und schiebt über alle vier Räder nach außen. Das Untersteuern ist naturgemäß recht ausgeprägt, vor allem bei zackigem Lenkeinschlag. Trick: Sanft einlenken, damit die Reifen Grip aufbauen können. Dann funktioniert es auch mit dem angedachten Kurvenradius. Bodenwellen lassen den Aufbau lange nachschaukeln, das erinnert an eine Yacht bei sanftem Seegang.

Auch mit einem Platten spürt man beim Fahren kaum einen Unterschied

Unterm Strich bleibt der Guard aber auch im Grenzbereich jederzeit beherrschbar. Und zwar auch mit platten Pneus. Um das zu demonstrieren, lassen die Mercedes-Techniker die Luft aus dem linken Vorderreifen und schicken mich wieder auf die Strecke. Tatsächlich, bis 80 km/h ist bei Geradeausfahrt kaum ein Unterschied zu spüren! In Kurven wird das Einlenken undefinierter, bleibt aber noch immer gut kontrollierbar.
Das kann im Ernstfall Leben retten. Soweit muss es heute nicht kommen. Schließlich ist das ein Kundenfahrzeug, und angesichts von 457.100 Euro Grundpreis wären Schäden mehr als unvorteilhaft – auch wenn die Leitplanke wohl den Kürzeren ziehen würde.

Von

Moritz Doka