Kässbohrer Pistenbully 600E+
Bis zu 20 Prozent weniger Spritverbrauch und damit auch CO2-Emissionen verspricht der Hersteller Kässbohrer.
Jeder Skifahrer kennt sie, die roten Pistenraupen, die Nacht für Nacht die Hänge beackern, damit die Alpinisten am nächsten Morgen wieder bestens präparierte Abfahrten vorfinden. Doch seit einiger Zeit mischt sich immer mal wieder eine grüne Schneekatze unter die Flotte – der Pistenbully 600 E+. Was bei Autos gilt, trifft auch auf Pistenraupen zu: Grün hat was mit Umweltschutz zu tun. Der E+ ist nämlich nicht irgendein andersfarbig lackiertes Sondermodell, sondern die welterste Hybrid-Schneekatze. Bis zu 20 Prozent weniger Spritverbrauch und damit auch CO2-Emissionen verspricht der Hersteller Kässbohrer, der inzwischen gut 40 der 360.000 Euro teuren 600E+ verkauft hat. Im Idealfall sind das fünf Liter Diesel weniger pro Betriebsstunde; in einer Saison ist so eine Schneekatze gut und gern an die 1000 Stunden im Einsatz.Doch wie hat Kässbohrer dem Bully den Durst ausgetrieben? Am Motor kann's nicht liegen, im 600E+ kommt der gleiche, fast 13 Liter große Diesel von Mercedes zum Einsatz wie in seinen konventionellen Brüdern. Doch auch bei Pistenraupen heißt das Zauberwort Elektrifizierung.
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Elektro statt Hydraulik

Kässbohrer Pistenbully 600E+
Statt Hydraulik-Pumpen treibt der der Diesel im 600E+ zwei jeweils 140 kW starke Generatoren an.
In normalen Pistenbullys treibt der nur 400 PS, dafür aber 1900 Newtonmeter Drehmoment leistende Sechszylinder Hydraulikpumpen an. Der dadurch erzeugte Öldruck setzt wiederum Hydraulikmotoren in Gang, und die wirken auf die Antriebsräder an den Fahrketten. Genau hier setzt Kässbohrer beim E+ an: Die Pumpen sind rausgeflogen, stattdessen gibt der Diesel seine Kraft an zwei jeweils 140 kW starke Generatoren ab. Die Ölleitungen wurden durch orangefarbene Kabel ersetzt und die Hydraulikmotoren sind E-Maschinen gewichen.

Sparsam dank Rekuperation

Nur weil die Kraftübertragung von Öl auf Strom umgestellte wurde, ändert sich am Verbrauch aber noch nicht viel. Das eigentliche Sparpotenzial steckt auch beim E+ vor allem in der Rekuperation. Immer wenn es bergab geht, arbeiten die Elektromotoren an den Ketten als Generatoren und gewinnen Energie zurück. Anders als bei Toyota Prius und Co, wo der so erzeugte Strom in einer Batterie zwischengespeichert wird, hat der Pistenbully aber gar keinen Akku! "Den braucht er nicht", erklärt uns Kässbohrer-Entwicklungs-Vorstand Michael Kuhn, "außerdem würde das bei der Kälte auf der Skipiste ohnehin nicht gut funktionieren".

Kässbohrer Pistenbully 600E+
Der zurückgewonnene Strom wird direkt von der Schneefräse wieder verbraucht.
Stattdessen verbraucht der 600E+ den zurückgewonnen Strom sofort wieder, und zwar mit der Schneefräse. Die Kombination aus Häcksler und Rechen, mit der die Pistenraupe den Weg hinter sich wieder schön glatt macht, wird üblicherweise auch hydraulisch betrieben. In der Hybrid-Version aber sitzt auch hier ein Elektromotor, und da die Fräse abgesehen von den letzten Metern in die Garage fast immer mitläuft, steht jederzeit ein hungriger Verbraucher zur Verfügung. So wird der Verbrenner entlastet und der Verbrauch nach unten gedrückt.

Fährt sich deutlich angenehmer

"20 Prozent sparen wir zwar nicht", erzählt uns Dolorico, "aber drei bis vier Liter weniger braucht der E+ in der Praxis schon. Das sind immerhin über 3000 Liter Diesel pro Saison". Der studierte Jurist hat vor ein paar Jahren die Kanzlei gegen die Skipiste getauscht und steuert nun allabendlich den 600E+ über die Hänge am Südtiroler Kronplatz. Und er ist begeistert von seiner grünen Schneekatze. Der E+, so Dolorico, ist nämlich nicht nur sparsamer, sondern fährt sich auch viel angenehmer. Das wollte AUTO BILD natürlich selbst ausprobieren!
Kässbohrer Pistenbully 600E+
Die meisten Schalter und Knöpfe bedienen Schneefräse und -pflug.
Das Cockpit erinnert mit seinen vielen Schaltern und Tasten zwar eher an ein Flugzeug als an ein Auto, doch Dolorico beruhigt. Die meisten Knöpfe braucht man, um Schneefräse und -pflug zu steuern. Zum Fahren gibt's lediglich ein kleines Lenkrad und nur ein Pedal: Tritt man aufs Gas, fährt der E+ los, geht man runter, bleibt er stehen. Eine extra Bremse braucht der mit Stahlketten über neun Tonnen schwere Bully nicht! Wir nehmen auf dem beheizten Lkw-Sitz hoch über der Piste Platz, legen per Tastendruck den Vorwärtsgang ein, und geben sachte Gas. Und wirklich: Sanft wie eine Oberklasselimousine setzt sich der 600E+ in Bewegung. "Hörst Du, da scheppert nichts", zitiert Dolorico Ex-VW-Chef Winterkorn. Tatsächlich ist der grüne Pistenbully ausgesprochen leise. "Die alten Hydraulik-Antriebe sind viel lauter, das nervt irgendwann schon", so Dolorico, "aber hier kannst Du ganz gemütlich fahren und verstehst sogar, was im Radio kommt".

Direkter als ein Porsche

Kässbohrer Pistenbully 600E+
Hat man den richtigen Dreh aber einmal raus, steht dem Fahrspaß im Schnee nichts mehr im Weg.
Von der gemütlichen Fahrt haben wir schnell genug und geben etwas forscher Gas. Sofort nimmt der Pistenbully Fahrt auf und kommt schnell auf die optimale Präpariergeschwindigkeit von rund zwölf km/h; maximal schafft er gut 20 Sachen. Nachdem wir den Hang gerade aus hoch gebraust sind, ist es an der Zeit für die erste Kurve. "Vorsichtig lenken", ruft uns Dolorico noch zu, doch da dreht sich die Pistenraupe schon um die eigene Achse im Kreis. Ganz ehrlich, liebe Porsche-Ingenieure: Eure Lenkungen sind super, aber wenn ihr mal wissen wollt, was eine richtig direkte Lenkung ist, fahrt Pistenbully! Nur ganz sachte darf man das Volant bewegen, will man keine Pirouetten drehen. Hat man den richtigen Dreh aber einmal raus, steht dem Fahrspaß im Schnee nichts mehr im Weg. Zumindest solange noch Sprint im Tank ist – aber der hält im E+ zum Glück ja etwas länger.

Von

Michael Gebhardt