Alle sind eingeweiht. Die Eltern, die Freunde, die Kinder Lukas (5) und Lena (3). Tamara Gärtner (32) ahnt nicht, was sie an diesem Tag erwartet. Langsam rollt der Wagen auf den Hof, und dann erblickt sie ihn: ihren Opel Calibra, magmarot, Baujahr 1991. Tamara lacht, weint, ihre Wangen nehmen vor Aufregung die Wagenfarbe an. Jemand drückt ihr einen Blumenstrauß in die Hand. "Du bist doch nicht normal", ruft sie und fällt ihrem Mann um den Hals. Was für eine Überraschung. Ganz alltäglich ist es in der Tat nicht, was Marco Gärtner (43) sich ausgedacht hat, um seine Frau zu beglücken. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion besorgte er für 1800 Euro einen Zweithand-Calibra und schaffte ihn per Anhänger heim – als neues Mitglied der Familie. Wer das Paar am Auto beobachtet, erlebt die pure Freude. Die beiden strahlen um die Wette und turteln wie die Teenager.

Die sentimentale Erinnerung ans erste eigene Auto

Opel Calibra
Lenkrad und Schaltsack passend zur Lackfarbe – so war das Anfang der 90er-Jahre.
Bild: O. Tamm
Marco, genauer Dr. Marco Gärtner, betreibt als Internist in Barbing bei Regensburg eine gut gehende Hausarztpraxis. Einer wie er könnte auch Mercedes CLS fahren oder Lexus oder Range Rover. Tut er aber nicht. "Der Opel ist unsere persönliche Zeitkapsel, unser Farbtupfer im grauen Auto-Einerlei", sagt Marco Gärtner. "Und für meine Frau hat dieses Modell eine besondere Bedeutung. Immer wenn sie einen roten Calibra sah, fing sie an zu weinen – ich musste ihr einfach einen kaufen." So ein Gefühl kennen viele. Die Wehmut, die sentimentale Erinnerung ans erste eigene Auto. Bei der jungen Frau ist es ihr halbes Leben. Bereits als 17-Jährige bekam Tamara Gärtner von ihrem damaligen Freund, der Opel sehr mochte, einen magmaroten Calibra geschenkt. Sie nähte einen farblich passenden Handschaltsack und freute sich auf den Führerschein. Die Liebe zerbrach, und Tamaras nächster Freund war Audi-Fan. Noch vor ihrem 18. Geburtstag verkaufte er das Coupé zugunsten eines A4 – obwohl Tamara dagegen war. Vergessen konnte die Krankenschwester ihren ersten Wagen nie.

Familie Gärtners Calibra ist stadtbekannt

Tamara Gärtner
Tamara Gärtner schätzt an ihrem "Cali" nicht nur die schöne Form, sondern auch die praktische Heckklappe.
Bild: O. Tamm
Mit der Neuerwerbung ist diese Wunde endlich geheilt. Rund 5000 Euro haben Marco und Tamara Gärtner in das Auto gesteckt. Zwar hatte es beim Kauf erst 113.000 Kilometer gelaufen und war technisch einigermaßen in Schuss, doch der für damalige Opel typische Rost musste beseitigt, die Hohlräume konserviert, die Karosserie teilweise neu lackiert werden. "Außerdem haben wir dem Wagen ein sanftes zeitgenössisches Tuning gegönnt", sagt Marco. "Innen bekam er ein Leder-Sportlenkrad, außen einen dezenten Heckspoiler. Und natürlich hat Tami wieder rote Säcke für Schaltung und Handbremse genäht." Zum Familienfuhrpark gehören auch zwei top erhaltene BMW: ein 325i Cabrio (E30) und ein 735i (E32). Besonders toll fänden die Kinder aber den Calibra, weil er so schnittig aussieht und einen Spoiler hat. Der Wagen dürfte stadtbekannt sein. Barbing in der Oberpfalz hat 5400 Einwohner, tanzt um den Maibaum, an Feiertagen tragen die Einheimischen Dirndl und Lederhose, auch die Jugend. Hier kennt jeder jeden; schickt es sich da für einen angesehenen Arzt, mit dem Opel-Manta Nachfolger zu promenieren? "Aber klar, wir haben richtig viel Spaß", sagen Tamara und Marco. "Vor allem im Urlaub, wenn wir mit unserem Cali beim Fünf-Sterne-Hotel vorfahren." In den vergangenen fünf Jahren hat sich viel getan bei den Gärtners. Sie zogen zweimal um, bekamen zwei Kinder, bauten die Arztpraxis auf. Und haben ihren geliebten Calibra. Tamara startet den Motor, zieht die Sonnenbrille ins Gesicht und schiebt eine Kassette ins Opel-Radio: Blondie, "Heart Of Glass". Once I had a love and it was a gas; Soon turned out had a heart of glass. Der Abend ist mild, das Schiebedach offen. Der rote Opel rollt vom Werkstatthof und reiht sich in den fließenden Verkehr ein. Es scheint, als hätten die Gärtners ihr Glück gefunden.