1947: Nur die Amis können klotzen

Der erste Genfer Salon nach dem Zweiten Weltkrieg geht ganz bescheiden über die Bühne. 1947 regiert in Europa in erster Linie der Mangel. Rohstoffe wie Benzin, Stahl und Kohle sind ebenso knapp wie Arbeitskräfte. Die Fabriken sind zerbombt, die Strukturen zerfallen. Der Schwarzmarkt blüht ebenso wie der Autoklau. In Düsseldorf wird sogar der Dienstwagen des nordrheinwestfälischen Ministerpräsidenten Rudolf Amelunxen gestohlen.

Selbst die Schweiz ist nicht mehr so gepflegt wie ihr Ruf. Die Straßen im vom Krieg verschonten Genf sind in üblem Zustand und werden für den Salon notdürftig ausgebessert. Doch auch der zeigt nur ein Notprogramm: Mangels finanzieller und konstruktiver Masse gibt sich kein einziger deutscher Hersteller in Genf die Ehre. Auch England, Frankreich und Italien sind nur mit einem kleinen Aufgebot vertreten. Nur die USA, deren Industrie der Krieg noch stärker gemacht hat, klotzen mit einer wahren Invasion schwerer Limousinen. Doch nach Chevrolet und Chrysler fragt im Nachkriegs-Europa keiner.

In seiner Eröffnungsrede am 13. März 1947 wünscht sich der Schweizer Bundespräsident Philippe Etter, "daß das Automobil nach seinem Einsatz für Kriegszwecke nun wieder dem Frieden und dem Wiederaufbau dienen soll". Darin sind sich alle einig. Doch die Vehikel, die man dafür dringend braucht, gibt es erst im nächsten Jahr.

1948 sieht die Welt schon ein wenig freundlicher aus – auch für die deutschen Hersteller: So präsentiert Volkswagen in Genf den ersten Nachkriegs-Käfer. Optisch wie technisch ist er zwar noch auf dem Stand von 1938, doch seine 24,5 PS reichen erst einmal aus, um das deutsche Wirtschaftswunder in Fahrt zu bringen.

Ein Jahr später bedienen deutsche Hersteller schon wieder höhere Ansprüche: Mit dem Porsche 356B und dem Prototyp des Borgward Hansa geben extravagante Neuheiten ihr Debüt am Genfer See. Die Franzosen servieren derweil erstmals ihr Gegenstück zum Käfer: den 2CV.

Die 50er: Flügeltürer und Barockengel

Mit den Jahren verschaffen die Genfer ihrem Salon mehr Raum: Eine unmittelbar an das Ausstellungsgelände angrenzende Kaserne wird 1953 abgerissen, eine zweite Halle mit 4200 Quadratmetern gebaut. Rundherum sperren die Schweizer eigens für den Salon mitten in der Stadt eine Teststrecke mit engen Kurven und einer langen Geraden. Selbst die Nonnen des benachbarten Klosters Notre Dame liegen in den Fenstern und können sich dem Reiz der vorbeirasenden Ausstellungsstücke nicht verschließen. Das wiederum ist kein Wunder, denn neben den Lloyds, Isettas und Fiats fürs gemeine Volk debütieren in Genf zunehmend auch wieder zahlreiche Hingucker.

1954 zeigt Mercedes erstmals den 300 SL mit Flügeltüren, BMW präsentiert den staunenden Schweizern erstmals die kurvige Limousine namens 501, die dank ihrer schwellenden Formen später den Spitznamen "Barockengel" erhält.

Auch an den Ständen geht die Zeit nicht spurlos vorbei. Nüchterne Plattformen mutieren im Lauf der 50er Jahre zu mehr oder weniger kunstvoll gestylten Bühnen. VW und Porsche beeindrucken das Publikum mit neuartigen Lichteffekten. Andere Hersteller schneiden ihre Karosserien gnadenlos auf und gewähren dem staunenden Publikum völlig neue Einblicke in die Technik.

Zu einer Premierenbühne der ganz besonderen Art entwickelt sich der Salon 1961. Erstmals zeigt die sowjetische Autoindustrie Flagge in der Schweiz: Mit den Marken Moskwitsch, Tschaika, Wolga und Zil sind die Russen gleich vierfach vertreten. Und in einer verschämten Ecke der Halle parkt ein häßliches Entlein, das auf den entzückenden Namen Hino Contessa hört. Nur auf gezielte Nachfrage ist zu erfahren, daß das skurrile Vehikel von einem Konzern namens Nissan gefertigt wird – und damit das erste japanische Automobil auf Schweizer Boden ist.

Frauenträume und Fortschritt

Doch die 60er Jahre bieten noch andere bezaubernde Novitäten. Zunehmend garnieren hübsche junge Damen die Exponate. Im Unterschied zu heutigen Gepflogenheiten aber sind die Stand-Girls in höchst züchtige Outfits gekleidet. Knielange Glocken- und Faltenröcke sind angesagt, die Mini-Mode bleibt in der prüden Schweiz noch ziemlich lange außen vor.

Knapp bemessen ist in Genf nach wie vor der Platz. Die Lage der Messehallen mitten in der Stadt und die in Sonderzügen anrückenden Besucher führen zeitweise zu chaotischen Zuständen, die die Genfer Kantonsregierung 1968 zu einer weitreichenden Entscheidung veranlassen: Mit dem Erwerb von 18 Hektar Grünland am Flughafen Cointrin schafft sie die Basis zum Neubau eines Messegeländes. Mehr passiert allerdings zunächst nicht, denn dank diverser Bürgerinitiativen wird sich der Baubeginn bis 1977 verzögern.

Bis dahin tut sich noch eine ganze Menge in den alten Hallen am Ufer der Arve. 1970 debütiert der Citroën SM – ein Sportcoupé mit Maserati-Motor, das nicht nur avantgardistisch gestylt ist. Seine progressive Servolenkung ist ebenfalls ihrer Zeit voraus. Ähnlich zukunftsweisend gibt sich zwei Jahre später der Range Rover. Die neuartige Kombination aus Geländegängigkeit und Komfort wird zum Vorbild für eine Fahrzeuggeneration, die erst Jahrzehnte später unter dem Kürzel SUV Furore machen soll.

Aufsehen erregt 1972 erstmals auch der Lokalmatador Franco Sbarro. Der ehemalige Rennmechaniker beglückt die Branche mit der Studie eines Sicherheitsautos – und wird künftig mit schöner Regelmäßigkeit mehr oder minder schrille Studien in Genf präsentieren.

Die Ölkrise: Rückkehr zur Vernunft

Doch dann wirft 1973 die erste Ölkrise ihre Schatten auf den Salon. Während Rolls-Royce Konkurs anmelden muß, stehen auf einmal die vernünftigen Autos wieder hoch im Kurs: VW präsentiert in Genf den Passat, ein Jahr später debütiert der Golf.

Gleichzeitig kommt der Diesel-Boom ans Rollen. Während Selbstzünder bis dato eine Domäne von Mercedes-Benz und Peugeot waren, wenden sich jetzt immer mehr Hersteller der sparsamen Alternative zu.

Doch der Beliebtheit des Genfer Salons tut der Trend zur Vernunft keinen Abbruch – im Gegenteil. Mit großem Pomp feiern die Eidgenossen 1980 das 50. Jubiläum. Gleichzeitig zelebriert Audi mit dem Ur-quattro die Premiere des schnell laufenden permanenten Allradantriebs. Weniger schnell beginnen die Arbeiten derweil draußen am Flughafen, wo das neue Ausstellungsgelände entsteht: Bis zu seiner Eröffnung wird es noch zwei Jahre dauern.