Auf was habe ich mich hier nur eingelassen? Der Carbon-Schalensitz schirmt Kopf und Schultern zu den Seiten ab. Zwei riesige Sicherheitsnetze umzäunen den Fahrerplatz. Fest umklammere ich die beiden Hörnchen des flachen Rennlenkrads. Es ist heiß. Fast 35 Grad Außentemperatur zeigt das Zentraldisplay.
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Unter dem Helm läuft mir der eigene Schweiß in die Augen. Und hinter meinem Rücken tobt und brüllt der V10-Saugmotor. Die Boxenmauer rechts, die Haupttribüne links, auf der erstmals an einem Rennwochenende in Mitteleuropa in dieser Saison wieder kleine Zuschauergruppen sitzen – die Außenwelt verschwimmt zu Tunnelwänden. Auf fast 250 km/h haben die 495 PS den Audi R8 LMS GT4 katapultiert.
Der Seyffarth Audi R8 LMS Cup ist ein Markenpokal, in dem ausschließlich seriennahe R8 nach GT4-Reglement starten dürfen. Fahrer können entweder ein „All inclusive“-Paket buchen. Dann stellt die Seyffarth-KFZ Technik GmbH, die die Serie auch ausschreibt, leihweise einen R8 GT4 inklusive Mechanikern an der Rennstrecke bereit. Wer selbst einen solchen Rennwagen besitzt, darf ebenfalls teilnehmen. Dabei muss das Reglement der Serie eingehalten werden, das nur wenige Setup-Änderungen – wie etwa an Luftdruck oder Stabilisator – erlaubt und Einheitsreifen von Hankook vorschreibt. 
Vor mir baut sich majestätisch die Mercedes-Tribüne auf. Die kleine Senke runter und voll in die Eisen. Mein Oberkörper presst sich in die breiten Hosenträger-Gurte. Viermal ziehe ich an der linken Schaltwippe, dirigiere das Doppelkupplungsgetriebe vom sechsten bis in den zweiten Gang. Mit einem Fauchen und Böllern aus 5,2 Liter Hubraum quittiert der R8 jeden Gangwechsel.
Das Lenkrad schlage ich so weit nach rechts ein, dass sich meine Oberarme kreuzen. Lenkung langsam öffnen und wieder aufs Gas. Ein kurzer ungläubiger Blick auf die Rundenzeit, die das Zentraldisplay anzeigt: In 2:16.224 Minuten habe ich die Grand-Prix-Strecke des Nürburgrings umrundet. Das ist viel zu langsam.
Markenpokal für Hartgesottene
Beim Schnellerwerden helfen den Fahrern, wie hier unserem Autor Martin Westerhoff (links), Profis wie der fünffache Le-Mans-Gesamtsieger Frank Biela.
2:07.920 Minuten und damit über acht Sekunden weniger wird der Erstplatzierte Patrick Schneider am Ende des freien Trainings für die 5137 Meter benötigt haben. Doch Frust schieben ist fehl am Platz. Schließlich ist die Euphorie bei Fahrern und Fans groß. Denn den Veranstaltern des AvD-Oldtimer-Grand-Prix ist durch ein umfangreiches Hygiene- und Sicherheitskonzept gelungen, statt vor leeren Tribünen vor 5.000 Zuschauern pro Tag fahren zu dürfen.
Rüdiger Seyffarth, der Mann hinter dem Seyffarth R8 LMS Cup, ist erleichtert. Für ihn und sein an Rennwochenenden 40 bis 50 Personen umfassendes Team ging an jenem Wochenende Anfang August die verkürzte, nunmehr dritte Saison des Markenpokals endlich los. „Wir sind überaus glücklich, bei dieser Veranstaltung dabei zu sein. Denn gemeinsam setzen wir ein Zeichen, dass Motorsport mit Zuschauern geht, wenn sich alle an die Spielregeln halten“, sagt er.
An die Spielregeln halten müssen sich auch die Fahrer. Ihnen allen steht Ralf Flachbarth als Renn- und Dateningenieur gleichermaßen zur Verfügung. Mit dem Laptop unter dem Arm liest er die Daten aller Autos nach jeder Sitzung aus. Vom Schnellsten lernen ist die Devise. Der jüngste Starter am Nürburgring ist 16, der älteste 59 Jahre alt. Profis, Amateure und Junioren sind gleichermaßen startberechtigt, werden neben einer Gesamtwertung auch separat gewertet.
Nach dem Auftakt am Nürburgring sind diese Saison noch drei Rennwochenenden mit je zwei Rennen geplant: Most (Tschechien, 28.-30. August), Assen (Niederlande, 25.-27. September) und eine weiteres, das in Kürze bekannt gegeben werden soll. Gaststarts bei einzelnen Veranstaltungen sind möglich.
Auch für mich als Gaststarter nimmt sich Flachbarth Zeit. Legt Daten wie Gaspedalstellung, Bremsdruck, Lenkwinkel und sogar Kurvenlinien des Schnellsten mit meiner Aufzeichnung übereinander. Jeder Fehler wird
sichtbar – besonders dort, wo die Zeitkurven auseinanderdriften. Erstes Fazit: Härter bremsen, weniger schnell in die Kurven, dafür früher ans Gas zum Rausbeschleunigen. Und noch einen Tipp hat er für mich: „Klemm Dich beim Qualifying nicht hinter einen der schnellsten Fahrer. Sondern hinter einen, der knapp schneller ist als Du.“
Dran glauben darf Matthias Kämpf. Er fährt nicht nur seine dritte Saison in dem Markenpokal, sondern es ist auch sein drittes Jahr überhaupt als Hobby-Rennfahrer. Mit 48 Jahren kam er als Rookie und legte eine steile Lernkurve hin. Wie viele andere setzt er auf den Zentraleinsatz mit einem Leihfahrzeug von Seyffarth, ein Rundum-Sorglos-Paket.
Wenig später verfolge ich ihn. Versuche herauszufinden, wo er schneller ist und wo ich es bin. Nach ein paar Runden setzt er den Blinker. Ich fahre vorbei. Und stehe einen Startplatz vor ihm. Kämpf sieht es locker. „Mir geht es darum, dass wir beide unseren Spaß haben. Und das Rennen kommt erst noch.“
Dort habe ich das Nachsehen. Kämpf setzt sich nach dem Start ab. Mein Boxennachbar Tim Reiter, ein zurückhaltender, hochkonzentrierter 21-Jähriger, gewinnt. Auch mein Ehrgeiz ist geweckt. Dadurch, dass es an einem Wochenende zwei Rennen gibt, habe ich die Chance auf Revanche.
Ex-Profi Frank Biela, fünffacher Gesamtsieger des 24-Stunden-Rennens von Le Mans, ist Coach und Konkurrent in einem. Er fährt selbst mit, gibt aber auch jedem Fahrer bereitwillig Tipps. Mit seiner Erfahrung und Flachbarths Datenanalyse gerüstet starte ich ins zweite Rennen. Diesmal lasse ich mich nicht abschütteln, bleibe dran an Matthias Kämpf. Vier Runden vor Schluss komme ich ihm immer näher. Zeitweise höre ich den Motor seines Autos lauter als den des eigenen. Während ich zunehmend aggressiver fahre, setzt er aufs Gegenteil, meidet Kerbs und wilde Aktionen.
Während Youngster Reiter erneut einen haushohen Sieg einfährt, komme ich 1,85 Sekunden hinter Kämpf ins Ziel. Meine anfänglichen über acht Sekunden Rückstand auf die Spitzenzeiten sind auf 4,8 Sekunden geschrumpft. Das ist bei etwas mehr als fünf Kilometern Streckenlänge zwar immer noch viel, aber ein deutlicher Fortschritt – der für die Chancengleichheit und das Lernkonzept im Seyffarth R8 LMS Cup spricht.

Von

Martin Westerhoff