Deutschland gilt als Land der Schnellfahrer. Hollywoodstar Tom Hanks frohlockte nach einem German-Autobahn-Urlaub einst bei Talkmaster David Letterman: "Die Regierung steht hinter dir, und du kannst einfach Gas geben, Baby!"
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Bis heute gibt es auf nahezu der ganzen Welt Tempolimit, aber nicht in Deutschland. Die Freiheit des freien Rasens auf der Bundesautobahn widersetzte sich bisher allen politischen Debatten und Krisen. Und das, obwohl zu schnelles Fahren nachweislich die häufigste Ursache von tödlichen Autounfällen ist.

Studie: Tempolimit bringt rund eine Milliarde Euro pro Jahr

Jetzt, in der Klimadiskussion ist das Tempolimit wieder im Gespräch. Kürzlich erregte eine Studie Aufmerksamkeit, die vier Wissenschaftler aus Schweden, Kanada und Deutschland in der Fachzeitschrift Ecological Economics publizierten. Sie errechneten die gesellschaftlichen Vorteile eines 130-km/h-Tempolimits auf jährlich rund 950 Millionen Euro.
Die Fragestellung beschrieben sie als komplex: Einerseits werde zum Beispiel häufig argumentiert, das Tempolimit verlangsame den Verkehr und sei damit ein Verlustbringer. Andererseits sorgr hohes Tempo aufgrund notwendiger Sicherheitsabstände für höhere Verkehrsdichte und verursache somit schneller Staus, die wiederum den Verkehr verlangsamen. Das gebe nach Ansicht der Forscher den Ausschlag.

Tempolimit bringt nicht nur einen Sicherheitsgewinn

Die Studie schlussfolgert, dass ein Tempolimit nicht allein einen Sicherheitsgewinn, sondern auch Nutzen durch Spritersparnis, niedrigere Lieferkosten und geringere Aufwendungen für Straßenbau und -wartung bringe. Allein diese Vorteile quantifizieren sie mit jährlich 660 Millionen Euro. Hinzu komme noch der Effekt auf die Umwelt durch geringere CO2-, Schadstoff- und Lärmemission. Summa summarum 950 Millionen Euro im Jahr.
Verkehrsschild
Tempo 130 ist in Deutschland bisher nur Richtgeschwindigkeit. Tatsächlich gibt es laut ADAC auf 30 Prozent der Autobahnen bereits Tempolimits.
Bild: Harald Almonat
Die Studie stützt sich auf frei zugängliche öffentliche Daten. Sie ist allerdings auch nicht fehlerlos. So wird dort behauptet, dass die Fahrzeugkategorie "Light Truck" ohnehin nur 130 km/h schnell fahren könne, was de facto nicht stimmt. Moderne Lieferwagen wie der Mercedes Sprinter erreichen 160 km/h und mehr, wären also vom Tempolimit benachteiligt. Dieser grobe Schnitzer der Forscher irritiert.
Also, was bringt ein Tempolimit, etwa von 130 km/h, auf deutschen Autobahnen? AUTO BILD trägt die Fakten zusammen!

Umwelt: Wie viel CO2 könnte ein Tempolimit einsparen?

Fakt ist: CO2 trägt als Klimagas maßgeblich zur Erderwärmung bei. 2020 wurden in der EU knapp 682 Millionen Tonnen Treibhausgase produziert, gut 141 Millionen davon in Deutschland. Der Verkehrssektor ist nach der Energiewirtschaft und der Industrie mit rund 20 Prozent CO2-Ausstoß der drittgrößte Verursacher von Treibhausgasemissionen.
Den weitaus größten Teil der Verkehrsemissionen verursacht der Straßenverkehr (96 Prozent, Stand 2019). Für etwa 61 Prozent davon sind Benzin- und Diesel-Pkw, für 36 Prozent Lkw verantwortlich.
Tempolimit 120
Ein Tempolimit von 120 km/h auf Bundesautobahnen würde laut Umweltbundesamt die Emissionen um jährlich 2 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente reduzieren.
Bild: dpa

Und während sich in den meisten Bereichen die Bilanz verbessert, hinkt der Verkehrssektor weiter hinter den Vorgaben her. Grund für die Zunahme sind höhere durchschnittliche Motorleistungen, mehr Fahrzeuge und mehr zurückgelegte Kilometer auf deutschen Straßen. Zur Möglichkeit der Einsparung durch ein Tempolimit für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge gab es zuletzt im April 2022 Zahlen vom Umweltbundesamt
Demnach verursachten Pkw und leichte Nutzfahrzeuge im Corona-Jahr 2020 auf Bundesautobahnen in Deutschland Treibhausgasemissionen in Höhe von rund 30,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten. Durch die Einführung eines generellen Tempolimits von 130 km/h würde die Treibhausgasemissionen jährlich um 1,5 Millionen Tonnen, bei 120 km/h um 2,0 Millionen Tonnen und bei 100 km/h sogar um 4,3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente reduziert. Dies gelte sogar, wenn sich nicht alle an das vorgegebene Tempolimit hielten. Würden sich alle an Tempo 100 halten, fiele die Einsparung sogar rund 20 Prozent höher aus. Im Vergleich zu früheren Jahren, also mit "normalem" Verkehrsaufkommen, wäre das Einsparpotenzial entsprechend größer.

Wie würde sich Tempo 130 auf die Sicherheit auswirken?

Im Jahr 2021 starben 2562 Menschen in Deutschland bei Straßenverkehrsunfällen, 318 davon auf der Autobahn. Zwar stieg die Zahl der Autobahnunfälle mit Toten oder Verletzten leicht. Dennoch gehörten die Zahlen zu den niedrigsten seit über 60 Jahren. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte zuletzt im November 2022 ein generellen Tempolimit auf Deutschlands Straßen. "Das Tempolimit verhindert Unfälle und rettet Menschenleben. Jedes Opfer ist eines zu viel", betonte der stellvertretende GdP-Vorsitzende und Verkehrsexperte Michael Mertens.
Verkehrsschild
Tempo 130 ist in Deutschland bisher nur Richtgeschwindigkeit. Tatsächlich gibt es laut ADAC auf 30 Prozent der Autobahnen bereits Tempolimits.
Bild: Harald Almonat
Doch eine am 21. November 2022 vorgestellte Untersuchung der Unfallforschung der Versicherer (UDV) mit dem Titel "Unfallursache Geschwindigkeit" (zum PDF) bezweifelt die Vorteile eines Autobahn-Tempolimits: "Auch wenn 130 km/h als die unter günstigsten Umständen zulässige Höchstgeschwindigkeit intensiv überwacht und damit überhaupt eingehalten würde, wird das Potenzial für die Verkehrssicherheit durch diese Maßnahme als eher gering eingestuft." Vielversprechender sei dagegen eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 80 km/h auf Landstraßen.

Vision Zero zwingt zu einschneidenden Maßnahmen

Nichtsdestotrotz müssen die Anstrengungen für weniger Verkehrsopfer verstärkt werden. Mittlerweile ist die "Vision Zero" (keine Verkehrsunfälle mit Todesfolge oder schwerem Personenschaden) sogar in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs Ordnung (VwV StVO) als Grundlage aller verkehrlichen Maßnahmen verankert.
Laut dem bereits erwähnten Untersuchungsbericht der Unfallforscher ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit aber nur ein Faktor bei der Erreichung dieses Ziels. Mindestens genauso wichtig seien eine verbesserte Fahrzeugtechnik, bessere Fahrerassistenzsysteme und Verkehrsinfrastruktur und vor allem die Beeinflussungen des Verkehrsverhaltens aller Verkehrsteilnehmer. Für das Unfallgeschehen insgesamt sei eine nicht angepasste Geschwindigkeit ausschlaggebender. Einschränkend hinzugefügt werden muss hingegen, dass in der Unfallforschung der Nachweis der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit meist nicht ohne ein ausführliches Gutachten erfolgen kann.

Deutlich höheres Gefahrenpotenzial auf Landstraßen

Ein generelles Tempolimit auf Autobahnen von 130 km/h lässt aus Sicht der Unfallforscher insgesamt nur einen geringen Einfluss auf die Reduzierung schwerer Verkehrsunfälle erwarten. Ein deutlich größeres Potenzial könnte vielmehr in der wirkungsvollen Reduzierung der zulässigen Landstraßen-Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h liegen.
Tempolimit 80 km/ auf Landstraßen
In anderen europäischen Ländern, wie in Teilen Frankreichs, gilt auf Landstraßen eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 80 km/h.
Bild: DPA

Auch der ADAC wies bereits früher darauf hin, dass die eigentliche Schwachstelle in Sachen Verkehrssicherheit die Landstraßen seien, wo knapp 60 Prozent aller Verkehrstoten registriert würden – bei nur etwa 40 Prozent der Kfz-Fahrleistungen. Bei der Betrachtung der Autobahnen schnitten Länder mit genereller Geschwindigkeitsbeschränkung wie Österreich, Belgien oder die USA in Sachen Sicherheit nicht besser ab als Deutschland, so der Verkehrsclub. Auch beim innerdeutschen Vergleich seien auf Abschnitten ohne Tempolimit weder mehr Unfälle noch eine höhere Unfallschwere (Getötete je 1000 Unfälle mit Personenschaden) als auf Strecken mit Tempolimits von 120 oder 130 km/h festzustellen.

Welche Auswirkungen hat ein Tempolimit auf den Verkehrsfluss?

70,4 Prozent des Autobahnnetzes haben kein Tempolimit. Dauerhaft oder zeitweise geltende Beschränkungen mit Schildern gibt es auf 20,8 Prozent, wie Daten der Bundesanstalt für Straßenwesen für 2015 zeigen. Am häufigsten sind Tempo 120 (7,8 Prozent) und Tempo 100 (5,6 Prozent). Dazu kommen variable Verkehrslenkungsanzeigen.
Standstreifen auf BAB 2
Viele Tempolimits auf deutschen Autobahnen sind temporär und richten sich nach der jeweiligen Verkehrssituation.
Bild: dpa

Ob ein Tempolimit zu besserem Verkehrsfluss führen würde, darüber sind sich selbst Stauforscher uneins. Während Michael Schreckenberg von der Universität Duisburg-Essen dies "für nicht zielführend" hält, sagte des Dresdner Verkehrspsychologe Bernhard Schlag in den ARD-"Tagesthemen": "Ein Großteil der Staus entsteht dadurch, dass sehr unterschiedlich schnell gefahren wird. Nach hinten fängt's an zu stottern, weil man nach hinten sich aufstauende Bremsmanöver hat." Dies nennen die Fachleute "Schmetterlingseffekt".
Der Hauptgrund für Staus ist jedoch ein Sättigungsproblem, das heißt zu viele Autos auf zu wenig Raum. Also lässt sich keine wirkliche Aussage über die Auswirkung eines Tempolimits auf den Verkehrsfluss machen.

Würde ein Tempolimit Zeitverlust mit sich bringen?

Tempolimit-Gegner führen ins Feld, sie seien bei hohem Tempo schneller am Ziel. Bringt eine Geschwindigkeitsbegrenzung wirklich einen hohen Zeitverlust mit sich? 20 Professoren resümierten 2004 in einer Studie, dass die Zeitverluste bei einem "moderaten" Tempolimit auch bei freier Strecke niedriger seien als vielfach erwartet (5 bis 7 Minuten je 100 Kilometer bei einem Rückgang um 20 km/h, ca. 3 Minuten je 100 Kilometer bei einem Rückgang um 10 km/h). Sie beträfen zudem geringe Anteile des Gesamtverkehrs, die jedoch mit einem besonders hohen Unfallrisiko verbunden seien, heißt es.

Erhöht schnelles Fahren auf der Autobahn den Stress?

Für viele Autofahrer gehört es zur persönlichen Freiheit, so schnell fahren zu dürfen, wie sie möchten. Schnellfahrer betonen die Freiheitsgefühle, die bei hoher Geschwindigkeit auf einer freien Autobahn entstünden. Sie möchten sich vom Staat nicht gängeln lassen, ungeachtet möglicher Gefahren. Schon während der Ölkrise 1974, als ein viermonatiger Tempo-100-Großversuch gestartet wurde, gab es den Aufschrei: "Freie Fahrt für freie Bürger!"

Die renommierte Verkehrswissenschaftlerin Maria Limbourg spricht sich indes für ein Tempolimit aus, um den emotionalen Druck vom Fahren zu nehmen: "Für entspanntes Fahren", wie sie dem "Tagesspiegel" sagte. In den Augen der Raser seien alle langsameren Autofahrer "Hindernisse", die durch dichtes Auffahren oder per Lichthupe bedrängt würden. "Bei einem Tempolimit fällt das weg", argumentiert die emeritierte Professorin der Universität Essen. Tatsächlich ist das Fahren in Ländern mit Tempolimit stressfreier, allerdings fühlen sich manche dabei eingeschränkt.

Gerichte vergeben Mitschuld bei Tempofahrten

Ungeachtet des Sicherheitsfaktors von Autobahnen: Für Richter in Deutschland stellen Hochgeschwindigkeitsfahrten ein erhöhtes Risiko dar. Wer die Richtgeschwindigkeit von 130 überschreitet, der begibt sich in eine Grauzone und muss bei einem Unfall damit rechnen, eine Mitschuld zu bekommen. Es sei denn, er kann nachweisen, dass der Unfall auch bei Richtgeschwindigkeit geschehen wäre.
Wenn das dem Schnellfahrer nicht gelingt, kann er auch bei unverschuldeten Unfällen eine Teilschuld zugesprochen zu bekommen. Mit allen Folgen: Mitschuld bei Personenschäden, Punkte in Flensburg, Inanspruchnahme der eigenen Versicherung.

Schadet das Tempolimit dem Image Deutschlands?

Für viele Deutsche ist die "freie Fahrt" identitätsstiftend. Sie gehört zu unserem Land, argumentieren sie. Für die allermeisten anderen Nationen gilt Deutschland als Land der freien Fahrt. Deutsche Autos gelten generell als hochgeschwindigkeitstauglich, als "autobahnfest". Der Ruf strahlt auch auf die Autoindustrie ab.
Deutschland gilt weltweit als Autonation, die Autos von Audi, BMW, Mercedes und Porsche sind begehrte Statussymbole – auch wenn sie in den USA, China und Japan, wo flächendeckend Tempolimits gelten, nie ausgefahren werden können. "Autobahn tested" ist aber ein internationales Markenversprechen. Wie groß wäre der Imageschaden für die deutsche Wirtschaft? Der lässt sich schwer beziffern, macht aber Industrievertretern Sorge.
Christian Jeß
Was spricht für, was gegen Tempolimit auf deutschen Autobahnen? Es gibt wohl mehr Gründe dafür als dagegen – insbesondere der Kampf gegen den Klimawandel zwingt zu einschneidenden Maßnahmen. Schädigt das die deutsche Autoindustrie? Das ist eher nicht zu erwarten. Das Argument, ein Tempolimit erübrige sich mit der Elektromobilität, weil Elektroautos bei hohem Tempo drastisch an Reichweite einbüßen, zählt jedoch eher nicht: Steigende Ladeleistung, Akku-Kapazitäten und Effizienz werden in wenigen Jahren auch hier den Unterschied eliminiert haben. Das Tempolimit bleibt also ein Reizthema!