Das Grollen ist zuerst dumpf und leise, wird von Sekunde zu Sekunde immer kerniger und erinnert an ein wildes Trommelkonzert auf einer leeren Metalltonne. Nur, der Himmel ist strahlend blau, Donner und Gewitter fallen aus. Was so infernalisch klingt, wird nach wenigen Wimpernschlägen klar. Hinter der Kurve kämpfen zwei offene Sportwagen um die Vorherrschaft auf der Strecke: der Lamborghini Gallardo Spyder und das BMW M6 Cabrio. Beide mit Zehnzylinder in V-Form, zusammen 1027 PS stark. Am Steuer zwei ambitionierte Fahrer auf der Suche nach der Ideallinie. Doch auch erfahrene Fahrer sollten sich der Nordschleife mit großem Respekt nähern. Nicht ohne Grund nannte Ex-Formel-1-Weltmeister Jackie Stewart die 20,8 Kilometer lange Rennstrecke mit 73 Kurven "grüne Hölle". Starke Boliden benötigen eine erfahrene Hand, eine, die aus ihnen Leistung herausquetscht, bis es quietscht. Deshalb macht Wolfgang Kaufmann, Rennfahrer mit Klassensieg beim 24-Stunden-Rennen in Dubai und FIA-GT-Treter, die Pace. Er fühlt sich auf der Nordschleife zu Hause und kennt jeden Curb beim Vornamen. "Für mich gehört der Ring auch nach 24 Jahren und vielen 24-Stunden-Rennen zu meinen absoluten Lieblingsstrecken", sagt Kaufmann.

"Der Lamborghini Gallardo Spyder sieht schon im Stand schnell aus"

Schon in der Box wird klar, wer neben Kaufmann hier zu Hause ist: "Der Lamborghini Gallardo Spyder sieht schon im Stand schnell aus", so der Experte. Aus seinem fünf Liter großen Mittelmotor quellen 520 deutlich hörbare PS, die auf vier Räder übertragen werden und 1,8 Tonnen zu schleppen haben. Da muss der 507 PS starke BMW M6 mit über zwei Tonnen passen, auch weil seine Kraft lediglich über die Hinterachse abgegeben wird. Doch täuscht der erste Eindruck? "Abwarten", meint Kaufmann. Breit und wuchtig steht der M6 auf den Rädern, die ausgestellten Radhäuser beherbergen 19-Zöller mit 255ern vorn und 285ern hinten. Seitenschweller, dreigeteilte Frontschürze mit Nieren-Längsstäben und der wuchtige Kofferraumdeckel runden das Bild ab.
Der M6 wirkt wie ein Bodybuilder unter Anspannung kurz vor dem Wettkampf: voller Kraft dank durchtrainierter Muskeln, die er sehr gerne zeigt, wenn dann endlich alle Hüllen fallen. Auffälliger wirkt der Italiener. "Lambo-Fahrer benötigen ein großes Selbstbewusstsein, denn nur wenige Autos verursachen ein Staunen und Raunen wie dieser Sportwagen", ist sich Kaufmann sicher. Und das auch bei abgeschaltetem Motor. Die keilförmige, flache Karosserie und die beiden großen Lufteinlässe signalisieren Angriffslust von der ersten Sekunde an. Einem Rennwagen gleich fällt die Front kurz aus, die Hälfte des Autos besteht optisch nur aus Motorhaube, an der Hinterachse kommen 295er Walzen zum Einsatz. Die Warmlaufphase ist beendet, die zehn Liter Öl des Lambo und die 13 Liter des BMW in den Trockensumpfschmierungen sind auf Temperatur.
Das Konzept der Motoren gleicht sich: hoch drehende Zehnzylinder in V-Form ohne Aufladung mit fast fünf Liter Hubraum. Dazu automatisierte Schaltgetriebe und Power ohne Ende. "Technik vom Feinsten", sagt Kaufmann. Doch die Unterschiede stecken im Detail, werden beim Tritt aufs rechte Pedal sofort deutlich. Im Lamborghini klackt der erste von sechs Gängen des E-Gears hörbar ein, begleitet von leichtem Rasseln im Heck. Ab 4500 Touren öffnet die Bypassklappe im Auspufftrakt und wie Darth Vader röchelt er seinen heiseren Atem auf die Straße. Das volle Drehmoment von 510 Newtonmetern reißt ab 5500 Umdrehungen so brutal an den Antriebswellen und den 19-Zöllern, als sollten diese den Asphalt umpflügen. Kurz vor der Höchstdrehzahl von 8000 Umdrehungen kocht dem Stier das Blut und er schreit seine Qualen hinaus – gewaltig. "Akustisch perfekt. So muss ein richtiger Sportwagen klingen", wie Kaufmann ergänzt.

Die Gänge peitschen durch die Box wie Zorros Degen durch die Luft

Der soll gar nicht dezent sein: Auch optisch ist der Gallardo unbescheiden.
Mit kurzem Ziehen an den Schalthebeln peitschen die übrigen Gänge im Sport-Modus so schnell durch die Box wie Zorros Degen durch die Luft. "Nervig nur, dass die Hebel an der Lenksäule statisch verbaut sind", meint Rennexperte Kaufmann. Spontanes Schalten in engen Kurven wird damit erschwert. Ebenfalls störend: die Antriebsverspannung des Allradantriebs beim Rangieren und in engen Kurven. Der Bayer gibt sich dezenter, wuchtet im Normal-Modus lediglich 400 PS auf die Kurbelwelle. "Im Stadtverkehr durchaus ausreichend", gibt sich Kaufmann bescheiden. Das Kribbeln in den Fingern wird nur durch Drücken der Power-Taste in der Mittelkonsole gelindert: Jetzt erst zerren die gesamten 507 PS an der Kurbelwelle und die Doppel-Vanos Nockenwellenverstellung schiebt im Hochdrehzahlbereich von 7750 Touren auf ganz kurze Ventilöffnungszeiten. Kurz vorher, bei 6100 Umdrehungen, erreicht der M6 seine volle Kraft in Form von 520 Newtonmetern und bläst zum Vortrieb. Nur am Klang der vier runden Endrohre ist nicht zu erkennen, was für ein gewaltiges Orchester unter der Motorhaube musiziert und die kurzen Gasstöße des Dirigenten direkt umsetzt.
Ergonomisch und sicher lassen sich dafür die beiden Schalthebel am Lenkrad erreichen, schalten schnell und nahezu geräuschfrei durch die Siebengang-SMG-Automatik. Unterbrochen von einer kleinen Verzögerung tänzelt das Heck trotz Differenzialsperre und bei ausgeschaltetem ESP um die Kurven – und das bei dem schweren Frontmotor. Bei heftiger Beschleunigung schiebt der komfortabel abgestimmte Bayer dennoch über die Vorderräder, die Karosserie arbeitet deutlich auf der Nordschleife und wirkt unter der starken Beanspruchung instabiler und angestrengter. "Der BMW ist kein reiner Sportwagen, auch wenn er sehr sportlich abgestimmt wurde", sagt der Rennfahrer. Der Gallardo ist dank Allradantrieb und Mittelmotor an Traktion und Gewichtsverteilung kaum zu überbieten, wird nach jeder Kurve süchtiger und begeistert durch hohe Karosseriesteifigkeit, geringe Wankbewegungen und direkte Lenkung.
Mit dieser Mischung hastet der Italiener in 4,6 Sekunden auf die 100er-Marke und erreicht 200 km/h nach 14,3. Da sieht der Bayer nur schwarze Endrohre: Er braucht 5,0 respektive 15,0 Sekunden. Sein letzter Gang wurde zu lang übersetzt, was auf dem Nürburgring nur auf der langen Geraden der Döttinger Höhe auffällt. Allerdings wird bei 250 km/h ohnehin abgeregelt – der Lambo zieht hier brüllend von dannen – bis 314 km/h. Die Schmach kann nur durch das von der M GmbH angebotene optionale BMW Drivers Package inklusive Fahrertraining gelindert werden: Der M6 wird dann bis 305 km/h freigeschaltet. Das Donnern ebbt nicht ab, nur, dass diesmal der Himmel nicht mehr blau leuchtet – die ersten Tropfen klatschen auf die Stirn. Auf zur letzten gemessenen Runde, auch wenn der nasse Asphalt den Schnitt versaut wie die Pinkelpause auf der Urlaubsreise. Zum letzten Mal spucken die beiden V10 verächtlich ein Gemisch aus Benzin, Öl und Kondenswasser auf den Teer und sind bereit für die letzte Ölung – auf dem Weg aus der grünen Hölle.

Von

Fabian Hoberg