Gefühlt ist der Drache doch gerade erst erwacht – und schon leckt er sich die Wunden. Wohin nur mit all dem schnellen Blech? Der Kollaps auf den chinesischen Straßen ist längst Realität, die Stau-Apokalypse Alltag. China versucht zu retten, was zu retten ist. Kunden dürfen Neuwagen in den Millionenmetropolen nur zulassen, wenn sie als "NEV" (New Energy Vehicle) ausgewiesen sind und mindestens 60 Kilometer weit rein elektrisch fahren können. Wer auf einen Pkw mit Verbrennungsmotor besteht, kann für 10.000 Euro an einer Verlosung limitierter Zulassungen teilnehmen. Niemand weiß, wie lange noch! Pkw mit Dieselmotoren sind generell verboten. Chinas Zukunft hängt definitiv an der Steckdose.

Ladekabel liegen teilweise auf den Straßen herum

BYD Qin 70
Plug-in-Hybrid mit Ladeproblemen: Für Autos wie den BYD Qin 70 fehlt in China die technische Infrastruktur.
Doch der Bau von Ladestationen hinkt der automobilen Kauflust hinterher. In Großstädten stolpern Passanten schon über willkürlich ausgelegte Ladekabel. Von weltweit 873.000 verkauften NEV in 2016 erhielten allein 507.000 eine Zulassung in China. 2017 sollen es rund 700.000 werden. Parallel ersetzen die städtischen Verkehrsbetriebe konventionelle Dieselbusse durch batterieelektrische Fahrzeuge. Den Nachteil ihrer geringen Reichweite kompensieren pragmatische Politiker kurzerhand durch zwei Elektrobusse pro ausrangiertem Ölbrenner. So sollen in Shanghai ab 2020 nur noch Stromer für den Personenverkehr unterwegs sein. Kurierdienste nutzen schon länger Elektro-Scooter, zudem gibt es einen starken Trend zu Leihfahrrädern. Innerhalb weniger Monate wurde Shanghai mit rund einer Million bunter Treträder geflutet, immer mehr Pedelecs kommen hinzu. Per GPS geortet und über Smartphone-Apps freigeschaltet, radelt man für umgerechnet 13 bis 25 Cent pro Stunde.

Der chinesische Automarkt legt an Volumen und Qualität zu

Haval H6
Gar nicht schlecht: Der Haval H6 rollt geschmeidig und komfortabel ab, bietet innen gute Qualität.
Ganz nebenbei freuen sich die Betreiber über wertvolle Kundendaten, während Fußgänger ein wachsendes Chaos beklagen: Weil es keine ausgewiesenen Stellplätze gibt, blockieren parkende Leihräder Gehwege, Parks und Freiflächen vor Wohnanlagen. Hier und da wehren sich die Bürger. Sie zerlegen Fahrräder und entsorgen sie. Chinesen können sehr zornig sein! Dennoch hält die Aufbruchstimmung auch unter chinesischen Automobilherstellern an. In nur zehn Jahren stieg die jährliche Nachfrage nach Personenwagen im Heimatmarkt von sechs auf heute 24 Millionen. Für 2025 werden bereits 35 Millionen erwartet. Um den mittlerweile größten Automarkt der Welt zu bedienen, wuchsen mehr als einhundert heimische Automarken heran, die mit steigender Kaufkraft der chinesischen Mittelschicht zunehmenden Druck der traditionellen ausländischen Marken spüren. Chinesen schätzen die Produktqualität ausländischer Marken noch immer höher ein als die ihrer eigenen.
Zudem bieten ausländische Hersteller immer mehr Fahrzeuge "made in China" zu bezahlbaren Preisen an. Indem sie Joint-Ventures mit chinesischen Partnern eingehen, um mit lokal produzierten Modellen die hohen Einfuhrzölle zu sparen. Allein im Oberklasse-Segment sind Chinesen wenig preissensibel. Nur deshalb kann es sich Porsche leisten, in China keine Fertigung hochzuziehen und alle Modelle zollpflichtig einzuführen.

Auch deutsche Hersteller produzieren für und in China

VW Teramont
Volkswagen aus Shanghai: Für stolze 63.767 Euro gibt es das 5,04 Meter lange SUV Teramont – nur in China.
Auch die Flaggschiffe von Mercedes, BMW und Audi werden nach wie vor außerhalb Chinas gebaut und eingeführt. Finanzkräftige Chinesen zahlen für prestigeträchtige Produkte gern mehr, wenn sie nur aus dem Ausland kommen. Es gilt die Faustregel: Was teuer ist, muss gut sein! Längst beeinflusst der chinesische Kundengeschmack die technische Ausrichtung und Ausstattung von Fahrzeugen auch ausländischer Marken. Zahlreiche Langversionen europäischer Limousinen und SUV werden ausschließlich in China für China gebaut. Deren Antriebseinheiten berücksichtigen zudem chinesische Steuerklassen. Und wie reagieren die heimischen Marken auf den heftigen Westwind im Land? Mit der Zentralregierung im Rücken blicken sie nicht länger nur bis zu den Landesgrenzen Chinas, sondern setzen an, die Konkurrenz auch international zu parieren. Insbesondere der Weg zur Elektromobilität nährt ihre Hoffnung auf Erfolge. Sie folgt der Erkenntnis, den teilweise über einhundertjährigen Vorsprung von Europäern und Amerikanern im Automobilbau nicht so rasch aufholen zu können. Vielmehr wähnen sie einen Know-how-Vorsprung in der Stromspeichertechnik. Die größten Werkbänke für Computer und Mobiltelefone mit immer leistungsfähigeren Stromspeichern stehen in China.
Doch bevor weniger komplexe vollelektrische Stromer aus China die Märkte fluten, treiben vorerst noch benzinelektrische Hybride die Mobilisierung des Riesenreichs voran. Mit ihnen setzen Marken wie SAIC, Geely, Chery, BYD & Co demnächst auch zum Sprung nach Europa an. Ob sie bereits konkurrenzfähig sind, wollten wir gemeinsam mit unseren Kollegen von AUTO BILD China auf dem Testgelände der Reifenmarke Maxxis in Kunshan nahe Shanghai erfahren. Test the Best made in China.

Fazit

von

Jürgen Zöllter
Vor vier Jahren hat AUTO BILD das erste Mal im Rahmen von 'Test the Best China' chinesische Autos getestet – und wir waren entsetzt. Unser Urteil damals: technisch veraltete Blender mit riesigem Abstand zu unseren Autos. Dieser Abstand schmilzt. Die meisten der von uns getesteten Fahrzeuge überzeugten diesmal mit modernem Design, guter Verarbeitung und zeitgemäßer Technik. Viele chinesische Produkte kränkeln allerdings noch an der unharmonischen Abstimmung von Fahrwerk, Lenkung und Antriebskomponenten. Hier fehlt es schlichtweg an Erfahrung. Das könnte sich schnell ändern.

Von

Jürgen Zöllter