Vier Ringe, vier Siege – so lässt sich das Motorsportjahr 2008 für Audi zusammenfassen. Damit wäre zum Thema "Vorsprung durch Technik" auf den Rennstrecken dieser Welt eigentlich alles gesagt. Wirklich alles? Natürlich nicht. Wir wollten uns selbst ein Bild von den Siegerautos machen. Gesagt, getan. Audi stellte uns den A4 DTM sowie den R10 TDI im italienischen Misano auf den Asphalt. Selbst für einen erfahrenen Motorjournalisten ein besonderes Erlebnis. Am Ende des Tages sollte eine Frage beantwortet sein: Mit welchem Renngerät kommt der Nicht-Profi besser zurecht. Wir beginnen mit dem schwächeren der beiden Audi-Athleten – uns und auch der Motorsportabteilung zuliebe. Die beiden Originalfahrzeuge sollen nach dem Tracktest ins Museum wandern. Am besten natürlich in einem Stück.
Schwächer bedeutet im Falle des DTM-A4 rund 460 PS Leistung, die für etwa 285 km/h reichen. Und zwar ohne elektronische Helfer wie ABS, Traktionskontrolle oder ESP. Wenigstens die Lenkung arbeitet dankenswerterweise servounterstützt. Sonst aber bleibt der Fahrer auf sich allein gestellt. Dabei hätte ich mit meinen 1,97 Meter schon beim Einsteigen Hilfe nötig. Zwischen dem gewaltigen Schwellerkasten und dem tiefhängenden Käfigrohr bleibt gefühlt eine Handtuchbreite, um die Sicherheitszelle aus Kohlefaser zu entern. Einmal drinnen, überrascht die mittige, weit nach hinten und ganz weit nach unten verlagerte Sitzposition. Sicher gut für die Gewichtsverteilung, aber ganz schlecht für die Übersicht. Von den Karosserieenden siehst du nichts, manchmal reckst du dich sogar verzweifelt (und wegen der unnachgiebigen Sechspunktgurte vergeblich) nach der Straße. Doch das alles verkommt zur Nebensache, wenn das Lenkrad aufgesteckt und der Wagen aus der Box geschoben wird.

Der DTM-A4 reagiert blitzartig aufs Gaspedal

Tracktest Audi A4 DTM Audi R10 TDI
Im Cockpit des A4 sitzt der Pilot mittig und ganz weit unten – gut für die Balance aber, schlecht für die Sicht.
Die Mechaniker heben den Daumen, ich schalte die Zündung ein und drücke den Startknopf im monumental neben mir aufragenden Schaltknüppel. Nach einigem Stottern und Spucken erwacht der Vierliter-V8 vor mir zum Leben und brüllt mir sofort eine brutale PS-Polka ins Ohr. Ja, die DTM ist laut. Und weil die Endrohre direkt neben mir aufhören, kriege ich den Lärm ganz und gar ungefiltert mit. Nur gut, dass mir Werksfahrer Dindo Capello vorher noch milde lächelnd Ohrstöpsel ins Auto gereicht hat. Kupplung treten, Schalthebel mit Kraft nach hinten reißen und losrollen. Das funktioniert erstaunlich problemlos. Also ab auf die Piste. Hier zeigt der samt Fahrer mindestens 1050 Kilo schwere DTM-Dynamiker dann, warum Timo Scheider Meister geworden ist. Blitzartig reagiert der Hecktriebler auf jeden Ausschlag am Gaspedal und schießt aus den Kurven, als säße ihm ein Rudel C-Klassen im Nacken.

Drei Sekunden bis Tempo 100

Geübte Fahrer brauchen aus dem Stand kaum drei Sekunden bis Tempo 100. Auch bis 200 km/h reicht eine einstellige Zeit. So reißen wir uns ohne zu kuppeln durch die sechs Gänge. Das erfordert zwar eine feste Hand, für einen Rennwagen rasten die Gänge aber erstaunlich geschmeidig ein. Beim Runterschalten, entweder mit Zwischengas und ohne Kupplung, oder eben klassisch, heißt es, die Drehzahl im Auge zu behalten. Weil keine Elektronik mitschaltet, lässt sich der Motor problemlos überdrehen. Zumindest theoretisch. In der Praxis vernichten die Kohlefaser-Bremsen den Speed so schnell, dass man mit dem Runterschalten eh kaum nachkommt.

Total brutal

Dieser Eindruck ist im R10 TDI exakt der gleiche. Ansonsten spielen wir hier in einer anderen Liga. Das beginnt schon mit dem Einstieg. Auch wenn der R10 oben offen ist, geht es in ihm fast so eng zu wie in einem Formel-1-Monocoque. Mir bleibt nur eine Wahl: die Sitzschale oder ich. Und auch wenn es unbequem war, bin ich an dieser Stelle ganz Egoist gewesen. Den Lohn dafür bekam ich auf der ersten Geraden. Wenn 650 PS und 1100 Nm im Rücken schieben, hat das mit Autofahren eigentlich nicht mehr viel zu tun. Eine unsichtbare Macht scheint den Sportprototypen wie ein Spielzeugauto nach vorn zu werfen. Man möchte vor Lust laut schreien. Bitte nicht böse sein, Ferrari, Porsche oder Lamborghini – aber so eine brutale Beschleunigung hab ich noch nie erlebt. Etwa 2,5 Sekunden reichen bis 100 km/h, nach nur sechs Sekunden liegt Tempo 200 an. Bis 340 km/h lässt sich das Spiel fortsetzen – und das bei 1,03 Meter Fahrzeughöhe garantiert unterhalb jedes Radars.

Garantiert unerotisch – das sanfte Nageln des R10 TDI

Tracktest Audi A4 DTM Audi R10 TDI
Dieselpower aus zwölf Zylindern: 650 PS und ein Drehmoment von 1100 Nm. Verglichen mit dem DTM-A4 eine andere Liga.
Dass der R10 TDI dennoch leichter beherrschbar scheint, hat verschiedene Ursachen. Allein die Geräuschkulisse weckt eher Mitleid als Lust. Wo Scheiders DTM-Schlitten brüllt wie ein liebestoller Stier, lässt der R10 nur sanftes Nageln erklingen. Garantiert unerotisch. Auch die Übersicht fällt beim R10 um Welten besser aus. Zwischen den mächtigen Radhäusern rechts und links peilt man über die spitze Nase die Ideallinie an und fertig. Ein wahrhaft grandioser Ausblick. Zu guter Letzt erlauben die Regeln dem TDI einfach etwas mehr elektronische Engel. So werden die fünf Gänge über Schaltwippen hinterm Lenkrad pneumatisch gewechselt. Verschalten unmöglich. Die Kraft des 5,5-Liter-V12 wird zudem von einer regelbaren Traktionskontrolle überwacht und bedarfsgerecht zugeteilt. Das hilft beim Beschleunigen aus engen Kurven oder im Regen, um nicht vom eigenen Heck überholt zu werden. Sieger sind beide Autos. Meine private Meisterschale geht allerdings an den Audi R10 TDI. Der geht unglaublich brutal los und bleibt trotzdem erstaunlich brav – solange man ihn nicht reizt.

Fazit von AUTO BILD MOTORSPORT-Testfahrer Gerald Czajka

Klar, beide Rennwagen überrollen dich einfach mit schierer Kraft und Grip jenseits der Vorstellungskraft. Unterm Strich kann der Le-Mans-Renner aber doch einen hauchdünnen Vorsprung herausfahren. Zwar fehlt ihm der Anmachsound des A4 DTM, dafür lässt er sich aber spürbar einfacher fahren und wuchert vor allem mit einem Pfund von 1100 Nm Drehmoment.