2400 PS setzen den schnellsten Truck der Welt mächtig unter Dampf. Wir haben den Monster-Volvo mit seinem Tourenwagen-Bruder verglichen.
Video: Volvo S60 WTCC/Iron Knight
Duell der Power-Volvo
Iron Knight, also eiserner Ritter – das klingt erst mal altmodisch. Nach scheppernder Rüstung, nach Pferdchen, die in bunte Tücher gehüllt über eine Zugbrücke traben. Beinahe romantisch ... Nix da! Der Volvo Iron Knight ist ein erbarmungsloser Brutalo. Eine hochmoderne Maschine, die sogar Weltrekorde hält. Den stehenden Kilometer zum Beispiel – also einen Sprint aus dem Stand heraus über 1000 Meter – walzt kein Truck auf der Welt schneller nieder. Nur 21,29 Sekunden dauert ein solcher Kilometer-Spurt. Nach 4,5 Sekunden hakt der Truck dabei Tempo 100 ab, bis 200 km/h vergehen 9,6 Sekunden – selbst ein Porsche Turbo S benötigt drei Zehntel mehr.
Klein und drahtig gegen dick und mächtig
Duell der Rennmaschinen: Mit dem Iron Knight und dem S60 TC1 treffen die stärksten Volvos aufeinander.
Allerdings: Die Rekord-Disziplin musste Volvos Ritter auf einer schnurgeraden Piste ausfechten. Ob der XL-Dragster auch Kurven kann? So wie ein richtiger Rennwagen, ein auf Handling getrimmter Leichtbauapparat mit Pattexreifen und stocksteifer Fahrwerksabstimmung? So etwas hat Volvo ebenfalls im Programm. In der WTCC (World Touring Car Championship mischen die Schweden mit einer Mittelklasselimousine im Racer-Format mit. S60 TC1 2016 heißt das Ding, dank Vierzylinder-Turbo und 400 PS heizt der sogar recht erfolgreich mit. Trittsicherer Renner, spurtstarker Truck – das schreit ja nach einem gemeinsamen Auftritt. Wir bringen WTCC-Auto und Renn-Lkw für eine höllische Kraftprobe zusammen. Ganz nebenbei prüfen wir auch, wie sich so ein Tourenwagen in der Dragsterdisziplin macht, also einfach nur schnurstracks geradeaus. Also, Rennanzug überstreifen und erst einmal hinein in den Sattelschlepper auf Ecstasy. Besser gesagt: hinauf. Auf fast 1,50 Meter Sitzhöhe muss der Fahrer kraxeln, sich am Rohrgeflecht der Sicherheitszelle vorbeischlängeln, um dann in eine enge Sitzschale zu flutschen.
Auch im Cockpit ist der Iron Knight nur wenig Lastwagen
Von wegen Truckerromantik: Der Arbeitsplatz des Iron Knight folgt strengen Renn-Regularien.
Innen geht es nach bester Rennwagenmethode zu: Alcantara-Lenkrad, reichlich Kippschalter für Zusatzkühlmittelpumpen, gleich eine ganze Armee an Druck- und Temperaturanzeigen, Fünfpunktgurt und Feuerlöscher. Per Schlüssel startet die Maschine. Sie thront hinter der Fahrerkabine und malocht im Prinzip auch in ganz normalen Lkw von Volvo. Im Iron Knight ist aber gar nichts ganz normal. Gleich vier Turbolader pressen das Beste aus dem 13-Liter-Sechszylinder. Heißt in Zahlen: 2400 PS, 6000 (!) Newtonmeter Drehmoment, theoretisch knapp 300 km/h Spitze. Irre 286 Sachen ist der Ritter tatsächlich schon gerannt – dann war die Gerade der Teststrecke zu Ende. Die brutale Aufladung führt zu einem ungewöhnlichen und unberechenbaren Fahrcharakter. Die Kraft fällt enorm verzögert, dafür umso gewaltiger über das Doppelkupplungsgetriebe (ist übrigens ein Serienteil) her. Selbst bei Tempo 130 und im neun-ten von insgesamt zwölf Gängendrehen sofort die Hinterräder durch. Wer draufhält und alle vier Abgaslader mit vollem Druck pusten lässt, könnte bis über Tempo 200 hinaus schwarze Striche auf den Asphalt brennen.
Damit überhaupt passender Kraftschluss zwischen Monstermotor und Automatikgetriebe möglich ist, verbindet ein Kupplungspaket aus Keramikscheiben die Aggregate. Per Tastendruck lässt sich dessen Einrückgeschwindigkeit variieren.
Die Querdynamik des PS-Monsters ist überraschend
Überraschend: Der Koloss reagiert zackig auf Lenkbefehle und wankt beim Richtungswechsel kaum.
Erstaunlich: Die Lenkung reagiert sehr spontan, der Koloss wankt im Richtungswechsel kaum und hält sich auch in engeren Kurven tapfer auf der Innenseite. Die Bremse arbeitet mit zischelnder Luftdruckunterstützung, entsprechend schwammig fühlt sich das unter dem rechten Fuß an. Feinfühlig an die Blockiergrenze herantasten? Eher mit dem Vorschlaghammer die Ankerkette lösen – ruck, zuck stehen die Räder, und der Iron Knight will sich lieber um die eigene Achse drehen als langsamer werden. Überhaupt gleicht die Fahrt eher einem Kampf Mann gegen Material. Das fauchende Ungeheuer lässt sich kaum auf der Piste halten, ständig droht das Heck auszubrechen. Um Zehntelsekunden auf der Stoppuhr dreht sich hier gar nichts, allenfalls um Zehntelmillimeter Gaspedalweg. Keine Frage, der Spaß auf der Rundstrecke ist schrecklich aufregend, jedoch nicht ganz das Metier des Iron Knight.
Im Bug des Tourenwagen tobt eine wahre Drehorgel
Wahnsinn: Im S60 TC1 arbeitet ein 1,6 Liter großer Vierzylinder-Turbo, der satte 400 PS leistet.
Der S60 fährt inzwischen Kreise um den Iron Knight. Nur 1100 Kilogramm leicht, aerodynamisch geschliffen, dazu drücken verstellbare Öhlins-Federbeine die Slicks stramm auf den Untergrund – so stemmt sich der Tourenwagen ziemlich erfolgreich gegen die Fliehkräfte. Trotz Vorderradantrieb bricht der S60 geradezu aus Kurven heraus. Die 400 Turbo-PS haben leichtes Spiel, ein sequenzielles Getriebe jongliert rasselnd mit den Drehzahlen. Bis zu 8500 (!) Touren lässt sich der 1.6er auspressen. Die Maschine faucht, schreit, flirrt, vibriert ungefiltert – hier ist wirklich die gesengte Sau los. Millimetergenau lässt sich der S60 durch die Wechselkurven dirigieren, auf den Zentimeter genau zusammenbremsen – da kann das Schwergewicht nur traurig hinterhergucken. Drei Runden und gut fünf Minuten später – da thront der S60 längst abkühlend knisternd auf seinen pneumatischen Hebestützen – rauscht der Schwermetall-Ritter in die Boxengasse des Kurses im schwedischen Mantorp Park. Sofort peilen Rennmechaniker mit ihren Fernthermometern auf die Scheibenbremsen des Trucks. Alles okay – aber weitere Runden verträgt die Bremse das harte Verzögern von 4,5 Tonnen Schwedenstahl nicht ohne Weiteres.
Das weiß auch das Truck-Team rund um Rekordfahrer Boije Ovebrink. Gerade konstruieren er und seine Männer eine Wasserkühlung für die Bremsanlage, wollen sie demnächst in den eisernen Ritter verpflanzen. Womit klar wäre: Altmodisch und romantisch ist hier gar nichts.
Wer schneller ist? Fast schon egal bei so viel Wahnsinn auf Rädern. Klar, der tonnenschwere Truck tut sich in Handlingübungen schwer. Zu viel Masse, zu verhalten beim Verzögern – das hemmt. Dennoch ist er extrem schnell, allein weil er so zügig Fahrt aufnimmt. Hier ist der Tritt aufs Gaspedal wirklich der Faustschlag in den Nacken. Der Tourenwagen ist ganz deutlich auf hohes Kurventempo und spätes Bremsen ausgerichtet. Die Sprintübung hat ihm – und vor allem seinem Vorderradantrieb – dagegen so gar nicht gefallen. Übrigens: Kaum zu glauben, dass in der WTCC 1.6er-Motoren laufen – aber 400 PS sind ein Wort.