Vier Cabrios im Schnee
Stiere, Bullen & weißes Pulver

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Einmal mit vier besonderen Cabrios durch den Schnee toben – AUTO BILD SPORTSCARS gönnte sich den Spaß im schweizerischen Skiort Ulrichen. Eine durchaus heiße Angelegenheit bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt.
Ulrichen ist ein kleiner, beschaulicherWintersportort mit 218 gemütlich gesinnten Seelen im Schweizer Kanton Wallis. Mit stoischer Ruhe ziehen hier Langläufer durch die Loipen, eingehüllt von einer malerischen, wie mit Zuckerwatte überzogenen Bergwelt. Eine Idylle. Ein Kleinod. Ein verschlafenes Fleckchen Erde. Bis wir kamen. Und mit uns vier Gefährte, die man gemeinhin nichtzur ersten Wahl zählt, wenn man nach einem für Skiurlaub- bzw. Wintersport-geeigneten Vehikel sucht. Aber Skiurlaub hatten wir auch gar nicht im Sinn. Wintersport schon eher. Nicht auf Ski oder Snowboard, sondern auf Gummi. Und oben ohne, damit der eiskalte Fahrtwind das Übermütchen gegebenenfalls kräftig kühle, denn neben praktischen Gründen sprechen auch pekuniäre Aspekte gegen einen leichtfertigen Schnee-Einsatz. Mit Schmackes in eine Schneewand gesteckt, würden bei Komplettzerlegung fällig: 345.100 Euro für den Bentley Azure, 296.310 Euro für den Lamborghini Murciélago Roadster, 99.900 Euro für den Wiesmann MF 3 und 59.885 Euro für den Lotus 2-Eleven.
Auf dass es stürme und staube und lawinenauslösend tobe!
In den frühen Morgenstunden des 28. Januar mussten sich die die Üerlicher – so nennen sich die Einheimischen – an die Zeit vor 1999 erinnert fühlen. Damals gab es hier einen Militärflughafen, Jets starteten und brachten die zerklüfteten Felsriesen zum Schwingen. Diesmal war es kein Fluggerät, sondern ein bodennahes Lustobjekt, das seine Freude an überirdischer Beschleunigung durch ein nichts beschönigendes sechseckiges Loch weit hinein in das Gomser Tal brüllte: "Üerlicher und Gäste, höret her. Seine Brutalität, die Überfledermaus aus St. Agata, und seine drei Gespielen geruhen von heute an für zwei Tage den Schnee zu durchpflügen, auf dass es stürme und staube und lawinenauslösend tobe." Zumindest war es laut genug, dass die Gomser Kantonspolizei schonmal vorsorglich die Ohren spitzte. Doch wir befinden uns mit unserem Schneetreiben auf unantastbarem Gebiet: eben jenem Militärflughafen, der mit einem Kilometer Länge und 40 Meter Breite ideal geeignet ist für ein erstes Herantasten an mögliche Driftwinkel, Traktionstests und weitgehend sinnlose Spielereien jeglicher Art. Bei strahlendem Sonnenschein und Außentemperaturen knapp unter dem Gefrierpunkt ein cooles Unterfangen.
Fahrspaß und Frostbeulen im Lotus 2-Eleven

Ein größerer Kontrast ist kaum vorstellbar als der Wechsel vom Lotus zum Bentley. Erhaben auf dicken Ledersesseln über den Dingen thronend, Sitzheizung auf "hartgekocht", Klima auf 32 Grad, fühlt man sich selbst bei offenem Dach und diesen Temperaturen wie in einer eigenen, wohligen Sphäre. Was hier noch fehlte zur stilechten Vollkommenheit, wären ein Glas Champagner und Kaviar. Gibt man zum ersten Mal mit dem Dickschiff auf geschlossener Schneedecke Gas, tut sich – gar nichts. Gewaltige 875 Newtonmeter fallen über die Hinterräder her, vom 6,8 Liter großen V8-Motor ist weder etwas zu hören noch zu spüren. Nur ein immer lauter und heller werdendes Surren dringt scheinbar vonder Ferne nach innen, als würde ein Sturm nahen – nur ein Hinterrad, das hilflos nach Grip sucht. Ist der 2,7-Tonner erst mal in Bewegung, lässt er sich gefühlvoll zum Drift bewegen. Das fühlt sich seltsam an und bedarf einer ruhigen Hand, aber es klappt gut.
Wiesmann und Lambo machen die Querschläger


Power-Parade im Pass-Paradies
Wäre es ein Bergrennen auf Asphalt, wäre der wendige Lotus einhoffnungsreicher Siegkandidat. Also lassen wir ihn als Ersten ran. Nach der etwas aufwendigen Einfädelprozedur, bedingt durch das völlige Fehlen von Türen in Kombination mit nicht begehbaren Seitenschwellern, wird der Fünfpunktgurt festgezurrt, Sonnenbrille und Mütze auf, und los geht's. Die regelbare Traktionskontrolle verhindert ein zu starkes Durchdrehen der Hinterräder. Einmal in Fahrt, lässt sich der 2-Eleven mit kurzen Gasstößen schön vor den Kurven anstellen und mit vorsichtigen Lenkkorrekturen schnell in Richtung Wendeplatz prügeln. Das unmi ttelbare Gefühl für den Fahrzustand, das der Lotus vermittelt, schafft schnell Vertrauen.

Ein schönes Bild: vier erlesene Sportwagen ohne Dach, vier bis zum Hals dick eingepackte Wilde, erwartet von zwei Wachtmeistern in einem blau-weißen Skoda Octavia Combi. Mulmige Gefühle bei uns, ein Lächeln bei den Gendarmen. Und anstatt eines Verwarnungsblocks zücken sie ihre Fotohandys. Und anstatt einer Verwarnung sagen sie: Kann man mal mitfahren? In der Schweiz scheint die Welt noch in Ordnung zu sein.
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