Diesel statt Super bleifrei

Yasemin Dalkilic war ganz unten. Weiter unten als je eine andere Frau auf dieser Welt. Doch sie wollte es nicht anders. Yasemin Dalkilic ist Weltrekordhalterin im Freediving. 120 Meter tief unter den Meeresspiegel wurde die damals 21jährige im Juli 2000 vor der Küste Griechenlands gezogen. Ohne Sauerstoffgerät, nur mit einem Lungenvolumen von 6,3 Litern und sehr viel Willenskraft ausgestattet.

Fünf Jahre später ist Yasemin Dalkilic an anderer Stelle aufgetaucht. In fremden Gewässern sozusagen. "Es war schon immer mein Traum, einmal eine Rennfahrerin zu sein", sagt die junge Türkin mit wachen Augen. Ihren gelbschwarzen Taucheranzug hat sie gegen einen blauweißen Renndreß mit Volkswagen-Logo getauscht. Sie wirkt entspannt, als sie im Fahrerlager des Izmit Köfez Gulf Tracks sitzt und auf das Qualifikationstraining zum VW Polo Ladies Cup wartet.

"Ich wollte", erzählt die ehemalige Mathematikstudentin, "immer die Rolle einer aktiven, modernen Frau ausfüllen". Damit ist sie beim VW Polo Ladies Cup gern gesehen. Die türkische Ausgabe des in Deutschland seit 2004 durchgeführten ADAC Volkswagen Polo Cup ist die erste rein weibliche Rennserie der Welt seit dem deutschen Ford Fiesta Ladies Cup. Zwischen 1982 und 1986 absolvierten mehr als 60 Frauen im Ford Fiesta XR2 etwa zehn Rennen pro Jahr. Unter ihnen auch Ellen Lohr, die später erfolgreiche Formel-3-, DTM- und Rallye-Dakar-Pilotin.

Zwanzig Jahre später fahren 17 Ladies in grell lackierten Rennzwergen fünfmal um die Wette. Unterschied zum deutschen Original: Statt mit Super bleifrei werden die Triebwerke mit Diesel befeuert. Unter der Haube beim Ladies Cup: 1.9-Liter-TDI-Motoren mit 130 PS, 6-Gang-Getriebe, 310 Nm bei 1900/min, Mindestgewicht 1170 Kilo.

"Ihr blinkt bestimmt beim Überholen"

Eine rein weibliche Rennserie. Und das in einem Land, in dem nach wie vor Frauen in ländlichen Gegenden entrechtet oder zwangsverheiratet werden. Doch das ist nur die eine Seite der Türkei. Die andere Seite trägt das Gesicht von Yasemin Dalkilic oder den anderen 16 Protagonistinnen der außergewöhnlichen Rennreihe.

"Natürlich haben einige Männer gescherzt: 'Ihr blinkt bestimmt beim Überholen.' Doch die meisten aus meinem Umfeld akzeptieren, was ich mache", berichtet Burcu Cetinkaya. Wie fast alle ihrer Mitstreiterinnen hat die zierliche 24jährige ihre ganz eigene Geschichte abseits der Rennpiste zu erzählen: türkische Snowboardmeisterin, ehemalige Basketball-Junioren-Nationalspielerin, zwei Jahre US-College, Rallye-Einsteigerin, heute Mitarbeiterin für Business Development and Sales bei einem großen Logistikdienstleister. "Mittlerweile ist mir der Motorsport wichtiger als das Snowboarden", sagt die Frau mit dem großen Tattoo auf dem linken Arm.

Wie fast alle ihre Mitfahrerinnen stammt Burcu aus Istanbul, der 15-Millionen-Metropole am südlichen Bosporus, einzige Großstadt der Welt auf zwei Kontinenten. Und wie fast alle ihrer Kontrahentinnen sammelt sie im VW Polo Ladies Cup ihre ersten Erfahrungen im Motorsport. Ihre Unerfahrenheit wurde ihr im Mai beim ersten Rennen zum Verhängnis: Nach einem Unfall auf regennasser Fahrbahn schied sie aus. Diesmal, Ende Juni, hält der Himmel dicht über dem Izmit Köfez Gulf Track, vor zwölf Jahren knapp 100 Kilometer östlich von Istanbuls Zentrum erbaut. Ein zwei Kilometer langer Kurs, für deutsche Verhältnisse mit dem Charme einer größeren Kartbahn ausgestattet.

Zwischen Kuhwiese und Raffinerie

Noch wird überall gebaut, geschraubt und gehämmert auf dem Gelände. Es liegt direkt am Wasser, zwischen Wohnhäusern und Kuhwiese, Ölraffinerie und Fabrikgelände. Auf dem Programm am Samstag stehen Freies Training und Qualifying, nach dem gleichen Schema folgen der türkische Seat Cup und der private Caterham Cup. Zuschauer haben sich noch nicht verirrt nach Izmit, einer offiziell 200.000 Einwohner zählenden, von industrieller Ödnis geprägten Stadt. Lediglich ein Kamerateam stimmt sich bereits auf den Rennsonntag ein. Es stammt vom Medienpartner ntv.

24 Stunden später herrscht an gleicher Stelle Trubel wie auf dem Basar. Rund 1500 Zuschauer zwängen sich durch enge Gänge auf Tribüne oder Dach, ein Gewusel von meist wichtig dreinschauenden Menschen wird verwaltet von bulligen "Men in Black", die noch viel wichtiger dreinschauen als alle anderen Anwesenden.

Mittendrin statt nur dabei: Mümtaz Tahincioglu, Präsident des türkischen Automobil-Motorsportverbandes (TOMSFED). Der 52jährige kann nicht so genau sagen, wen er mehr unterstützen will an diesem sonnigen Tag: Seine Frau Ann (49), die als Favoritin in den Polo Ladies Cup startet; seine hübsche Tochter Raina (24), die als einzige Frau beim Seat Cup startet; oder die weibliche Rennserie per se.

In jedem Fall, sagt der vielbeschäftigte Mann freundlich auf englisch, freue er sich über die Entwicklung im türkischen Motorsport in den letzten fünf Jahren. Am 21. August wird er sich vor Freude wohl nicht mehr einkriegen: Dann gastiert ein paar Kilometer weiter nordwestlich erstmals die Formel 1 in seinem Land, im neu erbauten "Otodrom".

Rennserie mit vielen Geschichten

Auf dem vom Aachener Architekten Hermann Tilke erbauten Kurs werden auch die abschließenden drei Rennen des VW Polo Ladies Cup ausgetragen, was wiederum Birgül Ak Karacahisarli sehr freut. Sie ist General Managerin Passenger Cars von Dogus Otomotive, wie Volkswagen in der Türkei heißt. Aus den Reihen ihrer Firma stammt die Idee der Frauen-Serie. Klare Sache, daß Dogus Otomotive auch Veranstalter des neuen Events ist.

"In unserem Land werden 40 Prozent aller Polo an Frauen verkauft", erzählt die agile Frau mit den kurzen Haaren. "Da lag eine solche Idee irgendwie nahe." Das rege Medieninteresse am Polo Ladies Cup überrascht sie nicht: "Es ist eben eine einzigartige Serie, in der viele einzelne Storys stecken."

Alle Lebensgeschichten zählen am Start nichts mehr. Von Beginn an liefern sich die Rennsport-Routiniers Ann Tahincioglu und Nuray Esener einen heißen Kampf um die Spitze, den Esener nach einem Schaltproblem von Präsidentengattin Tahincioglu am Ende gewinnt. Auch das Safetycar ist einmal gefordert, als TV-Moderatorin Secilay Du Pre Bekanntschaft mit dem Heck von Ex-Volleyball-Nationalspielerin Zeynep Özenc macht – und beide von der Strecke schliddern.

Auch für Yasemin Dalkilic läuft es nicht rund: Ein Reifenwechsel in der achten von insgesamt 20 Runden wirft sie zurück. Am Ende wird die Neueinsteigerin nur Elfte. Doch das ist ihr egal, sie hat weiter Fortschritte gemacht. "Das wichtigste ist, die Ruhe zu bewahren", verrät sie ihre steuerliche Veranlagung. Für die Konkurrenz steht zu befürchten, daß die Rekordtaucherin auch in ihrem neuen Sport bald obenauf sein wird.

Ergebnisse VW Polo Ladies Cup

Zwei von insgesamt fünf Veranstaltungen im Rahmen des VW Polo Ladies Cup wurden auf dem Izmit Köfez Gulf Track absolviert. Zum Start am 22. Mai 2005 gab es zwei Wertungsläufe, am 26. Juni einen. Die folgenden drei Rennen (Termien stehen noch nicht genau fest) werden auf dem Formel-1-Kurs "Otodrom" nahe Istanbul ausgetragen.