Die kurze und erfolglose Karriere des Typ 4 bot keinen Platz für Extravaganzen, das VW 411 Cabrio blieb ein Einzelstück.
Versuch und Irrtum. Was für Entstehung und Laufbahn des VW 411 gilt, passt zum Exoten der Baureihe, dem einzigartigen Cabriolet, erst recht. Ein großes Cabrio im Stil eines offenen Käfer, ein Luxustyp in der VW-Mittelklasse? Irrtum! 1968 wollen viele Menschen etwas anderes. Mehr Aufbruch, nicht bloß das Dach aufmachen. Es bleibt beim Versuch. Aber hinterher ist man immer schlauer. Vor 50 Jahren scheint die Idee eines großen, offenen VW legitim, vor allem, wenn ihn Karmann baut. Dort laufen unverdrossen und stetig Käfer, seit fast 20 Jahren schon, und Karmann-Ghia Cabrio vom Band. Und ein Ende ist nicht in Sicht.
Ohne tragenden Rahmen ist ein Cabrio schwerer zu bauen
Herausfordernd: Selbsttragende Karosserien machten Cabrio-Umbauten Ende der 60er deutlich schwerer.
Außerdem gab es ja schon das schöne VW 1500 Cabrio auf Typ-3-Basis, das es nach langer Entwicklung sogar in die Prospekte schaffte, dann aber doch zu teuer kam. Und es gibt genug Menschen da draußen, die sich auch schon damals gar nichts anderes vorstellen können, als immer nur Volkswagen zu fahren. Deshalb wundert sich auch niemand, dass VW ein Auto wie den 411 baut und Karmann ein Cabriolet danebenstellt. Für den Karosseriebauer aus Osnabrück bedeuten die späten 60er eine Zeitenwende. Autos mit tragenden Rahmen sterben aus, selbsttragende Karosserien sind die Regel, einfach Dach ab ist nicht mehr. Als wollten sie es allen beweisen, dass sie die Moderne in den Griff bekommen, bauen sie auch Opel Commodore und Audi 100 zum Cabrio um, natürlich in gewohnt humorloser Präzision. Und so gut aussehend, als hätte die Entwicklung der Cabrio-Versionen von Anfang an im Lastenheft gestanden.
Auch vor 50 Jahren klappte das Verdeck schon automatisch
Große Show: Das Verdeck des 411 Cabrios klappt auf Knopfdruck elektrohydraulisch nach hinten.
So verhält es sich auch mit dem offenen 411 L, sonst eher bräsig, hüftsteif und erstaunt aus den Glasbaustein-Scheinwerfern glotzend. Die zuckrige Süße eines offenen Karmann-Ghia geht ihm ab, für die selbstverständliche Eleganz des serienreifen 1500 Cabrio mit flachem Unterflurmotor baut das Heck zu hoch – und trotzdem ist das 411 Cabrio ein anderes, ein mit einem Schlag mondänes Auto. Das Provinzielle, die Last des schweren Hecks und das Ungleichgewicht der überlangen Front, streift der feuerrote Nasenbär mit dem Öffnen des Dachs ab. Die Linie streckt sich, Extravaganz stellt sich ein. Ein viersitziges Cabrio von VW? Klingt gar nicht mehr so abwegig! Zum Show-Charakter mit großem Auftritt gehört, dass die Verwandlung des 411 auf Knopfdruck passiert. Zwei schlanke Spannhaken links und rechts lösen, leichten Druck mit dem Finger auf den verchromten Schalter neben der Lenksäule geben: In rund 20 Sekunden faltet sich das Dach elektrohydraulisch nach hinten. Persenning drüberknöpfen, fertig. Das gab es sonst nur bei den Amis! Zu einem ernsthaften Volkswagen will so viel dekadente Mühelosigkeit jedenfalls kaum passen.
Dick und fest wattiert ist das Dach, aber die teure, gläserne Heckscheibe des Typ-3-Cabrios haben sie dennoch eingespart, auch elektrische Fensterheber fehlen. Dafür gibt es an den Türen wieder die guten alten Dreiecksfenster an der A-Säule, hier nicht ausstellbar, ein fertigungstechnischer Kompromiss. Alle anderen Fenster lassen sich runterkurbeln, und dann weht der Fahrtwind auf allen vier, vielleicht sogar fünf Plätzen – das 411 Cabrio hätte das Zeug zum Cabrio für die ganze Familie gehabt.
Bei der Werbung zum 411 trägt VW etwas zu dick auf
Absolut zeitgemäß: Hinten hat der 411 eine Achse mit Schräglenkern – ein "Sportler" ist er aber nicht.
Erstaunlich, wie seriennah und solide der Prototyp wirkt, fast schon normal. Von den knarzenden Kunstledersitzen über die Holzimitat-Folie am Armaturenbrett bis zur braven Standardmotorisierung. Ein 411, und das gilt auch hier, fasst und fühlt sich an wie Käfer und Typ 3, klingt danach und fährt wie eine Mischung aus beiden, nur in größerer und dunklerer Tonlage, erwachsener eben. Das ist einerseits logisch, weil die angepeilten Neuwagenkäufer die alte Kundschaft waren, andererseits seltsam, weil der 411 so ganz anders ist. Als erster VW kommt der Typ 4 mit selbsttragender Karosserie, großem, Wasserkisten-kompatiblem 300-Liter-Kofferraum, moderner Federbein-Vorderachse. Und, Trommelwirbel, endlich mit funktionierender Heizung, komplexe Gebläse- und Bedienmechanik inklusive. Im Heck arbeitet, wie im Automatic-Käfer, eine zeitgemäße Achskonstruktion mit Schräglenkern, was die VW-Werbung veranlasst, dem 411 kühn das "Fahrwerk eines Sportwagens" und den "Komfort einer Luxuslimousine" anzudichten.
Wie ein ausgefallenes Einzelstück fährt sich das Cabrio nicht
Beeindruckend: Der Prototyp macht einen sehr soliden Einduck – als würde er bald in Serie gehen.
Tatsächlich ist das 411 Cabriolet weder das eine noch das andere. Komfortabel, sanft zu den Insassen, passiv im Fahrverhalten – passend für eine Kundschaft, die lieber auf Aufregung verzichtete und mit der Gewissheit einkaufte, dass dafür immer alles funktioniert. Bei dieser inneren Haltung reicht der 1,7-Liter-Basis-Boxer, dessen zahme 68 PS wie ein warmes Lagerfeuer im Heck prasseln, völlig aus. Den Testern war er zu wenig, zu bieder und zäh, doch zum Cabrio passt er. Der Durchzug ist kommod, der Geradeauslauf des 411 ordentlich – nur wo Karmann ingeniös die notwendigen Verstärkungen der offenen, selbsttragenden Karosserie verbaut hat, ist nicht ganz klar. Der Scheibenrahmen ist der originale und zittert nur leicht auf schlechter Wegstrecke, der Kofferraum zeigt sich unverändert in der Größe. Anscheinend reicht die solider ausgeführte, tiefer hängende Bodengruppe, um dem Ganzen Stabilität zu geben. Auch das ist wieder sehr VW, typisch Karmann – selbst ein extravaganter Prototyp wie das 411 Cabrio muss fahren und funktionieren, als stünde nächste Woche der Produktionsbeginn an.
Hätte Volkswagen den offenen Nasenbären damals bauen, den Versuch und die Gefahr des Irrtums wagen sollen? Nein, ist die Antwort, mit der unguten Ahnung von damals. Ja, aus der Liebhabersicht von heute.
Technische Daten VW 411 L • Motor: Vierzylinder-Boxer, hinten längs • Hubraum: 1679 cm³ • Leistung: 50 kW (68 PS) bei 4500/min • max. Drehmoment: 125 Nm bei 2800/min • Antrieb: Hinterradantrieb, Vierganggetriebe • Länge/Breite/Höhe: 4525/1635/1485 mm • Leergewicht: 1020 kg • 0–100 km/h: 18,0 s • Vmax: 145 km/h • Verbrauch: 12,0 l/100 km (Super) • Neupreis (1968) 7770 Mark (Limousine).