Achtung, Fußgänger! Urplötzlich taucht der Mann auf, geht quer über die Straße. Mit einer schnellen Lenkbewegung zieht Kai Homeier den Golf zur Seite, verhindert so Schlimmeres. Dabei soll der Ingenieur auf dem Fahrersitz eigentlich nur Aufpasser sein, Pedale und Lenkrad nur im Notfall berühren. Sein Auto, ein VW-Versuchsfahrzeug, ist ansonsten selbstständig auf der Teststrecke in Hamburgs Innenstadt unterwegs. 14 Kameras, sieben Radar- und elf Laserscanner sowie Ultraschall erkennen Ampeln, Fußgänger, Radfahrer, Autos, Lastwagen, sogar Polizeipferde. Der Wagen beschleunigt und bremst von allein. Einige Ampeln funken ihre Phase zum Auto, bei anderen lesen die Kameras am Auto die Farben.

Weltweit komplexeste Teststrecke für autonomes Fahren

VW: Autonomes Fahren
Hamburg bietet laut Wirtschaftssenator Michael Westhagemann die "weltweit komplexeste autonome Teststrecke".
Auf den plötzlich auftauchenden Fußgänger aber hat das voll automatisierte Auto an diesem Tag keine Antwort. Möglicherweise ein Systemfehler, mutmaßen die VW-Techniker vor Ort. Für Notbremsungen wegen sehr schnell auftretender Hindernisse ist bei VW in diesem frühen Versuchsstadium noch der Mann hinterm Lenkrad zuständig. Etwa wenn urplötzlich ein Kind auf die Straße rennt. Die Stadt Hamburg als Betreiber der "weltweit komplexesten Teststrecke für autonomes Fahren" (so Hamburgs Wirtschaftssenator Michael Westhagemann) und VW wollen Unfälle durch vermeintliche Technikaussetzer wie in den USA unbedingt vermeiden. Autonom fahrende Uber-Autos waren dort zwischen September 2016 und März 2018 an 37 Unfällen beteiligt, eine Frau starb wegen eines Softwarefehlers.

Die Datenmenge wird reduziert

VW: Autonomes Fahren
Kleine Objekte wie diesen Fußball muss der Golf aktuell noch ausblenden. Sonst läuft der Rechner heiß.
Eingreifen muss der VW-Aufpasser auf dem Fahrersitz auch, wenn ein vergleichsweise kleiner Gegenstand wie ein Fußball plötzlich vor den Wagen rollt. Zwar wird dieser optisch erkannt, nicht aber als Hindernis interpretiert. Grund: Das System mit der Rechnergröße von 15 Laptops reduziert die riesige Datenmenge, die Kameras und Sensoren mit jedem gefahrenen Meter einsammeln. Kleine Dinge werden dabei ignoriert, andernfalls wäre der Computer überfordert. Keine Lösung hat der riesige wassergekühlte Rechner im Kofferraum des e-Golf auf der Testfahrt von AUTO BILD auch für einen Lkw, der in zweiter Reihe am Straßenrand steht, hier muss ebenfalls der Mensch ran. Grund: Überholen auf der Gegenfahrbahn ist aus Sicherheitsgründen nicht programmiert.

Verkehrsinfrastruktur effektiver nutzen

VW: Autonomes Fahren
So sieht der Computer den Verkehr. Die dunklen Quader markieren fahrende Autos. Mittendrin: der autonome Golf (grün).
Das System kann das Verkehrsgeschehen zehn Sekunden im Voraus berechnen. Das geschieht in erster Linie nicht aus Gründen der Verkehrssicherheit, sondern um vorausschauend und so möglichst ökologisch zu fahren. Zudem sollen autonome Autos weniger Staus produzieren. Etwa indem an der Ampel alle Wartenden gleichzeitig anfahren. "Wir glauben, die vorhandene Verkehrsinfrastruktur so effektiver nutzen zu können", sagt Helge Neuner, Leiter "Autonomes Fahren" bei VW. Selbstfahrende Autos will VW etwa ab 2025 verkaufen.

Von

Claudius Maintz