Der Phaeton ist erst der Anfang

Der Phaeton erzählt ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht: Es war einmal ein ehrgeiziger Vorstandsvorsitzender, der Mercedes und BMW beweisen wollte, dass im siebten Auto- Himmel noch genug Platz ist für einen weiteren Fix-Stern. Phaeton heißt der neue große Wagen, dem bald zwei Meteoriten namens Touareg (Offroader) und Rascasse (Mittelmotorcoupé) folgen werden.

Das Trio infernal aus Golfsburg soll Volkswagen in der Oberklasse etablieren und der Konkurrenz aus Stuttgart und München Kunden wegnehmen, ohne gleichzeitig Audi zu dicht auf den Pelz zu rücken - ein Geniestreich mit Abstrahleffekt für das gesamte Markenprofil oder ein im Größenwahn ausgehobenes Milliardengrab?

Die Herren Piëch und Pischetsrieder haben es sich nicht nehmen lassen, höchstpersönlich zur letzten Abnahmefahrt nach Dubai zu reisen. Auf dem provisorischen Handlingkurs wird rasch deutlich, warum der Phaeton dem Audi A8 nicht weh tun wird. Der mit einigen Extras über 2,3 Tonnen schwere VW wirkt weniger agil als der 350 Kilo leichtere Audi A8 W12. Kommentar vom Chef: "Wir haben das bessere Chauffeur-Auto, der neue A8 wird das bessere Fahrer-Auto sein."

Brembo-Bremsen an Bord

Die Stärke des Phaeton sind mittelschnelle Kurven und lange Geraden. In engen Biegungen macht der große Wagen dagegen einen kopflastigen und eher defensiven Eindruck. Außerdem neigt die leichtgängige Servolenkung bei plötzlichem Richtungswechsel zum Verhärten. Dafür segelt das Dickschiff bei Starkwind der Konkurrenz auf und davon: Ohne Tempolimit-Chip macht der stärkste Phaeton 295 Sachen. Damit der Höhenflug kein böses Ende nimmt, hat der Luxus-VW standfeste Brembo-Bremsen an Bord, die prompt ansprechen und gut zu dosieren sind.

Beim ersten Treffen mit der S-Klasse und dem 7er beeindruckt der Phaeton durch super Stabilität, optimale Traktion und ein narrensicheres Eigenlenkverhalten. Und auch beim Komfort erfüllt er die standesgemäßen Erwartungen. Die Luftfederung des Phaeton erreicht ein hohes Niveau, aber der Mercedes ist ähnlich bequem, und auch der BMW überzeugt auf der ganzen Linie.

Handling? Dies ist die Domäne des 745i, der so agil wirkt wie ein 5er und fast so kurvengierig wie ein 3er. Die S-Klasse fällt hier ein wenig ab, denn sie läuft immer noch nicht sauber geradeaus, und sie verhält sich im Grenzbereich weniger verbindlich als die Rivalen. Für den VW spricht vor allem der serienmäßige Allradantrieb, der im BMW gar nicht und im Mercedes erst zum Modelljahr 2003 angeboten wird.

6,0-Liter-W12 mit 420 PS

Der 6,0-Liter-W12 leistet 420 PS und 550 Newtonmeter, aber er reagiert leider nicht so spontan auf Gaspedalbefehle, wie sich das ein ungeduldiger Fahrer wünschen würde. Dafür beeindruckt der Zwölfzylinder durch flüsterleisen und geschmeidigen Lauf. Die Automatik besitzt zwar nur fünf Gänge, doch sie lässt sich über zwei fix montierte Schaltwippen viel besser manuell bedienen als das Sechsgang-Gegenstück im BMW oder die Tipshift-Box im Benz.

Dem Veranstaltungsort angemessen war der Kameldurst des Testwagens, der im Schnitt 27,2 Liter konsumierte - falls sich der Bordcomputer nicht verrechnet hat. Ein Motorenvergleich mit dem Wettbewerb ist momentan nur bedingt möglich, denn auf den ähnlich kräftigen 760i V12 und auf den S 600 V12 Biturbo mit 476 PS müssen wir noch sechs Monate warten.

Der Phaeton begeistert aber auch durch seine inneren Werte, die selbst in diesem anspruchsvollen Segment neue Maßstäbe setzen. Verarbeitung und Materialqualität sind eine Klasse für sich, und die einfache Bedienung schlägt iDrive und Comand um Längen. Nur durchschnittlich ist dagegen das Platzangebot; vor allem im Fond fehlt es an Kopf- und Beinfreiheit. Besserung verspricht die um 12,5 Zentimeter gestreckte Langversion, die ab Mai 2003 verfügbar ist.

Fliegender Teppich für den Kanzler

Das BMW-Cockpit wirkt im direkten Vergleich ebenso futuristisch wie verspielt, das S-Klasse-Interieur enttäuscht durch vergleichsweise billigere Oberflächen und zu schwammige Sitze. Der Phaeton verwöhnt dagegen mit viel Liebe zum Detail - in dieser Disziplin dürfte es selbst dem neuen Bentley Coupé schwer fallen, das deutsche Mutterschiff zu toppen.

"Wir wollten ein gutes Auto bauen und kein billiges", kommentiert Bernd Pischetsrieder die Preisliste, die bei 56.200 Euro beginnt und erst bei 104.100 Euro endet. Über ein neuartiges Agentursystem will VW ab Werk direkten Einfluss auf Rabatte, Leasingraten und Restwerte nehmen. Wenn die Rechnung aufgeht, werden pro Jahr 20.000 Oberklasse-Kunden zum Phaeton überlaufen.

Der erste fliegende Teppich wurde schon Mitte Februar 2002 ausgeliefert. Nein, nicht an irgendeinen Scheich, sondern an Bundeskanzler Schröder.