Franҫois-Xavier Demaison, Technischer Direktor bei Volkswagen Motorsport, flüchtete sich in Sarkasmus. „Das war ein Fehler zu viel. So geht’s nicht weiter, das war definitiv deine letzte Rallye für Volkswagen“, blaffte er Werkspilot Sébastien Ogier (32) an, als der am Sonntagmittag in den Service rollte. Ogier hatte sich eine Wertungsprüfung zuvor gedreht, 20 Sekunden und damit den Kampf um den Sieg gegen Teamkollege Andreas Mikkelsen (27) verloren. Ogier zuckte kurz, dann konterte er: „Macht nix, FX. Ich hätte sowieso gekündigt."
Der Ausstieg von Volkswagen aus der Weltmeisterschaft war das beherrschende Thema des Saisonfinales in Australien. Vor diesem Hintergrund lieferten Mikkelsen und Ogier den perfekten Schlussakt. Vor der Schlussetappe trennten die beiden Teamkollegen ganze zwei Sekunden. „Vollkommen egal ob zwei oder zwölf Sekunden Vorsprung, heute gibt’s nur eine Strategie – volles Rohr“, hatte der von der dritten Wertungsprüfung an führende Mikkelsen verkündet, bevor er in den Sonntag gestartet war.
VW
Tatsächlich gelang dem Norweger das Kunststück gleich zum Auftakt, Verfolger  Ogier noch einmal sechs Zehntelsekunden abzuknöpfen. „Ich wollte Séb gleich zeigen, wer Chef im Ring ist“, grinste Mikkelsen später. Eine Prüfung später leistete sich der als Weltmeister bereits feststehende Ogier einen seiner seltenen Fehler. Damit war die letzte Rallye des Jahres entschieden – mit einem Doppelsieg für Volkswagen zum WM-Ausstieg. 14,9 Sekunden betrug Mikkelsens Vorsprung im Ziel. „Das ist der schönste Moment meines Lebens“, jubelte der Norweger. „Ich wollte Volkswagen unbedingt den Sieg zum Abschied schenken.“
Mikkelsens dritter WM-Sieg war gleichzeitig der bisher ehrlichste. Anders als bei den beiden vorhergehenden Gelegenheiten lag er in Führung, als seinen Gegnern entscheidende Fehler unterliefen. Dieses Mal besiegte er Ogier im offenen Zweikampf.
Der Weltmeister hatte bis zum Patzer kurz vor dem Ziel eine sensationelle Leistung bot. Wie seit mehr als drei Jahren musste er als Tabellenführer wieder als Erster starten, auf den extrem rutschigen Nebenstraßen im Osten Australiens ein größerer Nachteil als bei den meisten anderen Schotter-Rallyes. Ogier glich dieses Handicap mit gelegentlich riskanter Reifenwahl und kompromissloser Ideallinie aus. „Irgendwie stehen mir immer wieder Leitpfosten im Weg“, erklärte er mit Unschuldsmiene die verbeulte Front seines Polo R WRC. Regelmäßig blieb sogar das VW-Logo auf der Strecke.
Nur an Teamkollege Mikkelsen biss sich Ogier die Zähne aus. Das Hyundai-Duo Hayden Paddon (29) und Thierry Neuville (28) hatte er dagegen im Griff, trotz deren vorteilhafter Startpositionen. Jari-Matti Latvala (31), der Dritte im VW-Bunde, blamierte sich dagegen wieder einmal. Schon in der dritten Kurve der ersten Wertungsprüfung beschädigte der wegen Startposition sechs als Siegfavorit gehandelte Finne eine Radaufhängung an einer Brücke. Mit daraus resultierenden knapp acht Minuten Rückstand konnte er seinem Teamkollegen Mikkelsen nicht mehr die Schützenhilfe geben, die der gebraucht hätte, um noch Vizeweltmeister zu werden.
Ogier
Diesen Ehrentitel musste Mikkelsen schließlich seinem Kumpel Neuville auch deswegen überlassen, weil der zwischenzeitlich drittplatzierte Paddon in derselben Prüfung wie Ogier kurz die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor. Ein Reifenschaden warf ihn hinter Teamkollege Neuville zurück. Der Belgier hatte durch eine falsche Reifenwahl am Samstag Zeit verloren. Mit dem geerbten Rang drei holte er genügend WM-Punkte, um trotz dessen Sieg in der Endwertung vor Mikkelsen zu bleiben.
Mit dem Sieg in der Kategorie WRC2 sicherte sich der finnische Skoda-Werkspilot Esapekka Lappi (22) erwartungsgemäß den Weltmeistertitel in der „zweiten Liga“ des Rallyesports.
Nach 43 Siegen bei 52 Einsätzen geht für das Volkswagen-Werksteam eine Ära zu Ende. Als Mikkelsen, Ogier und Latvala aus dem Service in Richtung Siegerehrung fuhren, lagen sich im Servicecamp der Deutschen gestandene Männer weinend in den Armen. Der 2017er Polo RW WRC ist fertig, hätte eigentlich bei der Rallye Monte Carlo Mitte Januar die Erfolgsgeschichte fortsetzen sollen. Schön wär’s gewesen.

Von

Christian Schön