Die wiederentdeckte Legende

Wer heutzutage schnell vorankommen will, muss sich kurz fassen. S, M oder AMG sollten schon am Heck stehen, will man Image und Auto überdurchschnittlich Schwung verleihen. So gesehen lässt sich Abarth richtig Zeit. Oder besser: hat sich Zeit gelassen. So viel, dass sich fast nur noch Oldie-Fans an die fixen Fiat-Ableger erinnern, die einst das Prädikat für Sportbewegung auf dem runden Rücken trugen.

Das soll sich nun ändern. Nachdem die Konzerntochter Alfa Romeo, Trägerin des sportlichen Herzens (Cuore Sportivo), mit dem 156 GTA als Schrittmacher vorausgegangen ist, will die Mutter Fiat mit dem Stilo Abarth nun nachziehen.

Nach fast 20 Jahren trägt mit dem selbstbewusst auftretenden Golf-Gegner erstmals wieder ein Turiner Neuwagen den Skorpion zur Schau. Dies war zuletzt von 1983 bis 1985 beim Ritmo 130 TC der Fall. Mit dohc-Vierzylinder und Weber-Vergaserbatterie einer von der alten Schule. Mehr rappelig gebaut, ruppig motorisiert und rasend rostig denn rassig und rasant.

Diese triste Historie soll der aktuelle Nachfolger natürlich vergessen machen. Solidität strahlt schon die Form aus. Wuchtig und mit scharfen, keilartigen Konturen präsentiert sich der Stilo vor allem in der Frontansicht.

Die Konkurrenz baut solider

Dass Chefdesigner Peter Fassbender aus Deutschland kommt, ist nicht zu übersehen. Eine Rückkehr mit Stil? Eher nicht. Von teutonischer Gründlichkeit ist im Innenraum nicht viel zu spüren. Schief und wackelig eingepasstes Plastik, ein Dauer-Knarzen von der verschiebbaren Rücksitzbank - das baut die Konkurrenz solider.

Wenn auch nicht so schmuck. Das knappe Heck des Dreitürers - viel eigenständiger als der wie ein XL-Fabia wirkende Fünftürer - mit den riesigen Kristall-Rückleuchten ist so anders wie einprägsam. Direkt daneben prangt der einzige Hinweis auf die sportliche Topversion mit Tradition: der Skorpion auf blau-gelb-rotem Grund - Sternzeichen und Wappentier von Carlo Abarth und seit 30 Jahren in Fiat-Besitz. Das wirkt so, als wäre sich Fiat nicht sicher, ob es nicht - naja - zu laut und zu frisiert wirkt.

Früher wurde da ganz anders geglänzt. Der feuerrote Urahne wurde einst auf der braven Basis des Fiat 600/770 Jagst gebaut. Er kommt ebenso klein wie klotzend daher. 40 Jahre älter, aber dafür mit allem, was optisch schneller macht: Von der chromblitzenden Front mit dem Hauben-Schnellverschluss aus Gummi und dem Ölkühler unter der Stoßstange bis hin zum 1000er-Schriftzug und dem doppelten Auspuff-Endrohr.

"Ich bin schneller als die anderen", scheint die bucklige Bombe zu verkünden. Die Botschaft ist klar: Südliches Imponiergehabe statt internationales Understatement. Mit solch heißen Heckschleudern fuhren Junggesellen, Paare und Kleinfamilien vor vier Jahrzehnten durch Alltag und Urlaub. Nicht nur jenseits der Alpen, sondern auch bei uns. Und damals war es wie heute beim stark in die Breite und Höhe gegangenen legitimen Enkel Stilo. Ab Werk gab es bei Fiat nämlich nur Alltagskost, wer mehr wollte, kaufte bei Carlo.

Boulevard statt Bergstraße

So auch 2002. Das Fiat Coupé ist Geschichte, Sport treiben andere, der Name Abarth allein muss es richten. Der Stilo mit dem Skorpion soll in erster Linie GTI-Alternative für die italienischen Momente im Leben sein, muss aber gleichzeitig auch die Coupé-Kundschaft halten. Ob die bei der Suche nach kompromissloser Sportlichkeit beim Stilo jedoch fündig wird, darf bezweifelt werden. Gut, es gibt viel Raum für die vorderen Passagiere, bequeme Sitze, elektrische Helfer - aber alles eher Boulevard als Bergrennen.

Dafür lässt Fiat fünfe gerade sein. Ein laufruhiger Reihenfünfzylinder mit 170 PS aus 2,4 Liter Hubraum wirkt unter der großen Fronthaube. Ab 3000 U/min macht er richtig Druck und Spaß. Spitze: 215 km/h. Kombiniert wird das Toptriebwerk der Baureihe beim Abarth grundsätzlich mit der Fünfgang- Selespeed-Schaltung, bedienbar über Wippen am Lenkrad oder per Mittelknüppel. Macht der manuelle Modus nach einiger Gewöhnung richtig Laune, verdirbt diese der per Knopfdruck aktivierte, ruckende Automaten-Wechsel nachhaltig.

Beifahrer nicken bei jedem Schaltvorgang, Zustimmung kommt jedoch nie auf. Hinten macht sich Unmut breit. Dafür herrscht vorne Ruhe. Sanft und leise, aber mit deftigem Durst jenseits der elf Liter bei schneller Gangart geht der Motor zu Werk. In Kombination mit dem kleinen 58-Liter-Tank sorgt das leider für häufige Pausen an der Säule. Da raubt ihm der 61er Abarth 1000 hundertmal die Schau.

Weniger ist manchmal mehr. Vor allem, was den Innenraum betrifft. Wo der Jüngling mit technischen Spielereien wie den fiependen Abstandswarnern überfrachtet wirkt, hat der Oldie nur das Nötigste. Gerade mal zwei Schalter für Licht, einen für Choke und Heizung, Ablage, Aschenbecher sowie Kokosmatten auf dem Boden. Basta.

Der kleine Ahne hat mehr Pepp

Dolce Vita braucht nicht viel. Also lässig durch die Selbstmördertüren auf die vorderen Sesselchen geschwungen und kraftvoll zugegriffen. Ein dürres, aber wunderhübsches Nardi-Volant gibt den Blick frei auf drei rassige Rundstücke. Links sitzt das Kombi-Instrument, rechts der Tacho, in der Mitte der große Chronographen-Drehzahlmesser, nervös zuckend. Glanz ist in der kleinsten Hütte.

Platz dafür umso weniger. Damals war alles kleiner. Die Reifen im Format 155 SR 12 auf "selbstkühlenden" Felgen genauso wie die Füße - Größe 41 ist schon zu viel. Der Spaß ist es nicht. Denn hinten röhrt schon verheißungsvoll heiser der kleine Vierzylinder.

60 PS holt das mit spezieller Kurbelwelle, Kolben und Pleuel von 850 Kubik auf einen Liter Hubraum gepowerte Kraftwerk. Das zeigt sich konstruktionsbedingt schlapp unterhalb von 3000 Umdrehungen. Darüber spürt der Fahrer die Faust im Nacken. Und wie! Erst das hakelige Viergang-Rührwerk mit dem unsynchronisierten ersten Gang in den Griff bekommen, dann heißt es drehen, drehen, drehen. 5000, 6000, 7000 Touren. Immer gierig voran, mit einem knochentrockenem Fahrwerk, einer ehrlichen Bremse und einer Direktheit in der Gokartlenkung, die man bei der gefühllosen Stilo-Lenkung vermisst.

Dabei braucht man die Rechte viel eher im Alten. Zack, zurück in den Dritten. Die Nadel tanzt, das Tosen schwillt an, die abarthige Seicento-Ableitung schreit danach. Die will das so. Und wer will da noch etwas anderes? Wo einst Rennsport-Flair möglichst nah auf die öffentliche Straße geholt wurde, herrscht nun kommode Gran-Turismo-Atmosphäre.

Bewertung und Technische Daten

Fazit Schnell und gut? Ja. Spektakulär und emotional? Nein. Der neue Stilo der richtige Schritt in eine zackigere Zukunft. Aber der heiße Ahne, 3,20 Meter klein, macht viel mehr Spaß. Wer heute schnell vorankommen will, muss sich kurz fassen.

Wer war Abarth?

Carlo Abarth Der PS-Hexer wurde durch den Motorsport weltberühmt. Sport, nicht Transport, war die Mission von Carlo Abarth. Und damit stand seine Philosophie in krassem Gegensatz zu den bewusst braven Ausgangsprodukten.

Seit Mitte der 50er blies der 1908 in Wien geborene Wahl-Italiener vor allem unscheinbaren Vehikeln der Firmen Fiat und Simca mächtig Kraft ins kugelige Heck. Schlicht "Derivazione", Ableitung, nannte der ehemalige Motorrad-Rennfahrer und Triebwerk-Spezialist seine heißen Hummeln, die bis zu 112 PS bei 8200 U/min aus einem Liter Hubraum holten wie bei der brutalen 600er-Endstufe namens 1000 TCR. So aufgerüstet lassen die "abarth-igen" Modelle nicht nur Fahrer bürgerlicher Limousinen, sondern auch die Konkurrenz auf der Piste am eigenen Untersatz zweifeln.

Carlo Abarth, begnadeter Autodidakt und Ingenieur ohne Studium, baut Rennwagen aus Passion. Das Geschäft läuft nebenher. Über 7000 Siege kann der Frisier-Salon verbuchen, der vor allem mit leistungssteigernden Auspuffanlagen und Tuning-Sätzen in harmlosen Holzkisten das Geld für den Rennsport verdiente. Aber leider nie genug davon. 1971 ist es alle. Die Firma Abarth & C. S .r. l muss an Fiat verkaufen. Im Zeichen des Skorpions erobern die Turiner die Asphalt- und Schotterpisten. Auf einem monströsen Fiat 131 Abarth wird Walter Röhrl 1980 erstmals Rallye-Weltmeister. Gründer Carlo Abarth starb ein Jahr zuvor.