Die Welt des Autos wird regiert von mächtigen Marken-Königreichen. Sie heißen Toyota und Volkswagen, Ford und Fiat, BMW und Daimler. Sie haben Heere von Ingenieuren, Designern und Strategen, dazu Geldvorräte wie bei Dagobert Duck. Sie sind unantastbar, stark und reich. Wer soll denen das Wasser reichen? Unmöglich! Quark. Nichts ist unmöglich. In Delbrück, Dresden und Dülmen gibt es drei Tapfere, die unerschrocken den eigenen Wagen wagen und ihr kleines, souveränes Autofürstentum regieren, drei Andorra auf der Weltkarte der Autosupermächte. Sie heißen Artega, Melkus, Wiesmann. Bravo! Die drei beweisen: Autobau ist keine Hexerei, denn ihre Fahrzeuge sind erstaunlich gut, erstaunlich ausgereift und vor allem: ssssexxxxy!
Wiesmann GT
Sexy wie kein anderes Auto: Der Wiesmann GT ist pure Erotik auf vier Rädern.
Der Wiesmann GT MF5 dürfte das erotischste Auto sein, das je über eine Straße gekommen ist. Sein Design stammt allerdings aus keiner Akademie und wurde auch nicht in endlosen PowerPoint-Meetings diskutiert. Es kommt klar und rein aus dem Bauch von Martin Wiesmann. Um den Verkauf kümmert sich dagegen sein Bruder Friedhelm. Zwei Autofreaks aus Dülmen im Münsterland, zweimal "Selbst-ist-der-Mann". Der Zweisitzer sieht von hinten aus wie die nackte, jugendliche Gina Lollobrigida (von vorn wollen wir gar nicht erst reden), die ihre Blüte genau zu jener Zeit hatte, in der Martin Wiesmann die schönsten Autos aller Zeiten verortet: "Die 50er und 60er brachten die wunderbarsten Formen hervor”, sagt er. Womit er recht hat. Seine Vorbilder sind Austin Healey und AC Cobra. Unter der Haut des aufreizenden Wiesmann'schen Lollo-Körpers steckt passend dazu die reine Potenz. Motor und Getriebe sind bekannt aus dem BMW M5, und das ist der feinste, gleichzeitig denkbar brachialste Antrieb. Zehn Zylinder, von null auf 100 in 3,9 Sekunden, Spitze 311.

Underground gegen Mainstream: Artega GT gegen Cayman S

Artega GT
Kein Gramm Fett zu viel: Der Artega GT gibt den Usain Bolt der Straße.
Den Artega GT aus Delbrück dagegen modellierte einer der begnadetsten Designer der Gegenwart, der Däne Henrik Fisker, der auch schon den BMW Z8 und die aktuellen Aston-Martin-Coupés entworfen hat. Die Artega-Linien sind rasiermesserscharf, die Proportionen kompromisslos kraftvoll, da sitzt kein Gramm Fett zu viel auf dem Leib. Statt Lollo ist der Artega der Usain Bolt der Straße, das reine Muskelspiel, faszinierende Effizienz. Dahinter steckt ein weiterer Selfmademann, Klaus-Dieter Frers, Autoracer, der ein Vermögen mit Autoelektronik gemacht und in der Finanzkrise wieder verjuxt hat. Sein Hauptgeschäft Paragon ging pleite, sein Herzensbaby Artega, das er schlauerweise rechtlich von Paragon getrennt betrieben hat, konnte er noch verkaufen. Der Mann muss jetzt ganz stark sein: Er wohnt um die Ecke und kommt jeden Tag an "seiner" nagelneuen Fabrik vorbei, in der "sein" GT gebaut wird – aber er hat dort nichts mehr zu melden.
Stattdessen sitzt da jetzt Wolfgang Ziebart, bis 2000 Entwicklungschef bei BMW, dann Chef von Conti, zuletzt Boss von Infineon, ein waschechter Automann, aber einer, der das ermüdende Gremiendenken der Konzerne miterlebt hat und erleichtert aufatmet, denn hier bei Artega und seinen 50 Mann kennt er jeden mit Namen, und es geht alles fix, direkt und unkompliziert. Die neuen Finanziers sind – ja, die Welt ist verworren – Mexikaner, die ihr Geld mit Corona-Bier gemacht haben und nun in Lifestyle investieren, in ein feines, kleines Produkt aus dem Westfälischen, mit dänischem Design aus Kalifornien und Wolfsburger Technik darunter (Motor vom Passat R36 mit 300 PS). So schließt sich der Kreis der mittelständischen Globalisierung.

Der Osten kriegt Flügel: Vorstellung Melkus RS 2000

Melkus RS 2000
Flügeltürer aus dem Osten: Der Melkus RS 2000 hat einen Vorgänger in den 1970ern.
Und schließlich Melkus und Dresden: Das ist wieder eine andere Story. Im Blut der Melkus-Familie fließt vermutlich Hochoktaniges, anders lässt sich ihre Liebe zum Autosport nicht erklären. Schon Opa Heinz baute in den 70ern, also im waschechten Arbeiter- und Bauernstaat DDR, auf eigene Kappe eine Kleinserie von Flügeltüren-Coupés auf Wartburg-Basis. Ein ostzonaler Lamborghini Countach ungefähr, das war der RS 1000. Die Ossis standen regelmäßig Kopf, wenn er beim Schleizer Dreieck-Rennen siegte. Die Melkus-Söhne fuhren ebenfalls Rennen, und zusammen mit den Enkeln dachten sie sich, wir müssen wieder einen Flügeltürer bauen, so geht das ja nicht weiter, nach 30 Jahren ohne eigenes Auto. Und so kauften sie bei Lotus das Chassis und besorgten einen Toyota-Alu-Motor, an den sie einen Kompressor flanschten. Der Vierzylinder spuckt nun 270 PS aus, der Rest ist leicht, leicht, leichter. Bei 950 Kilo – Airbags, Klimaanlage und Kofferraum inkludiert – geht der RS 2000 wie? Genau: ein bisschen wie ein Countach, 4,9 Sekunden bis 100.
Das Design stammt vom Pforzheimer Designprofessor Lutz Fügener, zwar auf dem Stand der Mode von 1990 ungefähr, aber das ist egal, denn es ist die direkte Fortsetzung der Ur-Melkus-Idee. "25 Stück können pro Jahr gebaut werden, bei 100 Stück dürfte wahrscheinlich Schluss sein", so Sepp Melkus. Sein Großvater hatte auch bloß 101 von seinem geflügelten Wartburg gebaut.
Weitere Informationen zu den drei deutschen Sportwagen-Exoten finden Sie in der Bildergalerie. Den kompletten Artikel gibt es als Download im Heftarchiv.
Technische Daten Artega GT V6, Mittelmotor, hinten quer • vier Ventile pro Zylinder • Hubraum 3597 cm³ • Leistung 220 kW (300 PS) bei 6600/min • max. Drehmoment 350 Nm bei 2500/min • Hinterradantrieb • Sechsgang-DSG • Reifen 235/35 R 19 vorn, 285/30 R 19 hinten • L/B/H 4015/1882/1180 mm • Radstand 2460 mm • Tankinhalt 68 l • Leergewicht 1285 kg • Verbrauch EU-Mix 8,9 l Super plus • CO2 211 g/km • Spitze 273 km/h • 0–100 km/h 4,8 s • Preis 79.950 Euro.
Technische Daten RS 2000 Vierzylinder, Kompressor, hinten quer • vier Ventile pro Zylinder • Hubraum 1796 cm³ • Leistung 198 kW (270 PS) bei 7800/min • max. Drehmoment 260 Nm bei 6500/min • Hinterradantrieb • manuelles Sechsganggetriebe • Reifen 175/55 R 16 vorn, 225/45 R 17 hinten • L/B/H 3910/1777/ 1151 mm • Leergewicht 950 kg • Verbrauch EU-Mix 9,8 l Super • CO2 232 g/km • Spitze 250 km/h • 0–100 km/h 4,9 s • Preis 107.500 Euro.
Technische Daten Wiesmann GT MF5 V10, vorn längs • vier Ventile pro Zylinder • Hubraum 4999 cm³ • Leistung 373 kW (507 PS) bei 7750/min • max. Drehmoment 520 Nm bei 6100/min • Hinterradantrieb • sequenzielles Siebenganggetriebe • Reifen 245/40 ZR 19 vo., 275/35 ZR 19 hi. • L/B/H 4300/1940/1180 mm • Radstand 2507 mm • Tank 70 l • Leergewicht 1395 kg • Verbrauch EU-Mix 13,1 l Super plus • CO2 346 g/km • Spitze 311 km/h • 0–100 km/h 3,9 s • Preis 179.800 Euro.