Hohe Ziele mit dem Vantage

Der Werkschutz weiß Bescheid. Pünktlich zum Schichtende Freitag nachmittag stehen zwei Mann mit einer Radarpistole an der Zufahrt zum Angestelltenparkplatz. Auch wenn hier nicht alle Aston Martin fahren – sie wissen: Die Jungs sind schnell. Sehr schnell. Die gesamte Firma ist schnell.

Aston Martin hat in den vergangenen drei Jahren die Modellpalette komplett erneuert und erweitert – ein riesiges Pensum für einen kleinen Edelhersteller, der mehrmals am Abgrund stand. Zuletzt 1992, als er gerade mal 43 Autos verkaufte – in Worten: dreiundvierzig. Weltweit. Mit dem jüngsten Sproß namens Aston Martin will die feine Sportwagenmanufaktur unter Leitung des deutschen Ingenieurs Dr. Ulrich Bez nun endgültig auf die Überholspur.

3000 Vantage pro Jahr sollen die neue Fabrik in Gaydon, Warwick, England, verlassen. Zusammen mit rund 2000 Autos der Modelle DB9 Vantage, der Offenversion Volante sowie dem Vanquish S will Aston Martin dann rund 5000 Autos pro Jahr verkaufen – deutlich mehr als Ferrari (4400). Und soviel wie nie zuvor in der langen Firmengeschichte.

Souverän über die Buckelpiste

"Baby Aston" – so hat die englische Presse den neuesten Sproß getauft. Jeremy Main, als Aston-Martin-Vorstand für Entwicklung und Motorsport Chef über 200 Entwickler, verzieht die Mundwinkel: "Der Name gefällt mir nicht, das klingt nicht nach einem echten Aston." Echte Aston, das sind der Vanquish als Supersportwagen, der DB9 als Sport-GT, aber eben auch der V8 Vantage als ein vollwertiger Alltagssportler.

Dann lädt Main zur Spritztour im V8 – über "herrlich schlechte und schlecht reparierte Straßen" in Gaydons Umgebung. Da kennt er jeden Buckel, jede Kurve, und der Werkschutz mit seinen Radarpistolen ist weit weg. Mit glänzenden Augen drückt er den gläsernen Startknopf – dessen Farbe ändert sich nach erfolgter Zündung von blau auf rot –, rollt brav und legal vom Firmengelände und beschleunigt draußen zügig auf 180 km/h. Die vielen aufgeschreckten angelsächsischen Fasane am Wegesrand flüchten in Scharen.

Er sieht schon unverschämt gut aus, der Vantage. Schade, daß der bisherige Chefdesigner Henrik Fisker nach diesem Meisterstück ins ferne Kalifornien ausgewandert ist, um dort seinen eigenen Sportwagen zu kreieren. Denn sein letztes englisches Baby ist kurz, breit, flach – aggressiv.

Ein V8-Traum aus Alu

Vergleichbare Maße wie die des Porsche 911 sind durchaus beabsichtigt. Wenn auch nicht offiziell: "Wir haben den V8 Vantage nicht gegen einen bestimmten Mitbewerber aufgestellt", behauptet Main, während er den Erprobungsträger geschickt durch enge Kurven wuchtet. "Wir wollten nur den ultimativen Sportwagen für Aston Martin bauen. Natürlich ist der Porsche in seinem Segment dominant. Porsche verkauft 25.000 bis 30.000 911er pro Jahr – aber das ist nicht mehr wirklich exklusiv ..."

Weitere Argumente für einen zukünftigen Kunden, der sich zwischen Porsche und Aston Martin entscheiden will? Main: "Zwei Zylinder. Ich würde immer einen Acht- einem Sechszylinder vorziehen." Tatsächlich ist der Motor ein echtes Filetstück. Der 4,3-Liter-Aluminium-V8 basiert im Prinzip auf dem AJV8 von Jaguar, ist aber weitgehend eine Eigenentwicklung. 80 Prozent des maximalen Drehmoments von 410 Newtonmetern stehen bereits ab 1500 Umdrehungen zur Verfügung (Main triumphierend: "Bei Porsche nur 70 Prozent"), was schaltfaule Fahrer freuen wird. 280 Stundenkilometer soll das Baby rennen, und das streßfrei auch auf Dauer.

Dabei helfen ausgezeichnete Sitze, die die Insassen sanft an Ort und Stelle fixieren, selbst bei Kurvenfahrten à la Main. Und: Die Rundumsicht im Vantage ist ausgezeichnet, was für einen Sportwagen nicht gerade typisch ist – im Lastenheft stand deutlich etwas von "Alltagstauglichkeit".

Ford Puma als Vorbild

Von allem das Beste – Main hat sich bei der Entwicklung des V8 Vantage nicht nur den Porsche 911 genau angesehen, sondern auch Ferrari 360 und F430, Lamborghini Gallardo, Rolls-Royce Phantom, Bentley Continental GT. Und Ford Puma. Ford Puma? "Natürlich", antwortet Main, "denn das ist ein Auto, das sehr klar auf die Signale des Fahrers reagiert."

Bitte ein anderes Beispiel, Mister Main, denn Sie waren schließlich bei Ford der Puma-Entwickler. "Okay, zum Beispiel Audi A4. Audi macht bestimmte Dinge ausgezeichnet. Zum Beispiel das Interieur." Diese Qualität und Zuverlässigkeit will Main auch erreichen. "Ein Aston Martin soll seinen Fahrer tagtäglich belohnen", sagt er, "in jeder Hinsicht. Und ein Aston muß einem Profi genausoviel Spaß machen wie einem weniger geübten Fahrer. Deswegen ist das Auto absolut ehrlich, reagiert beim Beschleunigen, Lenken und Bremsen linear und läßt den Piloten alle Vorgänge verstehen."

Dabei hilft die Gewichtsverteilung: "Unser Motor baut recht kurz, er paßt hinter die Vorderachse. Und er sitzt sehr tief, damit haben wir eine hervorragende Fahrzeugbalance. 85 Prozent des Gewichts befinden sich zwischen den Achsen, das ergibt ein Verhältnis von 49 Prozent vorn zu 51 Prozent hinten." Dabei läßt Main den V8 wieder fliegen.

Ausgeklügeltes Soundmanagement

Rund 10.000 Kilometer hat er selbst auf den Prototypen abgespult, insgesamt fuhren seine Ingenieure zweieinhalb Millionen Test-Kilometer – auf dem eigenen Testgelände in Gaydon, in Schweden, in Dubai, auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke in Nardo, auf deutschen Autobahnen und auf der Nordschleife des Nürburgrings. "50 Runden am Stück, und dann muß der Fahrer entspannt aussteigen können", grinst der stolze Entwickler.

Daß wir uns bei voller Fahrt problemlos im Auto unterhalten können, liegt an einem ausgeklügelten Soundmanagement. Dank Bypass röhrt der Vantage bei kräftigem Gasstoß kernig, im normalen Fahrbetrieb dagegen gibt er sich lammfromm. "Wenn man beim Sound etwas falsch macht, nervt das auf Dauer", weiß Main. Er bremst scharf ab. Ein Dorf. "Wir wollen die Einwohner nicht stören", sagt er leise, "deswegen fahren wir hier möglichst unauffällig."

Danach geht’s zügig weiter auf einer Straße, die in Deutschland schon längst wegen Buckelbildung und Faltenwurf gesperrt worden wäre. Das aufwendige Fahrwerk schluckt die Schläge erstaunlich komfortabel weg. Wann wird das Auto im Motorsport zu sehen sein? "Wir haben noch keine Pläne, aber ich würde den Wagen gern auf Rennstrecken schicken. Doch zur Zeit haben meine Leute alle Hände voll zu tun." Zum Beispiel, um eine offene Variante zu entwickeln.

Preis und technische Daten

Im August 2005 wird das erste Kundenauto ausgeliefert. Jeder V8 benötigt laut Main 220 Stunden bis zur Fertigstellung. Allein die Lederausstattung schluckt 65 Arbeitsstunden, die Neun-Schichten-Lackierung 75. Das Gesamtkunstwerk wird in etwa 105.000 Euro kosten – mehr als ein Carrera S (355 PS, gut 85.000 Euro), weniger als ein Porsche Turbo (420 PS, knapp 130.000 Euro).

"Noch nie war ein echter Aston Martin so bezahlbar", sinniert Main nachdenklich, als uns schließlich zwei Ingenieure das starke Stück Automobilbaukunst für weitere Testfahrten wieder abnehmen. Für jeden Normalverdiener ist das nur ein schwacher Trost.

Technische Daten: V8-Front-Mittelmotor • vier Ventile je Zylinder • Hubraum 4280 cm³ • Leistung 283 kW (385 PS) bei 7300/min • max. Drehmoment 410 Nm bei 5000/min Hinterradantrieb • Sechsgang-Schaltgetriebe • rundum Einzelradaufhängung an doppelten Dreiecklenkern • rundum gelochte und geschlitzte Scheibenbremsen • Reifen 235/45 ZR 18 vorn, 275/40 ZR 18 hinten • Räder 8.5J x 18 vorn, 9.5J x18 hinten • Länge/Breite/Höhe 4382/2022/1255 mm • Radstand 2600 mm • Leergewicht 1570 kg • Kofferraumvolumen 300 l • Tankinhalt 77 l • Beschleunigung 0–100 km/h in 5,0 s • Preis: rund 105.000 Euro

Von

Roland Löwisch