Das ist schon irre: Eine elektrische Anhängerkupplung fährt mit, und die Fondpassagiere lassen sich von einer Sitzheizung den Popo wärmen. Gleichzeitig rast der Kombi in rund vier (!) Sekunden auf Tempo 100, und seine Tachonadel wischt auf der Autobahn bis an die 300er-Markierung heran. Ist so ein Alpina B3 S Touring noch Familienfrachter oder schon Supersportbolide? Krass zudem: deutlich über 400 PS, Allradantrieb, einstellbares Sportfahrwerk – und damit steht der Alpina nicht mal allein da. Audi reitet mit dem neuen RS 4 die gleiche Welle. Sauschneller Avant oder kraftvoller Touring also? Das schreit nach einem schnellen Vergleich.

Die Fahrleistungen liegen auf höchstem Sportwagenniveau

Audi RS 4 Avant
Supersportlich: 450 PS und 600 Nm bringen den Audi RS 4 Avant in 3,7 Sekunden von 0 auf Tempo 100.
Der Audi aus der RS-Familie mimt den Technik-Bomber mit Prestige-Overkill, Alpina gibt traditionell den vollendeten Gran Turismo – und wir wollten vor allem wissen: Wer sieht auf der Rennstrecke als Erster die schwarz-weiß karierte Flagge? Das schulden wir sowohl dem Stammtisch als auch der Neugier, in welche Richtung die Charakter-Waage denn nun ausschlägt – Alltag oder Angriff? Zuerst also die Daten in die Schalen. 450 PS holt der Audi aus einem 2,9-l-V6 mit Biturboaufladung. Das allein ist schon oberfett – und dabei doch nur die eine Seite der Medaille. Pusten die beiden Abgaslader volles Rohr in die Brennräume, schieben ziemlich wuchtige 600 Newtonmeter die Fuhre an. Nur 3,7 Sekunden lässt sich der Avant Zeit, bis Landstraßentempo 100 erreicht ist. Heftig! An dieser Stelle zum Vergleich: Einen Porsche Carrera schüttelt er damit ab wie ein Grizzly die Honigbiene vom Fell.

Auf der Autobahn fährt der Alpina alles in Grund und Boden

Alpina B3 S Biturbo Touring
Highspeedlaster: Im Sprint zieht der Alpina noch den Kürzeren, rast dem Audi aber mit 298 km/h davon.
Den Alpina wird er nicht ganz so leicht los. Drei Liter Hubraum, verteilt auf sechs Zylinder in Reihe, zwei Lader schaufeln Verbrennungsluft im Akkord hinein – so etwas ergibt ebenfalls eine unerbittliche Drehmomentramme. 660 Newtonmeter bei 3000 Touren – sagen wir es so: läuft! Bis Tempo 200 fehlt dem Alpina auf den Audi trotz Leistungsminus und Gewichtsnachteil nur rund eine Sekunde. Und am Ende hängt er den RS 4 sogar noch ab. Der B3 S schafft nämlich 298 km/h Spitze, der RS 4 "nur" 280. Dafür läuft der Audi sauberer geradeaus und lässt sich dank der verbindlicheren Lenkung präziser führen. Nicht ganz unwichtig bei fast 300 km/h. So viel zu den Fähigkeiten der beiden im Alltagsgeschäft. Aber wie sieht es auf der Rennpiste aus? Die meistert der Audi besser. Er ist zwar schneller, aber nicht lustvoller. Warum? Weil der BMW viel fahraktiver ist. Wie das kommt: Der Allradantrieb des B3 S ist so ausgelegt, dass ein leicht ausbrechendes Heck in Kurven durchaus erwünscht ist.
Im Winkel bescheidene, aber durchaus lustvolle Drifts am Kurvenausgang sind die Folge, hilfreiches Eindrehen am Anfang der Biegung der positive Nebeneffekt. Schade: Trotz hervorragender Wirkung vermittelt das Pedalgefühl auf der Bremse schon nach kurzer Zeit am Limit eher Lastwagengefühl als feines Sezieren der Anbremszone. Nach Lastwechseln sollte das ESP aber bissiger zuschnappen. Wer in dieser Situation den Lenkeinschlag nicht zügig öffnet, riskiert im Sportmodus einen Dreher.

Audi RS 4: Die Reifen nehmen zu viel Hitze auf

Alpina B3 S Biturbo Touring Audi RS 4 Avant
Vorteil Alpina: Der RS 4 ist auf der Rennstrecke zwar schneller, mehr Spaß bringt aber der B3 S.
Die Bremsen im Audi halten ihr Versprechen in puncto Rückmeldung besser, wirken jedoch nicht so zuverlässig brachial. Rund zwei Meter mehr Anhalteweg sind in dieser Liga eine Welt. Auch fehlt dem RS 4 die zur Leistung passende Spurpräzision beim Anbremsen. Taumelnd schlingert der Avant auf die Kurve zu, der Fahrer muss arbeiten und den Einlenkpunkt eher ängstlich als entschlossen setzen. Auch sollten Kurswechsel aus hohem Tempo heraus nicht zu angriffslustig, sondern eher vorsichtig erfolgen – ansonsten wirft sich der RS immer eine Handbreit zu weit in die Biegung, lässt sich kaum präzise dirigieren. Und: Bereits nach wenigen Runden nehmen die Reifen zu viel Hitze auf, der Luftdruck steigt, der Grip nimmt ab. Dann schmiert der Audi wachsweich nach außen weg, muss sich vom ESP zur Ordnung rufen lassen. Das ist kein unsicherer Effekt – nur etwas unsportlich und tempohemmend. Trotz wilder Optik also doch mehr Familienfrachter als Supersportler.

Fazit

Zwei Herzen schlagen ... Tatsächlich decken sowohl Audi als auch Alpina eine gehörige Bandbreite ab. Sie können lässig auf Reisen rasen, sie mögen aber auch richtig gefordert werden. In diesem Test ging es vorrangig um das Können am Limit. Und da bremst der B3 den RS 4 aus.

Von

Berend Sanders